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Fälscher, Mörder, Terrorist

Alfred Naujocks hat 1939 einen fingierten Angriff auf den Sender Gleiwitz ausgeführt. Eine Aktion, die als Argument für Hitlers Kriegserklärung gegen Polen einen Tag dienen sollte. "Der Mann, der den Zweiten Weltkrieg begann" heißt Florian Altenhöners Buch über den NS-Täter Alfred Naujocks.

Von Martin Hartwig | 29.08.2011
    Die Karriere von Naujocks ist erstaunlich: 1911 in Kiel geboren, wurde er 1931 Mitglied der NSDAP und der SS. In Kiel machte er sich vor allem als Schläger in Straßenschlachten einen Namen. 1934 trat er in Berlin eine Stelle als Fahrer beim SD an, dem Sicherheitsdienst der SS. Gerade mal 22 Jahre alt, stieg er dort in kurzer Zeit auf.

    "Ich habe mich mit Alfred Naujocks befasst, weil es einfach eine spannende Biografie ist. Wenn man sich das anguckt was er gemacht hat im Auftrag des SD: Er war Kidnapper, Geldfälscher, hat den Vorwand für den zweiten Weltkrieg geliefert, ist nach 1945, bzw. nach 1950, nach seiner Freilassung aus dänischer Gefangenschaft, ist ein Mann über den verschiedene bundesdeutsche Medien geschrieben haben. Artikelserien sind über ihn im Stern und in der Quick erschienen. Das macht ihn sicherlich zu einer schillernden Figur."

    Florian Altenhöner, Autor von "Der Mann, der den zweiten Weltkrieg begann", einer Biografie des SS-Mannes Alfred Naujocks, von Beruf:

    "Fälscher, Mörder, Terrorist", wie es im Untertitel des Buches heißt. Naujocks selbst hat das anders gesehen. Er verstand sich als eine Art deutscher James Bond, als eine Figur aus den Spionageromanen, die er, wie viele seiner Kollegen, gelesen hat. Und tatsächlich präsentierte die deutsche Presse ihn in den 60er-Jahren genau so.

    "Naujocks wird als jemand dargestellt, der zwar Taten begangen hat, der zwar sehr aktiv war, der Abenteuer erlebt hat, aber der trotzdem für diese Taten nicht wirklich verantwortlich ist. In den Darstellungen sind diese Abenteuer fast wertfrei, sie werden als Geheimdienstgeschichten präsentiert und er wird dafür nicht kritisiert."

    Gegen diesen Agentenmythos schreibt Altenhöner die ganzen 380 Seiten der Biografie an. Nicht immer mit Erfolg, schließlich lässt es sich der Autor nicht nehmen die spektakulärsten Aktionen, etwa die Entführung von zwei britischen Geheimagenten aus den Niederlanden oder den Aufbau einer Geldfälscherwerkstatt detailliert und spannend zu schildern. So etwa die Szene als Naujocks Kommando, das den polnischen Überfall auf den deutschen Sender Gleiwitz vortäuschen sollte, merkte, dass der Sender nur eine Relaisstation war und dass man von dort aus eigentlich keine Botschaften senden konnte.

    "Eine fieberhafte Suche nach dem Gewittermikrofon setzte ein. Mit diesem Gerät konnte man bei Gewitter das Programm unterbrechen und den Hörern mitteilen, dass der Sender geerdet würde. Schließlich wurde das Mikrofon in einem Schrank gefunden und das Programm aus Breslau unterbrochen. Damit rief einer der SS-Männer in polnischer Sprache über den Rundfunk zu einem polnischen Aufstand in Oberschlesien auf."

    Vor allem dieser Überfall, der der NS-Propaganda, dann als Beweis polnischer Aggression diente, bescherte Naujocks nach dem Krieg einen gewissen Ruhm. Er war der Geheimagent, der den Zweiten Weltkrieg begann. Dass er vor allem ein überzeugter Nationalsozialist und Auftragsmörder war, an mindestens drei Morden unmittelbar beteiligt, wurde kaum thematisiert. Dies holt Altenhöner in seiner materialreichen Studie ausführlich nach.

    "Naujocks kommt aus bürgerlichen Verhältnissen. Hat in Kiel die Zeit der Arbeitslosigkeit erlebt, und innerhalb von wenigen Jahren ist er jemand, der in Berlin ein Büro hat, der eine Sekretärin hat, der mehrere Mitarbeiter hat, der in Leitungsfunktionen aufgestiegen ist und wirklich auch gutes Geld verdient. Ich verstehe das Buch als eine dreiteilige Biografie. Es ist erstens halt wirklich ne Agentengeschichte. Es sind so Aktionen die Naujocks im Auftrag des SD ausgeführt hat. Es ist zweitens sein Lebenslauf, seine Karriere im SD und drittens untersuche ich wie diese Biografie in Westdeutschland und auch in Ostdeutschland in den verschiedensten Medien dargestellt worden ist."

    Altenhöner beschränkt sich in seiner Darstellung nicht auf die Person Naujocks. Parallel zu dessen Laufbahn beim SD berichtet der Historiker und Journalist vom Aufstieg einer ganzen Gruppe junger Kieler SS-Männer, die nach der Machtübernahme beim neu gegründeten Nachrichtendienst unterkamen – obwohl sie dazu nichts qualifizierte als politische Radikalität, persönlicher Ehrgeiz und der unbedingte Wille, den Gegner zu vernichten.

    "Naujocks war zwischen 1934 und 1939 mit ganz unterschiedlichen Aufgaben betraut: Fahrer, Büroangestellter, Mitarbeiter von Spionage- und Sabotageabwehr sowie Auslandsnachrichtendienst, Leiter der technischen Abteilung. Ein Blick auf seine 'Kieler Kameraden' zeigt jedoch, dass solche sprunghaften Wechsel die Regel und nicht die Ausnahme waren. Aus jungen Männern wurden innerhalb weniger Jahre 'Experten' - Fachleute für Katholiken, Freimaurer, Juden, die italienische Presse, das Fälschen von Pässen, Banknoten und schließlich Massenmord."

    Zumindest an den Massenmorden der SD-Einsatzgruppen in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten nahm Naujocks nicht direkt teil. 1942 wurde er in Belgien bei der Bekämpfung des Schwarzmarktes eingesetzt. 1944 stieß er in Dänemark zur so genannten "Petergruppe", einem deutsch-dänischen Terrorkommando, das Oppositionelle ermordete und zahlreiche Bombenanschläge verübte. Das war sein letzter Sonderauftrag - oder vielleicht sein vorletzter, denn die Motive seines Überlaufens zu den Alliierten im Herbst 1944 sind nicht bekannt und es spricht einiges dafür, dass er dies im Auftrag seines Nachrichtendienstes tat. Doch den sollte es nicht mehr lange geben. Nach dem Krieg wurde Naujocks mehrfach angeklagt. Zu einem Urteil kam es jedoch nur im Fall seiner Tätigkeit in Dänemark, und schon 1950 war er wieder frei. Naujocks selbst sah sich bis zu seinem Tod 1966 frei von jeder Schuld.

    "Ich war ein Nachrichtenmann, jenseits von Gut und Böse,"

    hat er in den 60er-Jahren einem Historiker erklärt. Dass an dieser Aussage wirklich gar nichts stimmt, zeigt die lesenswerte Biografie von Florian Altenhöner.

    Florian Altenhöner: Der Mann, der den Zweiten Weltkrieg begann. Alfred Naujocks: Fälscher, Mörder, Terrorist.
    Prospero Verlagsgemeinschaft
    389 Seiten, 19,00 Euro
    ISBN: 978-3-941-68810-0