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Fair Trade: Kaffeetrinken und Gutes tun

Mehr Ethik in der Wirtschaft! Aufforderungen dieser Art richten sich meist an Unternehmen, seltener an Konsumenten. Dabei kann ethisches Wirtschaften nur im Doppelspiel beider Seiten gelingen. Das Kulturwissenschaftliche Institut Essen hat in einer Konferenz die Rolle der Konsumenten in den Blick genommen, die dabei nicht nur gut wegkamen.

Von Kersten Knipp | 29.12.2011
    Gibt es beim Konsum einen moralischen Mehrwert? Ja, aber durchweg verlockend ist er nicht. Es ist ein schönes Gefühl, Kleinbauern aus Guatemala zu einem besseren Einkommen zu helfen, indem man sich für Kaffee aus ihrer Produktion entscheidet, anstatt für das Angebot eines Handelsriesen, das unter weniger fairen Konditionen produziert worden sein mag, dafür aber erheblich günstiger ist. Und so wird er leicht schwach, der Wille zum verantwortungsbewussten Konsum. Erstaunlich sei das nicht, erklärt der in Sankt Gallen lehrende Wirtschaftsethiker Thomas Beschorner. Denn der Widerspruch zwischen Sprechen und Denken auf der einen und dem Handeln auf der anderen Seite sei fast unvermeidlich.

    "Also wir haben es bei Personen oft zu tun mit fast einer Schizophrenie. Zum einen sind wir alle Bürger und äußern uns dann beispielsweise kritisch gegenüber Wirtschaft und Unternehmen im Allgemeinen. Und auf der anderen Seite sind wir Konsumenten und handeln gar nicht nach dieser Maxime. Und das muss man ... auch den Personen, den Individuen sagen. Also wir können nicht permanent als Bürger kritisieren, was wir als Konsumenten letztlich nicht einlösen."

    Ein solches Verhalten ist aber nicht ungewöhnlich, im Gegenteil: Ihre guten Vorsätze halten Konsumenten in den allermeisten Fällen nicht ein. In der Regel, haben Untersuchungen ergeben, setzen die Konsumenten nur zehn Prozent ihre ethischen Absichten um. "Mind Bahavior Gap" heißt diese Kluft zwischen moralischem Gerede und ethischem Handeln. Konsumenten, erklärt der in Kassel lehrende Wirtschaftsethiker Michael Aßländer, sind launische, wenig konsequente Wesen.

    "Man hat sich daran gewöhnt, auf Umweltpapier zu schreiben - wunderbar. Man hat sich aber auch daran gewöhnt, gleichzeitig das neueste Handy am besten mit Touchscreen, unter Verwendung seltener Erden wie Koltan oder so etwas immer in der neuesten Version zur Verfügung zu haben. Also insofern ist die gleiche Generation, die einerseits sagt, wir verhalten uns umweltbewusst auf der anderen Seite auch sehr inkonsistent in ihrem Verhalten."

    Und doch, es ändert sich etwas, erklärt der Philosoph Ludger Heidbrink vom Kulturwissenschaftlichen Institut Essen. Noch mögen moralisch oder politisch motivierte Kaufentscheidungen die Ausnahme bilden, aber angesichts der ökonomischen und ökologischen Entwicklungen der jüngsten Zeit hätten ethische Argumente bei Konsumentscheidungen doch Auftrieb erhalten.

    "Ich glaube, dass das eine große Rolle spielt, dass wir die Grenzen des Wachstums im Blick haben. Ich würde es nur nicht als generellen Wandel bezeichnen, sondern als partiellen Wandel, weil das Problem ist ja immer das gleiche: Die meisten Menschen wissen, dass bestimmte Grenzen erreicht sind – "peak of oil" und andere peaks, die jetzt auf uns zukommen, also Höhepunkte der Energieförderung in bestimmten Bereichen, die jetzt überschritten werden. Wir müssen uns also jetzt auf eine Zeit einstellen, in der die Ressourcen immer knapper werden. Das geht mit erhöhten Kosten einher, deswegen interessieren sich ja auch die Unternehmen für diese Entwicklung."

