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Exzellenzstrategie an Universitäten
Religion interdisziplinär erforschen

43 Forschungsprojekte werden derzeit durch die Exzellenzstrategie gefördert - mit dem Thema Religion beschäftigt sich bisher nur eines in Münster. Eine Initiative aus Göttingen möchte das ändern und bewirbt sich um die Förderung eines eigenen interdisziplinären Forschungsclusters.

Von Christian Röther | 27.09.2018
    Das Wort Gott, durch eine Lupe in einer alten Bibel betrachtet
    Mehr als Bibelstudium - Religionsforschung ist wieder in (imago stock&people)
    Wer zu "Religion und Politik" forscht, der kann sich vor möglichen Themen wohl kaum retten. Entsprechend widmet sich der Münsteraner Exzellenzcluster "Religion und Politik" so unterschiedlichen Dingen wie Dschihad-Konzepten oder religiösen Einflüssen auf das Wirtschaftsrecht.
    Cluster heißt: Wissenschaftler aus verschiedenen Fachbereichen arbeiten zusammen. In Münster haben sich 20 Fächer verbunden, darunter Politologie, Psychologie, Philosophie oder verschiedene Theologien. 200 Forscherinnen und Forscher befassen sich mit 3.000 Jahren Religionsgeschichte. Zu einem Schwerpunkt hat sich dabei die Migration entwickelt – und die Frage nach ihren religionspolitischen Folgen.
    "Ganz zentral ist die Frage: Reichen unsere bisherigen rechtlichen Regelungen aus, um die gewachsene Vielfalt des Religiösen regulieren zu können?"
    "Religiöse Vielfalt hat es in der Antike bereits gegeben"
    Detlef Pollack ist Religionssoziologe und Sprecher des Exzellenzclusters "Religion und Politik". Antworten auf aktuelle Fragen suchen die Forschenden auch in der Vergangenheit.
    Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollak.
    Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollak. (dpa/Uni Münster/brigitte Heeke)
    "Religiöse Vielfalt ist überhaupt kein Phänomen der Gegenwart oder der letzten 30 oder 40 Jahre, sondern das hat es auch in der Antike bereits gegeben. Und auch da musste man rechtliche Regelungen finden, wie man miteinander auskommt, wie man friedlich mit unterschiedlichen religiösen Identitäten umgeht."
    Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt der Cluster dann auch beratend an die Politik weiter, sagt Detlef Pollack.
    "Die Entscheidung liegt bei der Politik, aber aus einer distanzierten, historisch-informierten und sozialwissenschaftlich-informierten Perspektive können wir schon auch Informationen geben."
    Religion als "Medium für die Aushandlung von Konflikten"
    Unter den 43 Clustern, die derzeit von Bund und Ländern in der Exzellenzinitiative gefördert werden, ist der Münsteraner Cluster der Einzige zum Thema Religion. Er besteht seit elf Jahren. In dieser Zeit hat sich der Untersuchungsgegenstand natürlich verändert – und damit auch die Forschungsfragen: denn religionsbezogene Themen nehmen in politischen Auseinandersetzungen wieder größeren Raum ein.
    "Eine ganz zentrale Frage, auf die wir in den letzten Jahren gestoßen sind, ist die, in wie weit Religion sich politisch instrumentalisieren lässt, in wie weit sie ein Medium für die Aushandlung von gesellschaftlichen, kulturellen oder auch politischen Konflikten darstellt."
    Aktuelles Beispiel dafür: der Kreuzerlass in Bayern.
    "Wer definiert hier eigentlich Religion? Wer definiert hier auch dasjenige, was als Kultur betrachtet werden kann – also als Nicht-Religion? Wo sind die Grenzen zwischen dem Religiösen und dem Nicht-Religiösen? Und dahinter stehen letztendlich Machtverhältnisse, politische Verhältnisse. Und deswegen interessiert uns eben die Beziehung – die sich wandelnde Beziehung zwischen Religion und Politik."
