Alle wollen ins WM-Finale – außer Frankreich. Dort hat das Endspiel schon längst angefangen. "Fin de Partie" heißt das Stück von Samuel Beckett: dort sitzt ein gelähmter Blinder in einem Rollstuhl und lässt sich von einem Sklaven bedienen, seine Eltern stecken in Mülltonnen und führen Selbstgespräche. Niemand hätte gedacht, dass dieser Klassiker des absurden Theaters einmal die Depression der französischen Nation spiegeln würde.
Und doch ist es so: Die desaströse Lage ihrer Nationalmannschaft hat den Franzosen die Augen geöffnet für ihre gesellschaftlichen Defizite. Es ist nicht nur so, dass Nationaltrainer Raymond Domenech wie ein Blinder auf seinem Stuhl sitzt und es geschafft hat, mit schwarzer Pädagogik die gesamte Mannschaft gegen sich aufzubringen. Das Desaster um Domenech hat die Nation nämlich erneut sensibilisiert für den Regierungsstil des Nicolas Sarkozy, der sich gerne als kleiner Sonnenkönig sieht – ähnlich wie der Fußballtrainer.
Der Streit in der Équipe Tricolore um Strategie und Taktik ist auch ein Streit um Umgangsformen, und er ist ein Streit zwischen gesellschaftlicher Ober- und Unterschicht, die in Frankreich besonders schlecht zusammenpassen. Der hochgebildete Domenech hat die Arroganz der Absolventen französischer Eliteschulen, er lässt sich von prolligen Einwanderersöhnen nichts erzählen. Die wiederum, Kinder der Vorstädte, sagen Dinge, die man in der guten Gesellschaft einfach nicht sagt.
Schon Zinedine Zidane, auch er aus den Pariser Betonsilos stammend, fehlten im letzten WM-Finale die Worte; zwar benutzte er den Kopf, aber in falscher Weise. Dass Kollege Anelka nun dem intellektuellen Trainer eine in Frankreich viel benutzte Obszönität an den Kopf warf, die man sonst auf dem Fabrikhof oder in Heimen für Schwererziehbare antrifft, zeigt der Nation gleichnishaft, dass manche Ideale der Französischen Revolution noch der Verwirklichung harren.
All der angestaute politische Frust entzündet sich publizistisch nun am Anblick der in sich zerstrittenen Nationalelf. War Frankreich nicht einst Garant für feinste Manieren und Nouvelle Cuisine? Für Existenzialismus, Strukturalismus, Dekonstruktivismus? Freiheit, ein bisschen Gleichheit, in manchen Pariser Vierteln sogar Brüderlichkeit? Dazu noch Atommacht? Force de Frappe? Und heute: sinkender Einfluss in Europa, stark nachlassende gesellschaftliche Solidarität.
Theatralische Intellektuelle, die nach der besten Pointe schielen, Nepotismus in der Politik. Die Romane, die früher Zola und Balzac schrieben, werden heute vom Boulevard verfasst, über Sarkozy und Carla Bruni, bisweilen auch über die Sozialistin Ségolène Royal, deren früherer Ehemann Francois Hollande jetzt die "Auflösung des Nationalgefühls" diagnostiziert.
Frankreich dekonstruiert sich selbst: Wenn 80 Prozent der Bürger eines Landes wünschen, ihre Nationalmannschaft möge sofort die Weltmeisterschaft verlassen, dann ist das nicht mehr Depression und auch nicht Scham, dann ist das Katatonie. Die Franzosen warten nicht mehr auf Godot, sie warten darauf, dass einer geht – Domenech, Anelka, die Nationalelf, und wer noch?
Vielleicht hat man sollte solche Stimmungen nicht unterschätzen, das politische Endspiel für Nicolas Sarkozy hiermit begonnen.
Und doch ist es so: Die desaströse Lage ihrer Nationalmannschaft hat den Franzosen die Augen geöffnet für ihre gesellschaftlichen Defizite. Es ist nicht nur so, dass Nationaltrainer Raymond Domenech wie ein Blinder auf seinem Stuhl sitzt und es geschafft hat, mit schwarzer Pädagogik die gesamte Mannschaft gegen sich aufzubringen. Das Desaster um Domenech hat die Nation nämlich erneut sensibilisiert für den Regierungsstil des Nicolas Sarkozy, der sich gerne als kleiner Sonnenkönig sieht – ähnlich wie der Fußballtrainer.
Der Streit in der Équipe Tricolore um Strategie und Taktik ist auch ein Streit um Umgangsformen, und er ist ein Streit zwischen gesellschaftlicher Ober- und Unterschicht, die in Frankreich besonders schlecht zusammenpassen. Der hochgebildete Domenech hat die Arroganz der Absolventen französischer Eliteschulen, er lässt sich von prolligen Einwanderersöhnen nichts erzählen. Die wiederum, Kinder der Vorstädte, sagen Dinge, die man in der guten Gesellschaft einfach nicht sagt.
Schon Zinedine Zidane, auch er aus den Pariser Betonsilos stammend, fehlten im letzten WM-Finale die Worte; zwar benutzte er den Kopf, aber in falscher Weise. Dass Kollege Anelka nun dem intellektuellen Trainer eine in Frankreich viel benutzte Obszönität an den Kopf warf, die man sonst auf dem Fabrikhof oder in Heimen für Schwererziehbare antrifft, zeigt der Nation gleichnishaft, dass manche Ideale der Französischen Revolution noch der Verwirklichung harren.
All der angestaute politische Frust entzündet sich publizistisch nun am Anblick der in sich zerstrittenen Nationalelf. War Frankreich nicht einst Garant für feinste Manieren und Nouvelle Cuisine? Für Existenzialismus, Strukturalismus, Dekonstruktivismus? Freiheit, ein bisschen Gleichheit, in manchen Pariser Vierteln sogar Brüderlichkeit? Dazu noch Atommacht? Force de Frappe? Und heute: sinkender Einfluss in Europa, stark nachlassende gesellschaftliche Solidarität.
Theatralische Intellektuelle, die nach der besten Pointe schielen, Nepotismus in der Politik. Die Romane, die früher Zola und Balzac schrieben, werden heute vom Boulevard verfasst, über Sarkozy und Carla Bruni, bisweilen auch über die Sozialistin Ségolène Royal, deren früherer Ehemann Francois Hollande jetzt die "Auflösung des Nationalgefühls" diagnostiziert.
Frankreich dekonstruiert sich selbst: Wenn 80 Prozent der Bürger eines Landes wünschen, ihre Nationalmannschaft möge sofort die Weltmeisterschaft verlassen, dann ist das nicht mehr Depression und auch nicht Scham, dann ist das Katatonie. Die Franzosen warten nicht mehr auf Godot, sie warten darauf, dass einer geht – Domenech, Anelka, die Nationalelf, und wer noch?
Vielleicht hat man sollte solche Stimmungen nicht unterschätzen, das politische Endspiel für Nicolas Sarkozy hiermit begonnen.