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Fahrerlos durch die Innenstadt

Verkehr.- Im Nahverkehr der Zukunft könnte VIPA eine wichtige Rolle spielen. Die Abkürzung steht für den französischen Begriff "Vehicule individuel public autonome" – eine Art elektrischer Mini-Shuttlebus, der fahrerlos kurze Strecken in der Stadt bewältigt.

Von Suzanne Krause | 19.10.2010
    Auf dem weiträumigen Vorplatz umringt eine Klasse 15-, 16-Jähriger ein kleines futuristisch anmutendes Gefährt. Es ist beidseits offen, hat eine stark gewölbte Frontscheibe, bietet zwei Fahrgästen Platz und an der Stelle des Lenkrads steht ein Laptop. Auf dem Dach klemmt eine Weitwinkel-Videokamera, am vorderen Chassis, in Kniehöhe, ist ein Laser-Abstandsmesser montiert. Gerade noch drehte das Laborfahrzeug wie von Geisterhand gesteuert Runde um Runde über den Vorplatz. Nun sind die Jugendlichen näher getreten und VIPA steht still. Das gibt Baptiste Charmette Gelegenheit, dessen Einsatzmöglichkeiten zu erklären. Charmette ist Doktorand im Universitätslabor von Clermont-Ferrand, wo das autonome Elektromobil entwickelt wurde:

    "Wir stellen uns beispielsweise vor, VIPA an einer Trambahn-Endstation einzusetzen, als Shuttle quer durch die Fußgängerzone, sagen wir mal um zum Rathaus zu pendeln. Denn im normalen Straßenverkehr wollen wir das Fahrzeug derzeit noch nicht einsetzen: Es ist viel langsamer als ein Auto. Und würde ein fahrerloses VIPA in einen Unfall verwickelt, ist nicht klar, wer dann zur Rechenschaft zu ziehen wäre. Und jetzt solltet ihr den Weg freimachen. Sonst rührt sich das Fahrzeug nicht von der Stelle."

    Dafür sorgt der integrierte Abstandsmesser: VIPA stoppt automatisch, sobald einen halben Meter vor ihm ein Hindernis auftaucht. Handelt es sich beispielsweise um einen Fußgänger, der sich in dieselbe Richtung bewegt, rollt das Gefährt mit Sicherheitsabstand langsam hinterher. Die Schüler treten jetzt zur Seite und das Elektromobil fährt fast geräuschlos an. Es schafft 20 Kilometer pro Stunde Spitze und verfügt über eine Autonomie von 100 Kilometern, soll heißen: einen Tag Shuttledienst. Nun fährt VIPA auf dem Vorplatz in Provins präzis und autonom eine vorgegebene Strecke ab. Dank seines integrierten visuellen Gedächtnisses, sagt Michel Dhome, CNRS-Forscher und Leiter der Laborgruppe bei der Probefahrt:

    "Bei der Jungfernfahrt auf einer neuen Strecke wird das Gefährt von einem Fahrer gesteuert. Die Videokamera auf dem Dach zeichnet dabei die Umgebung der Strecke auf und speist die Bilder in den Bordcomputer ein. Der errechnet eine 3D-Karte des Umfelds. Und bestimmt außerdem signifikante Fixpunkte auf der Strecke, die abgespeichert werden. Sehen Sie, auf dem Bildschirm sind die Umrisse des Daches und der Fenster des Gebäudes, auf das wir zusteuern, mit flimmernden gelben Punkten markiert. Bei jeder autonomen Fahrt bestimmt der Bordcomputer unermüdlich den Standort, indem er die aktuellen Videobilder mit der abgespeicherten Karte vergleicht. Das Gefährt weicht weniger als zehn Zentimeter vom Kurs ab. Sollte allerdings eine Baustelle die Wegführung verändern, müsste VIPA bei einer bemannten Fahrt erneut initialisiert werden."

    VIPA stoppt plötzlich. Das Labormodell ist Marke Eigenbau und längst nicht so robust wie das Gefährt, das 2011 in den Handel kommen soll, ausgelegt auf sechs Fahrgäste und ausgestattet mit zwei Kameras, an Heck und Bug. Dank derer soll VIPA problemlos vorwärts und rückwärts fahren können. Und es ist sogar, anders als GPS-gesteuerte Fahrzeuge, auch innerhalb von Gebäuden einsetzbar. Mit ihrem Labormodell tüfteln die Forscher an der Weiterentwicklung des Systems:

    "Wenn VIPA auf ein unbewegliches Hindernis stößt, sitzt das Gefährt derzeit erst mal fest. Aber wir arbeiten im Labor am Thema Hindernisumgehung. Das allerdings stellt eine große Herausforderung dar. Denn dann muss VIPA den verbleibenden Rangierabstand auf der Strecke abmessen können. Um zu bestimmen, ob überhaupt genügend Platz für ein Ausweichmanöver bleibt."