    Die Grenzen der Religion
    Wo verlaufen die Grenzen der Religion? Danach fragt auch ein Forschungsverbund aus Göttingen. Wie in Münster hätten sie auch hier gerne einen Exzellenzcluster zur Religionsforschung.
    "Unser übergeordnetes Ziel ist eine Neuausrichtung der Religionsforschung jenseits eurozentrischer Verengungen und jenseits disziplinärer Fragmentierungen, die dieses Feld lange gekennzeichnet haben."
    Matthias Koenig ist ebenfalls Religionssoziologe und einer der Sprecher der Göttinger Clusterinitiative. Auf Englisch heißt sie "The Making and Unmaking of the Religious" - und auf Deutsch "Grenzziehungen des Religiösen".
    "Was wir anstreben ist interdisziplinäre Grundlagenforschung zu der Frage, wie das Religiöse als eigenständige Domäne konstituiert wird, und zwar in verschiedenen historischen Epochen und kulturellen Kontexten."
    Erkenntnisse aus der Religionsgeschichte
    Ein aktuelles Beispiel wäre auch hier die Kreuz-Pflicht in bayerischen Behörden. Aber die Göttinger Forscher wollen nicht nur auf Bayern schauen, oder auf Deutschland oder Europa, sondern gewissermaßen die ganze Welt im Blick haben, mit einem Schwerpunkt auf Süd- und Ostasien.
    Genau wie Münster setzt auch Göttingen auf Erkenntnisse aus der Religionsgeschichte. Matthias Koenig nennt als Beispiel religiösen Pluralismus in Städten, den es nicht erst in unseren Tagen gibt:
    "Ähnliche Prozesse der Veränderung von Religionen lassen sich bereits in der Antike in den urbanen Zentren beobachten, in denen neue Religionsgemeinschaften wie etwa das Christentum entstanden sind und entsprechende Dynamiken der religiösen Grenzziehungen auch untersuchbar sind. Und insofern wird hier die Zusammenarbeit von Kolleginnen und Kollegen, die Religionsgeschichte in der Antike betreiben, mit solchen, die städtische Kontexte etwa in der europäischen Neuzeit oder eben in den gegenwärtigen Megacities untersuchen, auch neue Einsichten hervorbringen."
    Wie in Münster sind auch in Göttingen diverse Fächer aus Geistes- und Sozialwissenschaften beteiligt. Und auch internationale Partner oder ein Max-Planck-Institut, das ebenfalls religionsbezogen forscht.
    "Vor 20 Jahren spielte die Religionsforschung kaum eine Rolle"
    Und die alle drücken jetzt wohl die Daumen: Bis zu 50 Exzellenzcluster sollen ab dem kommenden Jahr gefördert werden im Rahmen der neuen Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder. Knapp 90 Anträge sind noch im Rennen – darunter eben zwei zur Religion. Was sagt das aus über die Relevanz der Religionsforschung?
    "Zum einen zeigt das natürlich die Bedeutung des Themas in der Öffentlichkeit. Und zum anderen zeigt es auch, dass in Deutschland in den letzten Jahren der Bereich der Religionsforschung ein besonders starkes Profil gewonnen hat. Münster und Göttingen sind ja nicht die beiden einzigen Standorte, an denen es eine sehr starke und international sichtbare Religionsforschung gibt. Man müsste sicherlich noch Bochum und Leipzig auch nennen.
    Insgesamt ist mein Eindruck, dass die deutsche Religionsforschung auch international wieder sichtbarer geworden ist. Und ein Erfolg in der Exzellenzstrategie würde dieser Entwicklung sicherlich zusätzlichen Schub verleihen."
    Ähnlich wie Matthias Koenig aus Göttingen sieht es Detlef Pollack, Sprecher des Exzellenzclusters "Religion und Politik" in Münster:
    "Vor 20 Jahren spielte die Religionsforschung in der Geschichtswissenschaft, in der Sozialwissenschaft kaum eine Rolle. Sie war ein marginales Thema. Die Religionsforschung hat sich in den letzten 20 Jahren enorm entwickelt und eigentlich kann die akademische Landschaft durchaus auch zwei Religionscluster vertragen."