Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"fahret ins Loch hinein, das ihm der Speer geritzet"

Sein großes Werk begann 1722, als er Glaubensflüchtlingen Asyl gewährte. Mit seiner Frau Erdmuthe, die er im selben Jahr heiratete, siedelte er die Flüchtlinge auf seinem Adelsgut an. Die Brüdergemeinde wurde geboren.

Von Peter Hertel | 09.05.2010
    Jesu, geh voran. Der Klassiker in den Liedern des Reichsgrafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf und Pottendorf. Singen half ihm, Gemeinschaft zu stiften:

    "Eine Gemeinde ohne Lieder kann keine Freude auf der Welt haben."

    Mehr als 2000 Lieder soll Zinzendorf gedichtet haben. Doch berühmt wurde er, weil er die Herrnhuter Brüdergemeinde ins Leben gerufen hat, die auch "Moravian Church – Mährische Kirche" genannt wird. Schon zu seinen Lebzeiten breitete sie sich in alle Welt aus. Einer der Biografen Zinzendorfs, der Leipziger Theologe Peter Zimmerling, kommt zu dem Urteil:

    "Er ist eine geniale Persönlichkeit. Herder zum Beispiel, Gottfried Herder, schreibt von ihm, dass Zinzendorf als ein Eroberer aus der Welt gegangen sei, wie es keinen anderen im 18. Jahrhundert gegeben habe."

    Begonnen hatte alles in der Oberlausitz zwischen Löbau und Zittau, im Jahre 1722. Zinzendorf hatte auf seinem Gut Berthelsdorf Glaubensflüchtlingen - vor allem aus Mähren - Asyl gewährt. Er selber war damals Jurist in Dresden; denn schon bald nach seiner Geburt - am 26. Mai 1700 - war sein Vater gestorben, und die Familie hatte über ihn verfügt, dass er seinem Berufswunsch, nämlich Pfarrer zu werden, nicht nachgehen dürfe. Dann aber, 27 Jahre alt, quittierte er den verordneten juristischen Staatsdienst und zog auf sein Gut, das er "Herrnhut" - Siedlung unter der Hut des Herrn - nannte. Eine neue christliche Glaubensgemeinschaft entstand.
    In Herrnhut herrschten unter den 300 Einwanderern zunächst unterschiedliche religiöse Überzeugungen, die Parteien stritten miteinander. Dem neuen Oberhaupt, das sich vor allem als Seelsorger verstand, gelang überraschend und schnell eine Einigung.

    "Männer und Frauen bezeugen, dass in einem Gespräch mit Zinzendorf sich ihre ganz schwerwiegenden Probleme oft einfach aufgelöst hätten."

    Ein Adeliger - schöpferisch, charismatisch, aber deshalb auch vielen suspekt. 1736 wurde er aus Kursachsen verbannt, weil er mährischen Untertanen zur Flucht verhelfe.
    Als Prediger des Evangeliums reiste Zinzendorf nun durch Europa und sogar nach Amerika. Viele neue Stützpunkte der Brüdergemeinde wurden während seiner elfjährigen Verbannung gegründet - auch in Deutschland, beispielsweise Herrnhag in Hessen. Vor allem dort wähnten sich die Erweckten sozusagen schon im Himmel und feierten fröhliche Feste in allzu üppiger Lustbarkeit. Zinzendorf erkannte den Irrweg und schrieb Strafbriefe aus London:

    "Wer beim Friedens- und Abendkuss küsst, dass es schmatzt und die respektable Gemeinart entweder nicht kann oder nicht will lernen, der soll nach zweimaliger Erinnerung vom Küssen wegbleiben."

    1755 kehrte Nikolaus von Zinzendorf nach Herrnhut zurück. Am 9. Mai 1760 ist er dort gestorben.

    Von seinen Liedern haben nur fünf Eingang gefunden ins evangelische Kirchengesangbuch von heute. Manche Texte und Gedichte dieses spätbarocken Dichters sind nicht nur schwülstig - sondern auch jenseits der Geschmacksgrenzen von heute, zum Beispiel wenn er die Sünderlein mahnt, als Kreuz-Luft-Vögelein in die Seitenwunde des gekreuzigten Jesus von Nazareth hineinzutauchen, um ihn zu lieben:

    Kränkelnd vor Liebespein
    nach Jesu Seitenschrein ...
    Seid Kreuz-Luft-Vögelein
    und Täucherlein,
    fahret ins Loch hinein,
    das ihm der Speer geritzet.


    Weit verbreitet sind auch heute die "Herrnhuter Losungen", eine Sammlung von Bibelversen für jeden Tag eines Jahres. Die erste Losung hat Zinzendorf 1728 seiner Gemeinde gegeben. Die Gemeinschaft, die er gegründet hat, ist heute in Deutschland der evangelischen Kirche, der EKD, angegliedert - als eine von 19 selbstständigen Kirchen einer internationalen Vereinigung, die weltweit gut 800.000 Mitglieder hat.