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"Faire und gerechte Lösung" für Erben Flechtheim

Die Erben des jüdischen Sammlers Alfred Flechtheim erhalten für ein Werk, das heute im Kunstmuseum Bonn steht, die Hälfte des aktuellen Marktwertes. Eine spektatuläre Einigung. Denn viele dieser Raubkunstfälle aus der NS-Zeit kommen nicht zu einer so klaren Einigung gemäß der "Washingtoner Erklärung".

Stefan Koldenhoff im Gespräch mit Karin Fischer | 12.04.2012
    Karin Fischer: Zuerst aber nach Bonn, wo das Kunstmuseum heute neue Maßstäbe im wohl wichtigsten deutschen Raubkunstfall gesetzt hat. Es geht um ein Werk von Paul Adolf Seehaus, den "Leuchtturm mit rotierenden Strahlen", das aus der Sammlung Alfred Flechtheims stammt. Im Herbst 2009 hatten die Erben des jüdischen Kunstsammlers und Galeristen das Kunstmuseum Bonn um die Restitution dieses Bildes ersucht. Heute wurde in Bonn die Einigung mit den Erben verkündet, Frage an meinen Kollegen Stefan Koldehoff, der solche Restitutionsfälle beobachtet: Wie sieht diese Einigung denn aus?

    Stefan Koldehoff: Sie sieht zunächst mal so aus, dass das Bild hängen bleiben kann in Bonn, und darüber ist man sehr glücklich, denn es ist ein für die Sammlung durchaus wichtiges Bild, weil es in den Kontext der rheinischen Expressionisten gehört, die in Bonn sehr gut vertreten sind. Der Verein der Freunde des Kunstmuseums - so etwas gibt es glücklicherweise in Bonn - hat sich sofort bereit erklärt, die Hälfte des zurzeit geltenden Marktwertes dieses Bildes - das ist eine geringe fünfstellige Summe so zwischen 20.000 und 30.000 Euro an die Erben nach Alfred Flechtheim zu zahlen, und das ist die sogenannte "faire und gerechte Lösung", die man sich seit 1998 zu suchen bemüht in Fällen, die unter die sogenannte Washingtoner Erklärung fallen, also eigentlich längst verjährt sind, aber nach moralischen Kategorien noch mal aufgearbeitet werden sollen.

    Fischer: Alfred Flechtheim ist 1933 emigrieren, musste emigrieren, müsste man wohl sagen, ein Mitarbeiter hat damals offenbar die Galerie unter eigenem Namen weiter geführt. Nun sind die Besitzstände solcher Werke ja häufig so kompliziert wie die Wirrnisse des Zweiten Weltkriegs selbst. Wie geht die Geschichte des "Leuchtturms"?

    Koldehoff: Sie ist nicht wirklich zu klären. Es ist zu klären, dass sich das Bild bis 1932 definitiv noch im Privatbesitz von Alfred Flechtheim befunden hat. Damals hat er es nämlich mit dieser Besitzangabe an eine Ausstellung in der Nationalgalerie in Berlin ausgeliehen. Was dann passierte, als Flechtheim als Jude 1933 sehr schnell Deutschland verlassen wollte und musste, das ist ungeklärt. Das hat Stephan Berg, der Direktor des Kunstmuseums in Bonn, heute Morgen bei der Pressekonferenz auch noch mal eindrücklich bestätigt. "Wir wissen nicht genau, was passiert ist", hat er gesagt, "aber dennoch folgen wir hier der sogenannten Washingtoner Erklärung von 1998", die nämlich sagt, wenn ein Museum in öffentlicher Trägerschaft nicht vollkommen lückenlos nachweisen kann, dass es berechtigter Eigentümer eines Werkes ist, dann muss bitte geforscht werden und dann muss, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind - Abgabe unter Druck, kein fairer Kaufpreis gezahlt, Empfänger konnte nicht über den Kaufpreis frei verfügen, sondern musste beispielsweise Judenvermögensabgabe davon bezahlen -, dann muss über eine solche Lösung nachgedacht werden. Und deswegen lautet der entscheidende Satz auch in der Erklärung des Kunstmuseums: "Hätte es die nationalsozialistische Gewaltherrschaft nicht gegeben, so wäre Flechtheim nicht gezwungen gewesen, Deutschland zu verlassen, und hätte nach freiem Willen über sein Eigentum verfügen können." Man anerkennt also die Verfolgung des Juden Alfred Flechtheim 1933 und man sagt, weil das gegeben ist, sind wir der Meinung, dass wir tätig werden mussten. Das ist schon recht einzigartig.

    Fischer: Das scheint mir ja tatsächlich das Besondere in dieser Situation zu sein, dass Bonn dieses "Verfolgungsschicksal" Flechtheims unumwunden anerkennt, die juristischen Auseinandersetzungen dadurch auch vermeiden konnte. Allerdings ist dieser Satz ja nun so allgemein, dass mit ihm ja tatsächlich auch sozusagen eine Revolutionierung der Rückgabepraxis in Deutschland zu gewärtigen sei.

    Koldehoff: Na ja, es ist zunächst mal der Satz, dem tatsächlich 1998 die Bundesrepublik zugestimmt hat in Washington und der dann ein Jahr später noch mal von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden für alle Museen in Deutschland in öffentlicher Trägerschaft so bestätigt wurde. Also man hat sich dem zunächst mal unterworfen. Das bedeutet aber nicht automatisch, wenn man die Verfolgung eines Sammlers anerkennt, dass dann auch automatisch jedes Bild zurückgegeben werden muss. Der Anwalt der Flechtheimerben, Markus Stötzel, hat das heute Morgen noch mal erklärt. Es gab ursprünglich rund 50 Bilder, bei denen man der Meinung war, es könnten Restitutionsbilder sein. Da hat man dann sehr, sehr vorsichtig ...

    Fischer: Aus seiner Sammlung?

    Koldehoff: ... aus der Sammlung Alfred Flechtheim. ... sehr vorsichtig noch mal bei den Museen nachgefragt, wie seht ihr das denn, und dann gab es einige Häuser, zum Beispiel das Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal, die sofort angefangen haben zu recherchieren, festgestellt haben, nein, diese Bilder sind vor 1933 gekauft worden, wir können noch Belege dafür beibringen, und damit sind die Bilder sozusagen raus. Also nicht jedes Bild, das einmal Flechtheim gehört hat, ist damit automatisch ein Restitutionsbild.

    Fischer: Was bedeutet das allerdings jetzt für die restlichen Verhandlungen in Sachen Sammlung Flechtheim? Was erwarten Sie?

    Koldehoff: Andere Museen, die ebenfalls konfrontiert sind, beispielsweise in Köln, in Düsseldorf, in München, andere große Museen in Deutschland verhalten sich anders. Die stellen zum Teil infrage, dass Flechtheim überhaupt 1933 schon verfolgt war, argumentieren, das sei doch erst mit den Rassegesetzen oder der Pogromnacht der Fall gewesen. Sie stellen auch in Abrede, ob er tatsächlich unter Zwang oder nicht aus wirtschaftlichen Gründen verkauft habe. Ich glaube, dass sich diese Häuser auf diese Position jetzt nicht mehr zurückziehen können und gut überlegen müssen, wie sie in Zukunft argumentieren.

    Fischer: Herzlichen Dank, Stefan Koldehoff, für diese Bewertung der Einigung der Erben von Alfred Flechtheim mit dem Kunstmuseum Bonn im Fall des "Leuchtturm"-Gemäldes von Paul Adolf Seehaus.