Ist es denn möglich, dass eine falsche Patientin unter das Skalpell von Herzchirurgen gerät? Die Antwort ist ja. Der Fall hat sich irgendwo in den USA tatsächlich ereignet und ist der erste den Kaveh Shojania, Medizin-Professor an der Universität von Kalifornien in San Francisco in der Fachzeitschrift Annals of Internal Medicine aufgerollt hat:
Als Folge einer Serie kleiner Fehler, von denen einer auf eine Namensähnlichkeit zurückging, wurde eine Patientin anstelle einer anderen in den OP geschickt und über eine Stunde am Herzen operiert bevor man merkte, es war die falsche Patientin.
Krankenhaus, Ärzte und Schwestern bleiben in den Artikeln des Fachblattes anonym. Die Untersuchung wird von einem externen Arzt geführt, der den Ablauf der Ereignisse Schritt für Schritt analysiert, so als handle es sich um einen nuklearen Störfall oder einen Flugzeugabsturz.
Shojania geht es nicht darum, die Verantwortlichen dingfest zu machen, sondern darum die Muster und Routinen zu finden, die immer wieder zu schweren Fehlern führen.
44000 und 98000 Patienten in den USA sterben einem Bericht des dortigen nationalen Instituts für Medizin zufolge jährlich an den Folgen medizinischer Fehler. Umstrittene Zahlen zwar, aber in Deutschland fehlen sie völlig. Registriert werden hier nur die Beschwerden und die sich anschließenden Untersuchungen, wenn Patienten selbst einen Fehler erkennen. Einem Bericht des Robert-Koch-Institute zufolge erweisen sich etwa 12000 dieser Beschwerden ihm Jahr nach genauerer Prüfung als stichhaltig. Die Suche nach dem Schuldigen bleibt dabei oft erfolglos. Denn nicht nur fachliche Fehler der Ärzte führen zu Problemen. Sondern oft auch Defizite bei der Organistation in den Krankenhäusern, bei der Dokumentation der Krankheitsgeschichte und die Behandlung der Patienten in ungeeigneten Einrichtungen.
Der Amerikaner Kaveh Shojanja kann dieses Bild nur bestätigen. Behandlungfehler entstehen genauso wie große Katastrophen:
Wenn man sich den Atomunfall in Harrisburgh anschaut oder das Challenger Desaster, dann ist es meistens nicht eine besonders schlechte oder inkompetente Person, die einen schweren Fehler begeht.
So auch im Krankenhaus. Meistens fängt es damit an, dass im Haus etwas besonderes los ist, das nicht direkt mit dem Fehler zu tun hat. Es gibt etwa eine Knappheit beim Pflegepersonal. Deshalb sind die Leute, die ersatzweise auf der Station arbeiten, möglicherweise nicht so vertraut mit den Abläufen. In unserem ersten Fall war das eine der problematischen Feinheiten. Zwei Patientinnen mit ähnlichen Namen wurden jeweils auf Stationen versorgt, die eigentlich für andere Patienten zuständig sind.
17 verrschiedene kleine Fehler führten schließlich dazu, dass Jaon Morris anstelle von Jane Morrison anästhesiert und operiert wurde. Die Schwester, die in der Station anriefen und nach Jane Morrison fragte, benutzte nur den Nachnamen und keine Patientennummer. Sie bekam ein Fehlinformation darüber, wohin Frau Morrison verlegt worden war und landetet deshalb auf der Station von Frau Morris. Die Schwester auf dieser Station wunderte sich zwar, dass sie nichts von der OP von Frau Morris wusste, ging aber davon aus, sie sei nicht informiert worden. Niemand verglich den Namen auf dem Auftrag für die Operation mit dem Armband von Frau Morris oder ihrer Patientenakte. Auch den Protest von Frau Morris übergingen Ärzte und Schwestern.
Der gemeinsame Nenner von all dem, sagt Schojania: Das Personal hat sich so sehr an seine schlechte Kommunikation gewöhnt, dass Ungereimtheiten einfach übergangen werden. Niemand stellt die nötigen Rückfragen.
Das ist symptomatisch in der Medizin. Wir kommunizieren schlecht untereinander und mit den Patienten. Bei möglichen Warnzeichen für einen katastrophalen Fehler – etwa dass jemand sagt: "Ich denke, das ist die falsche Behandlung"- da hört niemand zu. Sie winken ab und sage: "ja ja, das übliche..." Das ist so wie wenn bei einem Industrieunfall der Techniker sagt: "die Kontrolllampe funktioniert eh nie" und sie ignoriert. Dabei hätte er das gerade an dem Tag nicht tun dürfen.
Weder in den USA noch hierzulande gibt es Zahlen darüber, wie oft solche Verwechslungen vorkommen. Die Dunkelziffern dürften enorm sein. Kaveh Shojania:
Und darin sehen wir den Sinn unserer Artikel, dass wir sagen: Wir wissen nicht, wir häufig das passiert, aber hier haben wir einen repräsentativen Fall. Der hätte in fast jedem Hospital geschehen können und deshalb sollte sich jedes Krankenhaus selbst auf den Zahn fühlen und fragen: Gehen wir bei uns mit den Dingen so um, dass das nicht passieren kann? Die Antwort wird meistens Nein sein.
