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"Eye on the Truth"

Zu den rund 5,4 Millionen Jordaniern sind seit dem Krieg vor vier Jahren eine Million Iraker hinzugekommen. Es sind wieder Flüchtlinge. Das Königreich Jordanien fährt einen schwierigen Kurs, muss Balance halten, um die innere Stabilität nicht zu gefährden. Der Sicherheitsapparat, zusammengesetzt aus Militär, Geheimdienst und Polizei spielt daher eine herausragende Rolle.

Von Susanne El Khafif |
    Jordanien steht - im Vergleich zu den Nachbarstaaten in der Region - wenn es um die Wahrung von Menschenrechten geht "noch recht gut da", laut Amnesty International.

    Im Januar dieses Jahres veröffentlichte Manfred Nowak, UN-Sonderberichterstatter für Folter, seine Beobachtungen: Demnach gibt es in Jordanien zwar Folter, aber nicht systematisch,

    Das Departement für öffentliche Sicherheit organisierte jüngst eine Tour um den Journalisten, jordanischen wie ausländischen, sowie Vertretern von NGOs vorzuführen, wie es Jordaniens Haft- und Rehabilitationszentren nun wirklich zugeht:

    Der Treffpunkt: Die "Königliche Polizeiakademie" in Jordaniens Hauptstadt Amman. Auf dem Parkplatz wird zum Aufbruch geblasen. Die letzten Ankömmlinge werden zur Eile getrieben. Dann schließen die Türen und vier elegante weiße Reisebusse setzen sich in Bewegung, eskortiert von zwei Polizei-Streifenwagen mit Blaulicht. Die Stimmung ist gut, erinnert an einen Klassenausflug in die Eifel oder in den Teutoburger Wald.

    Doch es geht nach "Swaaqa" - dem größten Gefängnis des Haschemitischen Königreiches Jordanien, mit einem maximalen Aufnahmevermögen von etwa 2300 Insassen - Mördern, Dieben, Drogenhändlern. Es geht nach "Swaaqa" - etwa 90 Autominuten von Amman entfernt. Irgendwo im Süden, im trockenen, unwegsamen Niemandsland.

    "Eye on the truth" - so hatte das "Department für Öffentliche Sicherheit" diese Besuchertour betitelt. "Ein Auge auf die Wahrheit werfen", das sollten Journalisten aus Jordanien und aus dem Ausland, sowie Vertreter von unabhängigen Organisationen. Sie sollten erfahren, wie es nun tatsächlich zugeht, in Jordaniens "Straf- und Rehabilitationszentren" - eine Reaktion wohl auf den kritischen Bericht von Manfred Nowak, UN-Sonderberichterstatter für Folter.

    "Swaaqa" begrüßt die Besucher mit Wimpeln und Fahnen, die fröhlich im Winde flattern. Die ganze Anlage wirkt großzügig, die Gebäude sind flach, umgeben nur von Zaun und Stacheldraht, einzig in der Ferne sind die Wachtürme auszumachen. Freundlich werden die Gäste in ein großes Festzelt geleitet, vorbei an Soldaten, die in voller Kampfmontur Spalier stehen.

    Auf dem Rednerpult warten bereits die Verantwortlichen, um zu begrüßen, in die Thematik einzuführen, und mit Hilfe von Filmmaterial vorzuführen, wie vorzüglich und vorbildlich die Gefangenen in Swaaqa behandelt werden. Über allem thront in Form eines Bildnisses das Königspaar, Abdallah II. nebst Ehefrau Rania, sie sind ein schönes Paar, beide in festlichem Gewande.

    Zur Belohnung für Interesse und Aufmerksamkeit gibt es dann Kaffee und Kuchen, Snacks und Törtchen. Die Journalisten lassen es sich schmecken, und fragen sich doch gleichzeitig, ob sie noch in Kontakt mit den Gefangenen treten; und ob sie am Ende in der Lage sein werden, nachzuprüfen, was vom Rednerpult verkündet wurde.
    Erste Eindrücke liefern die Werkstätten. Gefangene stehen an den Kreißsägen, über und über mit Sägemehl bestäubt. Hier wird gefeilt, dort gehobelt, kurz: es wird gearbeitet, denn Berge an fertigen Möbelstücken warten auf den Abtransport.

    Vor der Schreinerei wartet der Direktor der Werkstätten auf die richtige Einstellung der Kamera. Eine Reporterin des niederländischen Fernsehens will ihn interviewen. Faisal Kaza'aleh, er ist Ingenieur, wirkt angestrengt, sehr bemüht, eines seiner Augen ist gerötet.

