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Fall eines Ministerpräsidenten

Die Barschel-Affäre war einer der großen politischen Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie zog im Herbst 1987 den Rücktritt und später auch den Selbstmord des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel nach sich. Aufgedeckt wurde die Affäre um die Machenschaften in der Kieler Staatskanzlei durch eine Enthüllungsgeschichte des "Spiegels".

Von Wolfgang Stenke | 12.09.2007
    "Seit knapp zwei Wochen bin ich schwersten Vorwürfen ausgesetzt. Es war der Rat aller meiner Freunde in Partei, Fraktion und Regierung, darauf zu drängen, dass diese schweren Vorwürfe in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss geklärt werden sollten."

    Uwe Barschel (CDU), der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, war im September 1987 mitten im Landtagswahlkampf in einen Skandal verwickelt, der alle Zutaten eines Politkrimis hatte: Ausspähung des sozialdemokratischen Oppositionsführers Björn Engholm durch Privatdetektive, anonyme Strafanzeige gegen Engholm wegen Steuerhinterziehung, Anrufe eines angeblichen Arztes, der dem SPD-Spitzenkandidaten suggerieren wollte, er habe Aids. Dazu Barschels Wunsch nach Installation einer Wanze im eigenen Diensttelefon: Watergate an der Waterkant. In einer Pressekonferenz versuchte der Ministerpräsident, die Vorwürfe mit Hilfe eidesstattlicher Erklärungen seiner Mitarbeiter zu entkräften.

    "Über diese Ihnen gleich vorzulegenden eidesstattlichen Versicherungen hinaus gebe ich Ihnen, gebe ich den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Schleswig-Holstein und der gesamten deutschen Öffentlichkeit mein Ehrenwort - ich wiederhole: Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind."

    Der rasante Niedergang des christdemokratischen Spitzenpolitikers Barschel, der schon im Alter von 35 in Kiel zu Ministerwürden aufgestiegen war, begann am 12. September 1987 mit einer Vorabveröffentlichung des "Spiegels". Darin präsentierte das Nachrichtenmagazin unmittelbar vor dem Wahlsonntag einen Mitarbeiter des Kieler Ministerpräsidenten als Urheber jener Intrigen, die im Wahlkampf dem populären SPD-Spitzenkandidaten Engholm schaden sollten. Der Journalist Reiner Pfeiffer, zu Beginn der Wahlkampagne als Medienreferent für die Staatskanzlei engagiert, war ein Mann fürs Grobe. Dem "Spiegel" versicherte er nun, er habe mit Wissen und im Auftrag des Ministerpräsidenten gehandelt. Mit Pfeiffer als Kronzeugen enthüllte der "Spiegel" immer weitere Details dieser Wühlarbeit. Am 25. September 1987 erklärte Barschel:

    "Ich werde von meinem Amt als Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein zurücktreten. Der ehemalige Zeitangestellte in der Pressestelle der Landesregierung, Reiner Pfeiffer, hat schwere Verfehlungen, vielleicht sogar Straftaten begangen. Dafür übernehme ich die politische Verantwortung, obwohl sie ohne meine Mitwirkung und auch ohne mein Mitwissen geschehen sind."

    Zwei Wochen nach dem Rücktritt fanden zwei Reporter der Illustrierten "Stern" den 43-jährigen Barschel in einem Zimmer des Genfer Hotels Beau Rivage - tot, aber vollständig bekleidet in der gefüllten Badewanne.

    Zwei Untersuchungsausschüsse des schleswig-holsteinischen Landtages haben danach versucht, Licht in das Dunkel der Barschel-Affäre zu bringen, die zugleich auch eine Pfeiffer-Affäre war. Denn der sinistre Medienreferent hatte beizeiten schon Kontakte zur politischen Umgebung des SPD-Politikers Engholm, der 1988 bei der Neuwahl nach Barschels Rücktritt und Tod einen triumphalen Sieg errang. Fünf Jahre später musste auch Engholm zurücktreten, da ihm nachgewiesen wurde, dass er über Pfeiffers Machenschaften viel früher informiert war, als er vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages zugegeben hatte. Überdies kam heraus, dass der SPD-Pressesprecher Klaus Nilius Pfeiffer mit Zuwendungen von insgesamt 40.000 DM bedacht hatte - angeblich nur, um dem arbeitslosen Journalisten unter die Arme zu greifen.

    Schweigegeld oder eine avancierte Form der Sozialhilfe? Engholms politische Karriere war nach diesen Enthüllungen beendet. Um Barschels Tod, den die Ermittler als Selbstmord einstuften, rankten sich wilde Verschwörungstheorien - die DDR-Staatssicherheit, die CIA, der KGB und der israelische Mossad wurden dabei ins Spiel gebracht. Die Lübecker Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen in dieser Sache 1998 ein. Barschel, der nach schweren Verletzungen bei einem Flugzeugabsturz medikamentenabhängig war, starb nachweislich an einer Mixtur aus Barbituraten und Psychopharmaka. Seine Familie schenkt der Selbstmordtheorie weiterhin keinen Glauben . Sie forderte noch im August dieses Jahres die Bundesanwaltschaft auf, den Fall neu aufzurollen.