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Falsch verbunden

Im Kalten Krieg ließen die Spione in Ost und West nichts unversucht, an Informationen aus dem feindlichen Lager zu kommen. In den 50er Jahren trieben US-Agenten vom Westteil Berlins einen Tunnel in den sowjetisch besetzten Teil der Stadt, um Telefongespräche abzuhören. Vor 50 Jahren flog die wenig effiziente Abhöraktion auf.

Von Otto Langels | 22.04.2006
    "An diesem Tage entdeckten unsere sowjetischen Genossen einen 300 Meter langen Spezialtunnel, der direkt von einer amerikanischen Armeefunkstation in West-Berlin Rudow unter unserer Grenze hinweg nach Altglienicke führte."

    Die deutsche Bevölkerung erfuhr zuerst aus dem DDR-Fernsehen, dass russische Telefontechniker am 22. April 1956 an der Grenze zwischen dem sowjetischen und amerikanischen Sektor Berlins auf einen Spionagetunnel gestoßen waren. Die Westalliierten leugneten jede Kenntnis von der unterirdischen Anlage, meldete der Ost-Berliner Rundfunk.

    "Mir ist von einem Tunnel nichts bekannt, sagte ein amerikanischer Sprecher, und meinte, die ganze Sache sei lächerlich. So können wir also in der Westpresse heute lesen, verehrte Hörer."

    Tatsächlich hatten der britische und amerikanische Geheimdienst knapp ein Jahr lang den Telefonverkehr der sowjetischen Streitkräfte in der DDR abgehört. In Zeiten des Kalten Krieges versuchten die Westalliierten, an geheime Pläne des kommunistischen Gegners heranzukommen. In Wien, das wie Berlin nach 1945 zunächst unter der gemeinsamen Verwaltung der vier Siegermächte stand, war es dem britischen Geheimdienst viermal gelungen, das sowjetische Telefonnetz anzuzapfen.

    Anfang 1954 erteilte CIA-Chef Allan Dulles den Auftrag, für Berlin eine ähnliche Lösung zu finden. Eine amerikanische Radarstation im Stadtteil Rudow im Süden Berlins schien dafür geeignet. Zusammen mit dem britischen Geheimdienst SIS trieben die Amerikaner von dort aus einen 450 Meter langen, unterirdischen Tunnel voran, der in den sowjetischen Sektor führte – zu einem Bündel von Telefonleitungen.

    ""Entlang der Straße nun, an der ich stehe in Altglienicke, führt ein Netz von dicken Telefonkabeln der Deutschen Post die wichtigsten Verbindungen in den Süden der Deutschen Demokratischen Republik und der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland","

    berichtete ein DDR-Hörfunkreporter nach der Entdeckung des Tunnels.

    Im Mai 1955 war die Röhre fertig. Techniker statteten sie mit modernen Abhöranlagen aus und zeichneten in den kommenden elf Monaten rund 440.000 Telefonate auf.

    ""Hier wurde also abgezapft, man sieht es ganz deutlich. Es sind neue Verbindungsstellen, bleigelötet, alles fein säuberlich gearbeitet. Hier wurde also abgezapft, mitgehört, weitergeleitet, von hier die Spionagearbeit der Amis betrieben."

    Was Amerikaner und Briten nicht wussten: Über ihr höchst geheimes Spionage-Projekt war die Gegenseite im Bilde.

    George Blake: "Nun muss ich Ihnen sagen, dass es unseren sowjetischen Genossen schon bekannt war, dass dieser Tunnel gebaut wurde, lange bevor der erste Spaten in den Grund gesteckt wurde."

    1980, nachdem ihm die spektakuläre Flucht aus einem englischen Gefängnis bis nach Ost-Berlin gelungen war, enthüllte der britische Doppelagent George Blake vor Stasi-Offizieren, dass er den sowjetischen Geheimdienst KGB über das Vorhaben informiert hatte. Um aber ihren Topspion nicht zu gefährden, ließen die Sowjets Amerikaner und Briten ungehindert den Tunnel bauen und das Telefonnetz anzapfen. Sonst hätten CIA und SIS womöglich nach einem Verräter in den eigenen Reihen gesucht.

    Als sowjetische Techniker schließlich scheinbar zufällig den Spionagetunnel entdeckten, täuschten sie Reparaturarbeiten an den Telefonleitungen vor, um nicht das Misstrauen der Gegenseite zu erregen.

    Blake: "Die sowjetischen Genossen haben das so gemacht, dass die amerikanischen und englischen Geheimdienste doch zu der Überzeugung gekommen sind, dass wirklich ein technischer Fehler in einem der Kabel war."

    Jahrelang waren die Westalliierten überzeugt, die sechs Millionen Dollar teure Investition im Berliner Untergrund habe sich gelohnt, bis die Enthüllungen des Doppelagenten George Blake bekannt wurden. CIA und SIS fragten sich, ob der KGB die Abhöraktion genutzt hatte, um den Westen im Kalten Krieg gezielt zu desinformieren. Blake wiederum erklärte 1997 in Moskau, er sei sicher, dass fast alle Informationen echt waren, die die Sowjets über die angezapften Telefonleitungen weitergegeben hatten.

    So war der Spionagetunnel in Berlin-Rudow eine spektakuläre Episode in der Geschichte des Kalten Krieges, die mehr über das Verwirrspiel der gegnerischen Geheimdienste als über ihre Effizienz aussagte.