    "Ich sage das jetzt nicht, weil ich Jordanier bin,sagt Faisal Kaza'aleh zu der zierlichen, dunkelhaarigen Reporterin. "Doch glauben Sie mir, wir respektieren hier, hier in diesem Rehabilitationszentrum, die Rechte seiner Insassen. Denn es sind Menschen. Und deswegen müssen wir sie auch gut behandeln. Unser Ziel ist es, sie auf ihr Leben danach vorzubereiten. Sie dahin zu bringen, dass sie wieder neu anfangen können."

    Gerne will man glauben, was Faisal Kaza‘aleh da verkündet. Denn er wirkt engagiert, ehrlich und rechtschaffen. Doch die Reporterin will es dabei nicht bewenden lassen. Ob Manfred Nowak dann gelogen habe, will sie wissen. Ob er gelogen hat, wenn er in seinem Bericht von Folter und Misshandlung in Jordaniens Gefängnissen spricht. Kaza'aleh zögert, sucht nach Worten:

    "Vielleicht hat es Fälle gegeben", sagt er dann. "Doch wissen Sie, Sie müssen auch nicht immer alles glauben, was die Gefangenen Ihnen erzählen."

    Ein kleines Klassenzimmer, etwa 5 mal 5 Meter in der Grundfläche, steinern die Wände und steinern der Boden, in der Mitte ein groß gewachsener, schlanker Mann in blauer Häftlingskleidung.

    Eifrig redet er auf seine Schüler ein, erklärt ihnen die arabische Grammatik, lobt sie, baut sie auf. Etwa 24 Schüler, allesamt in dieselbe Kluft gekleidet, mit Plastiksandalen an den Füßen, sitzen auf Holzbänken, je zwei nebeneinander, ordentlich in Reih und Glied.

    Sie machen brav mit und scheinen doch des Ansturms der hereindrängenden, sich gegenseitig schubsenden Journalisten, der vielen Blitzlichter und Fernsehkameras nicht gewachsen zu sein. Sie wirken befremdet, unsicher, verschüchtert, manch einer blickt auf den Boden oder hält gar ein Heft vor sein Gesicht. Sie sehen verhärmt aus, was irgendwie nicht passen will in diese so "gute" Gefängniswelt.

    Der Lehrer stellt sich als Eid Sadaqa vor. Er unterrichte die Häftlinge von Klasse 1 bis 12, erklärt er, und sei doch selber einer. Er habe Ökonomie studiert - und sitze wegen eines Wirtschaftsdeliktes ein, fünf Jahre lang. Drei habe er schon hinter sich. Ob er Klagen habe, sich schlecht behandelt fühle, wollen die Journalisten wissen.
    Eid Sadaqa schüttelt den Kopf.

    "Ich will nicht klagen", sagt er dann, "einzig das Strafmaß, das verhängt wird, ist so hoch. Es ist hart, fünf, zehn, fünfzehn Jahre von der Familie getrennt zu sein. Wir hoffen, dass der König ein Einsehen hat und uns einen Teil der Strafe erlässt.

    Nach Schule und Werkstatt geht es in die Schlafsäle, etwa 25 Etagenbetten stehen nebeneinander aufgereiht, zwei große Fernseher liefern das aktuelle Programm, die Bäder sind vorbildlich, besser als in den staatlichen Krankenhäusern, einzig der Geruch nach frischer Farbe und frischem Lack verwundert.

    So wie auch die kleinen Besucherhäuschen verwundern, in denen den Häftlingen, so heißt es, erlaubt ist, ihre Ehefrauen zu empfangen: Ein Tisch, zwei Stühle. Und: Ein Bett. Darauf eine Decke, ordentlich in Plastik eingepackt, dem Anschein nach noch nie benutzt.

    In der Großküche dann geschieht, was sicher hätte vermieden werden sollen; und was im Nachhinein die Anwesenheit so vieler Uniformierter erklärt. Ein junger Mann zieht zur Seite, versucht - gegen die schrille ohrenbetäubende Musik - anzureden, von dem zu berichten, was ihm widerfahren ist.

    Er spricht von Schlägen und Misshandlung, da entbrennt ein Wortgefecht zwischen Aufsichtspersonal und Journalisten, der junge Mann wird zurückgedrängt, ist nur noch von dem Nahestehenden zu verstehen. "Das ist doch alles nur eine Show, eine große Show," sagt der Häftling, doch bevor er fortfahren kann, wird er von mehreren Uniformierten umringt, werden die verdutzten Besucher höflich aber bestimmt aus der Großküche, aus dem Gefängnis hinaus- und in die startbereiten Busse hineinkomplimentiert.