In amerikanischen Hospitälern, aber genauso in französischen, italienischen oder deutschen.
Beitrag als Real-Audio
020827-Verwechslung.ram
Als Folge einer Serie kleiner Fehler, von denen einer auf eine Namensähnlichkeit zurückging, wurde eine Patientin anstelle einer anderen in den OP geschickt und über eine Stunde am Herzen operiert bevor man merkte, es war die falsche Patientin.
Krankenhaus, Ärzte und Schwestern bleiben in den Artikeln des Fachblattes anonym. Die Untersuchung wird von einem externen Arzt geführt, der den Ablauf der Ereignisse Schritt für Schritt analysiert, so als handle es sich um einen nuklearen Störfall oder einen Flugzeugabsturz.
Shojania geht es nicht darum, die Verantwortlichen dingfest zu machen, sondern darum die Muster und Routinen zu finden, die immer wieder zu schweren Fehlern führen.
44000 und 98000 Patienten in den USA sterben einem Bericht des dortigen nationalen Instituts für Medizin zufolge jährlich an den Folgen medizinischer Fehler. Umstrittene Zahlen zwar, aber in Deutschland fehlen sie völlig. Registriert werden hier nur die Beschwerden und die sich anschließenden Untersuchungen, wenn Patienten selbst einen Fehler erkennen. Einem Bericht des Robert-Koch-Institute zufolge erweisen sich etwa 12000 dieser Beschwerden ihm Jahr nach genauerer Prüfung als stichhaltig. Die Suche nach dem Schuldigen bleibt dabei oft erfolglos. Denn nicht nur fachliche Fehler der Ärzte führen zu Problemen. Sondern oft auch Defizite bei der Organistation in den Krankenhäusern, bei der Dokumentation der Krankheitsgeschichte und die Behandlung der Patienten in ungeeigneten Einrichtungen.
Der Amerikaner Kaveh Shojanja kann dieses Bild nur bestätigen. Behandlungfehler entstehen genauso wie große Katastrophen:
Wenn man sich den Atomunfall in Harrisburgh anschaut oder das Challenger Desaster, dann ist es meistens nicht eine besonders schlechte oder inkompetente Person, die einen schweren Fehler begeht.
So auch im Krankenhaus. Meistens fängt es damit an, dass im Haus etwas besonderes los ist, das nicht direkt mit dem Fehler zu tun hat. Es gibt etwa eine Knappheit beim Pflegepersonal. Deshalb sind die Leute, die ersatzweise auf der Station arbeiten, möglicherweise nicht so vertraut mit den Abläufen. In unserem ersten Fall war das eine der problematischen Feinheiten. Zwei Patientinnen mit ähnlichen Namen wurden jeweils auf Stationen versorgt, die eigentlich für andere Patienten zuständig sind.
17 verrschiedene kleine Fehler führten schließlich dazu, dass Jaon Morris anstelle von Jane Morrison anästhesiert und operiert wurde. Die Schwester, die in der Station anriefen und nach Jane Morrison fragte, benutzte nur den Nachnamen und keine Patientennummer. Sie bekam ein Fehlinformation darüber, wohin Frau Morrison verlegt worden war und landetet deshalb auf der Station von Frau Morris. Die Schwester auf dieser Station wunderte sich zwar, dass sie nichts von der OP von Frau Morris wusste, ging aber davon aus, sie sei nicht informiert worden. Niemand verglich den Namen auf dem Auftrag für die Operation mit dem Armband von Frau Morris oder ihrer Patientenakte. Auch den Protest von Frau Morris übergingen Ärzte und Schwestern.
Der gemeinsame Nenner von all dem, sagt Schojania: Das Personal hat sich so sehr an seine schlechte Kommunikation gewöhnt, dass Ungereimtheiten einfach übergangen werden. Niemand stellt die nötigen Rückfragen.
Das ist symptomatisch in der Medizin. Wir kommunizieren schlecht untereinander und mit den Patienten. Bei möglichen Warnzeichen für einen katastrophalen Fehler – etwa dass jemand sagt: "Ich denke, das ist die falsche Behandlung"- da hört niemand zu. Sie winken ab und sage: "ja ja, das übliche..." Das ist so wie wenn bei einem Industrieunfall der Techniker sagt: "die Kontrolllampe funktioniert eh nie" und sie ignoriert. Dabei hätte er das gerade an dem Tag nicht tun dürfen.
Weder in den USA noch hierzulande gibt es Zahlen darüber, wie oft solche Verwechslungen vorkommen. Die Dunkelziffern dürften enorm sein. Kaveh Shojania:
Und darin sehen wir den Sinn unserer Artikel, dass wir sagen: Wir wissen nicht, wir häufig das passiert, aber hier haben wir einen repräsentativen Fall. Der hätte in fast jedem Hospital geschehen können und deshalb sollte sich jedes Krankenhaus selbst auf den Zahn fühlen und fragen: Gehen wir bei uns mit den Dingen so um, dass das nicht passieren kann? Die Antwort wird meistens Nein sein.
In amerikanischen Hospitälern, aber genauso in französischen, italienischen oder deutschen.
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020827-Verwechslung.ram