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Fair, effizient und weltoffen

"Österreich darf nicht sitzen bleiben" - unter diesem Motto steht ein Volksbegehren für eine Bildungsreform in der Alpenrepublik. Zwei Tage lang kann man noch seine Unterschrift leisten. Ab 100.000 Stimmen muss sich der Nationalrat mit den Anliegen der Initiative befassen.

Von Jörg Paas |
    Ein faires, effizientes und weltoffenes Bildungssystem, das schon im Kleinkindalter Stärken fördert und Schwächen ausgleicht. Das ist im Kern das Ziel des Bildungsvolksbegehrens unter dem Motto "Österreich darf nicht sitzen bleiben".

    Erreicht werden sollen die darin formulierten Ziele unter anderem durch autonome Schulen ohne Parteieneinfluss, durch mehr Ganztagsangebote, eine Aufwertung des Lehrberufs, mehr Geld für die Universitäten und - wie es offiziell heißt - eine leistungsdifferenzierte und hochwertige gemeinsame Schule bis zum Ende der Schulpflicht.

    Das Reizwort "Gesamtschule" wird also nicht in den Mund genommen, die Forderung nach einer gemeinsamen Schule aller 10- bis 14-Jährigen aber trotzdem aufgestellt.

    Angeregt hat das Volksbegehren der Industrielle und Ex-SPÖ-Vizekanzler Hannes Androsch. Vorbild ist für ihn Finnland. Dort, so sagt er, sei schon vor 20 Jahren mit großem Erfolg eine Bildungsreform gestartet worden:

    "Was wir brauchen, ist eine Finnlandisierung unseres Bildungssystems durch einen österreichischen Bildungsfrühling oder durch einen kräftigen Herbststurm, der da Bewegung in den Stillstand hineinbringt."

    Eine Woche lang liegt das Bildungsvolksbegehren in allen österreichischen Gemeindeämtern zur Unterschrift aus. 52.000 Unterstützungserklärungen wurden bereits im Vorfeld gesammelt. Wenn 100.000 Menschen unterschreiben, muss das Anliegen im Parlament diskutiert werden. Die Initiatoren sind zuversichtlich:

    "Es kann nicht sein, dass alles gleich bleibt, wie es in meiner Schulzeit war. Das geht nicht. Wir wollen, dass sich etwas ändert, vor allem, dass das Schulsystem gefördert wird. Es geht jetzt gar nicht darum, dass jede einzelne Forderung sofort umgesetzt wird, sondern darum, dass ganz viele Menschen unterschreiben und der Druck auf die Politik groß ist, dass man mal sagt, okay, wir überwinden unsere parteipolitischen Gräben."

    Über die Notwendigkeit einer Reform herrscht unter den österreichischen Bildungsexperten noch weitgehend Einigkeit. Bei der Frage, ob das Volksbegehren in die richtige Richtung zielt, scheiden sich jedoch die Geister.

    Heidi Schrott, früher selbst Schulleiterin und heute führende Unterstützerin des Volksbegehrens, sagt: So krank, wie das Schulsystem ist, hilft nur eine Radikalkur:

    "Meines Erachtens kann nur eine grundlegende Reform die österreichische Schule wieder im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig machen, und die Forderungen des Bildungsvolksbegehrens reißen die Bereiche an, um die es geht."

    Anders sieht das ihr Exkollege Günther Schmid, früher Direktor einer Schule für Hochbegabte. Österreichs Schulsystem sei im internationalen Vergleich sehr gesund, sagt Schmid.

    "Die Hauptkrankheit erblicke ich darin, dass Nichtfachleute, Ideologen, Leute, die mit Bildung nichts am Hut haben, hier ununterbrochen sich einmischen und versuchen, am Bildungssystem etwas herumzubasteln."

    Als Reaktion auf das Volksbegehren hat Günther Schmid die Bildungsplattform "Leistung und Vielfalt" gegründet. Vor allem die Forderung nach Gesamtschulen ist ihm ein Dorn im Auge:

    "Jedes Kind ist anders. Wir sollten visionär denken und eine möglichst breite Vielfalt aufbauen, um jedem Kind gerecht zu werden."

    Heidi Schrott geht es bei der Einführung einer gemeinsamen Schule bis zum Ende der Schulpflicht in erster Linie darum, soziale Ungerechtigkeiten abzubauen. Auf den Einwand, die Gesamtschule habe sich in anderen Ländern wie etwa in England nicht bewährt, antwortet sie:

    "Ich denke, wir müssen uns an denen orientieren, wo es gut funktioniert: Kanada, Finnland oder - wenn es ein eigenes Land wäre - Südtirol."

    Um die Universitäten mit mehr Geld auszustatten, fordern die Initiatoren des Volksbegehrens, der Staat solle künftig fünf Prozent von Österreichs Wirtschaftsleistung für Lehre und Forschung an den Hochschulen zur Verfügung zu stellen. Die stets von Neuem diskutierte Wiedereinführung von Studiengebühren würde sich dadurch komplett erübrigen.