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Facebook-Daten vor Gericht

Justiz.- Am Amtsgericht Reutlingen will sich ein Richter über jene Verabredungen informieren, die ein wegen Einbruchs angeklagter Mann über soziale Netzwerke organisiert hat. Soziale Netze, so das Gericht, seien per se offen, also nicht mit E-Mail vergleichbar. Der Fall hat inzwischen bizarre Züge angenommen.

Von Pia Grund-Ludwig | 25.02.2012
    Ein Verfahren gegen einen heranwachsenden Verdächtigen vor dem Amtsgericht Reutlingen. Einbruchdiebstahl, ein Sachschaden von 1200 Euro. Kein Kavaliersdelikt, aber eigentlich unspektakulär, doch die Kameras der Fotografen klicken, vier Fernsehteams sind vor Ort, Presseplätze und Zuschauerränge gut gefüllt.

    "Bitte keine Kaugummis, auch nicht bei den Zuschauern",

    sorgt Amtsrichter Sierk Hamann gleich zu Anfang für Ordnung und für verwundertes Murmeln beim durchweg jungen Auditorium. Für volle Zuschauerreihen hatte nicht zuletzt der Aufruf eines Zeugen über Facebook gesorgt, in dem er um rege Beteiligung bei seinem Auftritt vor Gericht warb. Das soziale Netz war auch der Grund für die hohe mediale Aufmerksamkeit. Richter Hamann hatte von der Europazentrale von Facebook in Irland Einsicht in Kommunikationsinhalte gefordert. Er wollte dort gespeicherte Nachrichten des Beschuldigten lesen. Informationen aus sozialen Netzen spielten in Prozessen häufig eine Rolle, erklärt Friedrich Haberstroh, Direktor des Amtsgerichts Reutlingen:

    "Es ist so, dass ich persönlich fast keinen Prozess mehr habe, wo nicht Facebook oder sonstige Plattformen erwähnt werden. Die Opfer selbst sind ja teilweise auch mit den Tätern bekannt, und sie schauen dann nach: Wer könnte es gewesen sein? Man kennt sich auch, man schaut in Facebook nach und geht dann mit einem Account, weil man ja selbst Zugang hat zur Polizei, und sagt, das könnte der oder der gewesen sein. Ich habe auch schon selbst aufgrund solcher Chats Verurteilungen ausgesprochen."

    Bislang waren es aber Opfer, die Kommunikationsinhalte in Facebook über ihren eigenen Account offengelegt haben. Im jetzigen Prozess sollte Facebook Teile der gespeicherten Daten eines Account-Inhabers einem Gericht zur Verfügung stellen. Es sei ihm dabei nicht um die komplette Facebook-Freundesliste des Beschuldigten gegangen, auch nicht um Informationen über dessen persönliche Vorlieben, betonte Amtsrichter Hamann. "Standortdaten, IP-Adressen, religiöse Ansichten oder politische Ansichten sollen nicht erhoben werden", heißt es in seinem Beschluss. Er müsse aber getippte Informationen wie Instant Messages und Chat aus dem Facebook-Konto einsehen können, so Hamann. Er unterscheidet zwischen Mail und der Kommunikation per Facebook. Es handle sich beim Zugriff auf Facebook nicht um eine "einmalige Durchsuchung des Mail-Postfaches", betont der Internet-bewanderte Richter. Dann hätten die strengen Regeln des Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2009 gegolten. Die setzen der heimlichen Auswertung von Mails enge Grenzen. Facebook sei anders zu behandeln als elektronische Post, argumentiert Hamann.

    Sämtliche elektronischen Äußerungen seien "prinzipiell und erkennbar stets für Dritte, so auch dem Anbieter zu kommerziellen Zwecken, zugänglich", stellt Hamann fest. Und weiter: "Nicht übersehen wird, dass der Angeklagte möglicherweise keine Möglichkeit hat, die Nachrichten zu löschen. Anderseits hat er sich aus freien Stücken entschlossen das seit längerer Zeit umstrittene und in der öffentlichen Diskussion stehende Angebot der Firma Facebook zu verwenden. Die Einsicht in die Facebook-Kommunikation solle dem Richter Indizien liefern, erklärt der Direktor des Gerichts, Friedrich Haberstroh:

    "Es ist eben Realität, dass 97 Prozent der Jugendlichen eben kommunizieren über diese Plattformen und deshalb geht er davon aus, dass er hier weitere Erkenntnisse hat, nämlich zum Beispiel, dass die Tat vorher geplant wurde, dass die Absprachen vorher über Facebook gelaufen sind."

    Man habe nur einen Bruchteil dessen angefragt, was Facebook an Daten vorhalte, so Hamann, aber er wolle "kein Facebook-Bashing" betreiben. Für ihn sei ist das vergleichbar mit dem Vorgang, einen Kontoauszug einer Volksbank einzusehen. Im Gegensatz zur Volksbank sitzt Facebook aber nicht um die Ecke, sondern in Irland, und da dauert es doch ein bisschen länger, an die Daten heranzukommen. Seit November 2011 habe man immerhin schon eine Bearbeitungsnummer, so Hamann. Aber es passierte nichts, deshalb habe er jetzt Rechtshilfe bei der irischen Regierung beantragt. Auch der Angeklagte hat mittlerweile eine rechtssichere Kopie seiner Facebook-Daten auf CD-ROM angefordert, wartet aber bislang vergeblich. Damit könnte sich das Ganze erledigt haben. Denn sein Ziel sei der Abschluss des Prozesses, und nicht die Auskunft aus Irland, betont Hamann. So wurde der Fall kein Präzedenzfall dafür, ob dem Rechtshilfeersuchen in Irland stattgegeben wird. Er ist eher ein Beispiel dafür, dass Europas juristische Mühlen zu langsam mahlen, um bestehendes deutsches Recht anzuwenden.