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Fakt oder Fiktion?
Das genetische Phantombild

Speichel, Blut oder Haare: Aus biologischen Spuren eines Menschen könnten Rechtsmediziner viele Erkenntnisse gewinnen. Doch wie real sind sogenannte genetische Profile? Darüber diskutieren Wissenschaftler auf der Frühjahrstagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin in Köln. Vor Ort war Wissenschaftsjournalist Michael Stang.

Michael Stang im Kollegengespräch mit Lennart Pyritz |
    Computergrafik zur Genforschung
    Wie real sind sogenannte genetische Profile, die in Fernsehkrimis mittlerweile zum Standardrepertoire gehören? (imago/Sciepro/Science Photo Library)
    Lennart Pyritz: Was lässt sich denn aus einer Probe tatsächlich alles herauslesen?
    Michael Stang: Im Prinzip eine Menge, denn langfristiges Ziel von Rechtsmedizin, Polizei und Staatsanwaltschaft ist ja die Erstellung eines exakten Phantombilds aus einer biologischen Spur. Doch vieles davon ist noch Zukunftsmusik, denn ein Großteil der Methoden befindet sich noch im Forschung- oder Experimentierstadium, zudem gibt es rechtliche Schranken. Bislang darf in Deutschland bei einer solchen forensischen Genetik-Analyse an äußerlich sichtbaren Merkmalen nur das Geschlecht ermittelt werden.
    Pyritz: Wenn in der täglichen Polizeiarbeit beziehungsweise in der Rechtsmedizin damit viele Methoden noch keine Routine sind, welche haben denn das Potenzial bald Einzug in den Untersuchungsalltag zu finden?
    Stang: Es gibt eine ganze Reihe verschiedener Methoden, die sich mit dem genetischen Erkennen von äußeren Merkmalen beschäftigen. Ganz weit vorn sind Methoden, die die Haarfarbe, die Augenfarbe und die Hautfarbe genetisch festmachen können, vor allem wenn es keine Mischfarben sind, wie etwa grüne Augenfarbe. Diese Methoden haben teilweise sehr gute Trefferquoten: eine helle Hautfarbe lässt sich gar auf 99,9 Prozent Genauigkeit bestimmen, rote Haare zu 97 Prozent genau. Ziel ist, bei allen Untersuchungen auf mehr als 98 Prozent zu kommen. Dann könnten diese Methoden vielleicht auch irgendwann juristisch verwertbar eingesetzt werden. Dann gibt es Forschungsprojekte, die vielversprechend, aber erst noch am Anfang sind, da geht es etwa um die Bestimmung der Gesichtsform, der Form der Haare, ob jemand Sommersprossen hat, die Ohrläppchen frei liegen oder angewachsen sind, ebenso gibt es genetische Marker, die zeigen, ob jemand ein Kinngrübchen hat oder nicht. Und gibt es Ansätze zur Körperhöhen- und Altersbestimmung.
    1,5 Millionen nicht zugeordnete Tatortspuren in der europäischen DNA-Datenbank
    Pyritz: Auf welche Stellen im Erbgut konzentrieren sich die Forscher da?
    Stang: Bei diesen neuen Methoden geht es um sogenannte SNPs, das sind Einzelnukleotid-Polymorphismen, also Variationen eines einzelnen Basenpaares in einem DNA-Strang. Diese Variationen werden vererbt, die Forscher kennen mittlerweile mehr als 10 Millionen verschiedener SNPs und je nach Häufigkeit und Kombination im Genom einer Person stehen sie eben für bestimmte äußerliche Merkmale. Zur Bestimmung der Hautfarbe reichen manchmal schon 10 verschiedene SNPs aus, bei der Körperhöhenbestimmung braucht man mehrere hundert.
    Pyritz: Sie haben vorhin erwähnt, dass es rechtliche Hürden gibt. Machten die Rechtsmediziner auf der Tagung heute einen frustrierten Eindruck, dass sie viel mehr herausfinden könnten, aber nicht dürfen?
    Stang: Bei Gesprächen vor und nach dem Vortrag kam das teils zur Sprache, also dieses "wenn wir dürften, was wir könnten", aber allen ist klar, dass die Methoden sicher sein müssen, das Gesetz die Bürger ja auch schützt und alles nur in Zusammenarbeit mit Polizeiarbeit und Justiz passieren darf. Klar ist aber, dass die Zahl der Straftaten enorm ist - in der europäischen DNA-Datenbank gibt es mittlerweile 1,5 Millionen nicht zugeordneter Tatortspuren, das heißt genetische Profile von Personen, die man nicht kennt. Herausfinden könnte man vieles, - soweit so theoretisch - die Kölner Staatsanwaltschaft, die bei der Tagung vertreten war, hat dazu natürlich keine Stellungnahme abgegeben, denn die rechtlichen Rahmenbedingungen für solche Untersuchungen sind in Deutschland nicht geklärt. In anderen Ländern wie in den Niederlanden hingegen schon.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.