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Fachwerkhäuser im Iran

Vor etwas mehr als einem Jahr, im Dezember 2003, starben mehr als 30.000 Menschen bei einem Erdbeben in der iranischen Stadt Bam. Fast 100.000 Einwohner wurden obdachlos. Verhindern lassen sich Beben dieser Stärke nicht – der Iran ist eine stark erdbebengefährdete Region. Was sich aber vermeiden lässt, ist das Ausmaß der Zerstörung der Gebäude – und damit die hohe Zahl Toter und Verletzter. Ein Team von Bauingenieuren der Wuppertaler Universität hat jetzt zusammen mit iranischen Kollegen Konzepte für erdbebensicheres – und bezahlbares – Bauen im Iran entwickelt: nach dem Prinzip deutscher Fachwerkhäuser.

Von Svenja Üing | 22.03.2005
    Der Versuch, mit dem Georg Pegels die Wirkung von Erdbeben erklärt, ist denkbar einfach: Der Bauingenieur hockt auf dem Fußboden seines Büros im Altbau der Wuppertaler Uni, vor ihm liegt eine quadratische Metallplatte, Seitenlänge rund 50 cm. Auf der Platte steht ein leeres Granini-Saftfläschchen aus Glas:

    "Hier haben wir einen so genannten "rocking table" – allerdings nur als kleines Modell – wo wir ein Erdbeben simulieren können, und zwar vom Erdbeben das besonders Gefährliche: diese horizontalen Stöße, die normalerweise die Gebäude parallelogrammartig flachlegen. Diese horizontalen Stöße, die kann ich eben durch Wackeln an dieser Stahlplatte simulieren. Und wenn man dann eben die Hausmodelle auf diese Stahlplatte rutschbar anlegt, dann rutscht das Erdbeben unter dem Haus durch und zerstört gar nichts. Wenn man stattdessen aber Ankerbolzen verwendet, um das Haus fester am Untergrund zu fixieren, dann gehen die Stöße voll in das Gebäude rein und machen es kaputt. Und wenn wir um die Flasche herum – wie Ankerbolzen – so Magnete anordnen, dann fällt sie um, schon beim ersten Stoß. Also machen wir’s mal."

    "Das war’s. Diesen Unfall würde bei richtigen Gebäuden niemand überleben können."

    Die Ankerbolzen beim Hausbau wegzulassen und statt dessen eine so genannte Rutschkupplung unter dem Gebäude anzubringen, ist das Eine, sagt Pegels. Das Andere ist, die horizontalen und vertikalen Gebäudeteile durch diagonale zu ergänzen – wie beim Fachwerkhaus:

    "Jeder, der schon mal in seinem Leben, ein Ikea-Regal aufgebaut hat und hat hinten, an der Rückwand, vergessen, diese kreuzweisen Stäbe anzuordnen, der weiß, dass so ein Regal wie ein Parallelogramm zusammenklappt. Also müssen Gebäude, damit sie bei horizontalen Stößen nicht parallelogrammartig versagen, diagonale Träger in der Fassadenkonstruktion haben. Und das haben Fachwerkhäuser von Natur aus."

    Im Gegensatz zum traditionellen Fachwerk-Stil würden bei der iranischen Variante die Holzverstrebungen durch Stahlkonstruktionen ersetzt. Stahl ist noch stabiler und im Iran eher verfügbar. Ein weiterer Vorteil der Fachwerk-Bauweise: Selbst Laien können der Fassade die Erdbebensicherheit auf den ersten Blick ansehen. Auf diese Weise, so Pegels, könne man erreichen, dass Häuser nicht nur erdbebensicherer geplant, sondern am Ende auch erdbebensicherer gebaut würden. Das Konzept hat Pegels mit Wissenschaftlern und Studierenden der Technischen Universität in Isfahan, einer anderthalb-Millionen-Einwohner-Stadt südlich von Teheran, entwickelt. Von den iranischen Kollegen bekommen die Deutschen auch Tipps, wie sie der Bevölkerung die ästhetisch fremdartige Bauweise schmackhafter machen können. Der iranische Student Mohammad Samsam Shariat:

    "Zum Beispiel, indem man das Material aus dem Iran bezieht und die wirtschaftlichen und handwerklichen Kenntnisse der Fachleute vor Ort mit berücksichtigt. Dann kann die Fachwerk-Bauweise zumindest in ländlichen Regionen im Iran mit besonders hohem Erdbebenrisiko angewendet werden."

    Mohammad studiert derzeit Bauingenieurwesen an der Bauhaus Universität in Weimar. Mit seiner Heimat-Universität, der TU Isfahan, haben die Wuppertaler vor wenigen Wochen einen Vertrag geschlossen: Auf dem Gelände der iranischen Uni soll eine Stahlfabrik für den Bau von Fachwerkhäusern gebaut werden. Dort könnten die rechnergestützten Planungen der Wuppertaler Ingenieure vor Ort realisiert werden, erklärt Alireza Eghdam, Mitarbeiter des Wuppertaler Teams:

    "Wir haben die Möglichkeit geographisch unabhängig zu planen, zu koordinieren, zum Beispiel Tragwerke hier in Deutschland zu planen und via Internet die Daten an Maschinen weiter zu geben, die im Iran stationiert sind. Und das sind unsere Chancen, dass das, was wir hier planen und fehlerfrei im Programm funktioniert hat, dort im Iran in ihren einzelnen Kleinteilen herstellen können und die eben auf der Baustelle eins zu eins nachbauen können."

    Noch findet die deutsch-iranische Kooperation vor allem im Bereich der Forschung statt und beruht auf der engen Kooperation zwischen den Unis in Wuppertal und Isfahan. Dazu gehört auch, dass Georg Pegels vor wenigen Wochen in Isfahan zu Gast war, um dort die neuen Erstsemester zu begrüßen, die später ihr Abschluss-Studienjahr an der Universität in Wuppertal verbringen werden. Doch Pegels sieht Potential für mehr als eine Kooperation auf universitärer Ebene. Bei einem seiner letzten Besuche im Iran waren deshalb auch mittelständische Unternehmer mit von der Partie. Die krisengeschüttelte deutsche Bauwirtschaft, die sich nach dem Bau-Boom der deutschen Wiedervereinigung im elften Jahr der Rezession befindet, hat seit Mitte der 1990er etwa die Hälfte ihrer Arbeitsplätze eingebüßt. Im Iran sieht Pegels neue Chancen für die Branche:

    "Im Iran wird noch wahnsinnig viel gebaut. In Deutschland nicht mehr. Also ist’s an der Zeit, dass die deutsche Bauindustrie Export macht, ähnlich wie der Maschinenbau, da sind wir Exportweltmeister und leben gut davon. Das gleiche müssten wir im Bauingenieurwesen machen, um für deutsche Mitarbeiter Berufsfelder zu erobern. Also sollten wir das auch nutzen."