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Falsch gestecktes Kabel

Physik. - Nichts fliegt schneller als das Licht. So lautet die Basis von Albert Einsteins Relativitätstheorie und der gesamten Physik, die darauf aufbaut. Deshalb sorgte im vergangenen Jahr eine Nachricht für großes Aufsehen, ein Detektor in den Abruzzen habe Neutrinos aufgefangen, die schneller als das Licht geflogen seien. Jetzt wird die Sensation relativiert: Ein falsch gestecktes Kabel habe für Messfehler gesorgt. Der Wissenschaftsjournalist Frank Grotelüschen erklärt das Geschehen im Gespräch mit Monika Seynsche.

Frank Grotelüschen im Gespräch mit Monika Seynsche | 23.02.2012
    Seynsche: Herr Grotelüschen, was ist passiert?

    Grotelüschen: Ganz einfach: Offenbar war ein Kabel nicht richtig eingesteckt, jedenfalls eine gewisse Zeit lang. Und dieses schief eingesteckte Kabel könnte die Messergebnisse verfälscht haben, und das würde heißen: Neutrinos sind eben doch nicht schneller als Licht. Die Messdaten, die die Physiker im September vorgestellt hatten, wären dann schlicht fehlerhaft. Die Forscher hatten ja gemessen, wie lange Neutrinos von Genf, wo sie in einem Teilchenbeschleuniger erzeugt werden, brauchen bis nach Italien, wo in einer riesigen Höhle in den Abruzzen ein Neutrino-Detektor namens Opera steht. Das ist also eine Strecke von 735 km und im September hatten die Forscher Messdaten präsentiert, denen zufolge Neutrinos um 60 Nanosekunden zu schnell waren, um 60 Milliardstelsekunden. Und damit wären die Teilchen schneller gewesen als das Licht und das wäre laut Albert Einstein ein absolutes Unding gewesen.

    Seynsche: Ein schief eingestecktes Kabel. Was sollte das denn tun, dieses Kabel, eigentlich?

    Grotelüschen: Ja, das Kabel ist ein acht Kilometer langes Glasfaserkabel und führt aus dieser Höhle im Berg, in dem Opera eingebaut ist, nach draußen, und zwar zu einem GPS-Empfänger. Und dieser GPS-Empfänger ist ganz entscheidend für diese Geschwindigkeitsmessung der Neutrinos. Und zwar synchronisiert er zwei Atomuhren miteinander, die eine steht in Genf, wo die Neutrinos losgeschickt werden, die andere Atomuhr steht in Italien, wo die Neutrinos ankommen. Und damit man die Geschwindigkeit genau messen kann, müssen beide Uhren möglichst perfekt synchronisiert, also gut aufeinander abgestimmt werden. Und eigentlich gelingt das bei Opera sehr, sehr präzise. Beide Uhren sind bis auf eine Nanosekunde genau synchronisiert. Aber dieses Glasfaserkabel, das da schief eingesteckt war, hat diese Präzision womöglich verdorben und könnte genau jene Differenz von 60 Nanosekunden verursacht haben, die die Neutrinos angeblich zu schnell gewesen waren.

    Seynsche: Jetzt kann man ja immer mal ein Kabel falsch einstöpseln. Aber haben die Physiker im Zweifelsfall schlampig gearbeitet, indem sie ihre Ergebnisse zu früh herausposaunt haben, bevor sie sicher waren?

    Grotelüschen: Das würde ich nicht sagen. Denn zum einen haben die Physiker stets die Vorläufigkeit ihrer Resultate betont. Sie haben gesagt, dass es nötig sei, das Experiment nach allen möglichen Fehlerquellen zu durchleuchten. Und das ist wirklich kein Kinderspiel, denn dieser Opera-Detektor ist ein haushoher Klotz, gespickt mit unzähligen Sensoren, Kabeln und Schaltkreisen, also ein hochkomplexes Ding. Da kann vielleicht schon mal jemand an ein Kabel kommen, so dass es schief in seiner Buchse steckt, und für ein paar Wochen merkt das keiner. Außerdem muss man sagen, dass es noch gar nicht hundertprozentig feststeht, ob das fehlerhafte Kabel die Messungen wirklich verfälscht hat. Das werden erst neue Messungen endgültig zeigen, also Messungen mit korrekt eingestecktem Kabel. Erst wenn die Neutrinos dann nicht mehr schneller sind als das Licht, dann kann man sagen: 'Ja, wir haben den Fehler gefunden und es war ein ziemlich blöder Fehler.'

    Seynsche: Und wann sollen diese entscheidenden Messungen stattfinden?

    Grotelüschen: Ja, vielleicht schon ab März, spätestens aber ab Mai sind die geplant. Besonders wichtig ist dann dabei, dass auch zwei oder drei andere Neutrinokameras, die ebenfalls in dieser Höhle in den Abruzzen eingebaut sind, dass die ebenfalls die Geschwindigkeiten Neutrinos aus Genf messen werden. Das konnten die bislang noch nicht, die werden jetzt gerade darauf umgerüstet. Und in wenigen Monaten wird man dann eine viel breitere Datenbasis haben und sagen können, ob da definitiv ein Messfehler dahinter steckt, so wie es im Moment aussieht, oder ob nicht doch etwas dran ist an den überlichtschnellen Neutrinos. Es bleibt also spannend.

    Seynsche: Nehmen wir einmal an, dieser Messfehler bestätigt sich und die Neutrinos fliegen wirklich nicht schneller als das Licht. Wie, glauben Sie, werden die Physiker auf diese Meldung reagieren?

    Grotelüschen: Ja, die meisten, die dürfen doch erleichtert sein. Dann nämlich kann Einsteins Relativitätstheorie so bleiben, wie sie ist. Sie setzt ja voraus, dass nichts schneller fliegen kann als das Licht. Und das müsste dann nicht abgeändert, ergänzt oder modifiziert werden. Das wäre mathematisch gesehen, ja, ganz schön knifflig und auch ziemlich hässlich, kann man sagen. Andere Physiker dagegen dürfen vielleicht sogar etwas enttäuscht sein, wenn sich das ganze jetzt tatsächlich als Fehlalarm, als Fehlmessung herausstellt. Diese überlichtschnellen Neutrinos nämlich hätten durchaus so etwas sein können wie ein Fingerzeig auf eine neue Physik, eine neue Theorie, die wirklich noch grundlegender ist als Einsteins Relativitätstheorie. Und von so einer Supertheorie träumen manche Physiker schon lange. Und wenn jetzt irgendwie nur ein Messfehler dabei herauskommt, dann ist schon eine kleine Enttäuschung im Spiel.