    Ohnehin hätten nur die wenigsten Unternehmensführungen etwas dagegen, bei ihren Produkten auf moralische Standards zu setzen. Allerdings sind sie dabei stark auf die Konsumenten angewiesen. Natürlich, meint Michael Aßländer: Es gebe Unternehmen,

    "... die sagen, ja, wir wollen diesen Markt bedienen, weil wir selbst erkannt haben, dass wir nur nachhaltig produzieren können auf Dauer – und dann vor dem Problem stehen, dass dieses Marktsegment für ein Gesamtsortiment, ich sage mal im Sportartikelbereich, eigentlich zu klein ist. Und damit klafft die Schere auseinander: Auf der einen Seite haben wir Konsumenten, die den Wunsch haben, entsprechende Produkte zu kaufen, die nicht durchgängig angeboten werden. Auf der anderen Seite, dass wir Unternehmen haben, die bereits wäre, sie herzustellen, aber dann eben nicht auf die entsprechende Käuferschicht treffen."

    Moralischer Konsum ist derzeit in den Medien ein großes Thema. Zahlreiche Buchveröffentlichungen haben sich hm gewidmet. Deren Titel sind reißerisch. Allein aus ihnen ließe sich eine kurze Geschichte der Empörung schreiben: Die Konsumenten sind in die Falle gegangen: Die "Ernährungsfalle", wie ein Buch heißt. Gut nur, dass die deutsche Buchindustrie ihn aufklärt und warnt: vor "Essenfälschern" und "Essenvernichtern", vor der "Ernährungslüge" und der "Joghurtlüge", ausgedacht von den Vertretern einer ominösen "Ernährungsdiktatur". Selbst dem vermeintlich Guten, erkennt der verschreckte Leser, kann er nicht mehr trauen. Was bis gestern noch wahr und richtig schien, ist inzwischen auch demaskiert: als "Bio-Bluff" und "Öko-Lüge". Was an diesen Titeln auffällt, ist die klare Einteilung der Welt: Hier die böse Industrie, dort die guten Konsumenten. Aber, meint Thomas Beschorner, so einfach ist es nicht.

    "Wirtschaft ist internationalisiert und globalisiert. Und das bringt uns eben zu diesen ethischen Fragen und den Fragen, wer sind eigentlich die relevanten Akteure? Wer kann da eigentlich mitmachen' Unternehmen haben wir seit einigen Jahren im Blick. Und genauso wichtig ist der zweite ökonomische Akteur, nämlich der Konsument. Und wenn man das richtig angeht, würde ich sagen, das Interessante ist jetzt nicht eine Unternehmensethik an sich oder eine Konsumethik oder Konsumentenethik an sich. Das Interessante ist eigentlich die Schnittstelle. Was findet eigentlich an der Schnittstelle statt? Und wie können wir es hinbekommen, da eine interessante Dynamik hinzubekommen?"

    Wie das gelingen könnte, ist aus der Konsumforschung bekannt. Kaufentscheidungen, hat man dort herausgefunden, kann man in die unterschiedlichsten Richtungen beeinflussen. Beim ethischen Konsum kommt es darauf, entsprechende Überlegungen der Konsumenten zu unterstützen. Das mag durch einfache Dinge wie ansprechende Verpackung oder zusätzliche Informationen über die Art der Hilfe geschehen. Durchaus sinnvoll sind aber auch andere Arrangements, auch solche, die auf die Konsumenten einen kaum wahrnehmbaren Druck ausüben. Ludger Heidbrink:

    "Das Umfeld ist wichtig, der Kontext ist wichtig. Also Menschen neigen dazu, sich in ihrem Handeln an anderen Menschen zu orientieren. Es gibt eine sehr starke soziale Komponente das hat man auch in vielen Experimenten herausgefunden: Wenn andere sich so oder so verhalten, dann ahmt man das nach. Wenn man ... beobachtet wird bei bestimmten Einkaufssituationen, ist man eher bereit, nachhaltige Produkte zu kaufen, als wenn man nicht dabei beobachtet wird. Und es zählen einfach die ... Hürden, die möglichst niedrig gemacht werden müssen, damit man bereit ist, sich an nachhaltigen Konsumformen und –praktiken zu beteiligen."

    Moral, das zeigt sich auch im Bereich des ethischen Konsums ist ein schwaches, oft allzu schwaches Motiv. Insofern sind Konsumenten, wenn sie die Industrie kritisieren, gut beraten, auch das eigene Kaufverhalten kritisch unter die Lupe zu nehmen. Es zeigt sich dann, dass sich die Verantwortung ethischen Wirtschaftens auf zwei Seiten verteilt, die der Unternehmen ebenso wie die ihrer Kunden. Ethisch zu produzieren, ist ein Gebot der Stunde. Ethisch zu konsumieren allerdings nicht minder.