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Expressive Schroffheit

Penthesilea, die Tochter des Ares und der Otrere, ist eine berühmte mythologische Figur. Sie ist die Königin der Amazonen, die den Trojanern zu Hilfe eilt. Die Verschränkung kriegerischer und erotischer Bilder hat Heinrich von Kleist zu einem Theaterstück inspiriert. Der Komponist Othmar Schoeck hat den Stoff wiederum in eine Oper gegossen. In Basel hat man nun den 50. Todestag von Schoeck zum Anlass genommen, seine "Penthesilea" auf die Bühne zu bringen.

Von Sigfried Schibli |
    Für Hans Neuenfels war es der vierte Anlauf. Schon als junger Regisseur hatte er sich in Bremen an Othmar Schoecks Oper "Penthesilea" versucht - und war gescheitert. Heraus kam damals, 1976, eine konzertante Aufführung. Dann folgte das Schauspiel von Kleist, das Neuenfels auf die Bühne brachte, sowie ein Film und diverse Texte über dieses Stück. Jetzt hat es der 66-jährige Regisseur endlich geschafft. Am Theater Basel kam seine Inszenierung der Schoeck-Oper heraus. Ein Stück, von dem Neuenfels sagt, es sei eine Gratwanderung, weil die Musik nichts vorgibt und die Inszenierung ganz auf sich selbst gestellt ist.

    Es wurde zu einem Triumph - für Neuenfels, für den Dirigenten Mario Venzago und für das Theater Basel mit seinem jungen Sängerensemble. Schoecks Oper von 1927 ist nur anderthalb Stunden lang, aber mit Kniffligkeiten aller Art gespickt. Zwölf Klarinetten und drei solistische Trompeten, heikle Glissandi der Streicher, ein Nebeneinander von gesungenem und gesprochenem Text - das alles ist nicht alltäglich. Venzago hatte das selten zu hörende Stück vor acht Jahren in Luzern konzertant aufgeführt und eine CD-Aufnahme davon gemacht. Er ist ein exzellenter Kenner von Schoeck, was er unlängst auch mit seiner CD mit Chorwerken des Schweizer Spätromantikers dokumentiert hat.

    Hans Neuenfels schmiegt sich der Musik vollkommen an, er inszeniert niemals gegen sie und auch nicht gegen den Strich einer Rezeptionsgeschichte, die es hier gar nicht gibt. Die Geschichte erzählen - das und nichts anderes ist sein selbsterklärtes Ziel. Im schlichten antikisierenden Bühnenbild von Gisbert Jäkel lässt Neuenfels die Geschichte des Kampf- und Liebespaars Penthesilea und Achilles ablaufen. Er zeichnet die Amazonen und das Griechenheer in scharfem Kontrast - die Frauen als amorphe Masse, die Männer als individuelle Westernhelden und Eroberer. Dem religiösen Ernst der Amazonenkönigin steht die dandyhafte Nonchalance des Griechenkönigs gegenüber. Ein Bohémien am Klavier gegen eine Hohepriesterin und Kämpferin, die bis zum Letzten geht - dieses Bild zeichnet die Regie.

    Achilles ist im Zweikampf Sieger geworden über Penthesilea, aber weil ihr ein Mann nur zufallen kann, wenn sie ihn zuvor besiegte, fingiert er eine Niederlage. Die Inszenierung findet packende Bilder für dieses Ineinander-Verkralltsein, für die Untrennbarkeit von Kampf und Liebe. Etwa, wenn der gefesselte Achilles der Amazonenkönigin die Hände um den Hals legt und diese die Fessel küsst und sie aufzubeissen scheint - in diesem starken Bild ist das berühmte Kleistsche Wort aus dem Schlussteil der Oper nicht fern: "Küsse, Bisse, das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, kann schon das eine für das andre greifen". Und wenn die verblendete, dem Wahn verfallene Penthesilea am Ende mit irrem Lächeln ihr Opfer präsentiert, hat sie es zerstückelt in seine eigenen Reisekoffer verpackt, deren Bestimmungsort kein anderer als das Totenreich ist. Penthesilea küsst die Koffer, aus denen das Blut trieft, bis sich ihre Lippen blutig färben. Dann ähnelt sie einer anderen Operngestalt eines Komponisten, mit dem Schoeck gern verglichen wird: der Salome aus der Oper von Richard Strauss.

    Theater Basel, Grosse Bühne. Nächste Aufführungen 5., 10., 18., 26. November 2007.