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Familie, Werte, Kirche? Wozu wir eine Wertedebatte brauchen

Der Andrang auf konfessionelle Kindergärten steigt, die Suche nach Halt in einer unübersichtlicher werdenden Welt nimmt zu, auf den christlichen Werten fußt im Wesentlichen die abendländische Kultur. Der Historiker Paul Nolte, Professor für Zeitgeschichte an der FU Berlin, ist derzeit, wie es eine Zeitung mal formulierte, zuständig für die "nationalpädagogische Gesamtsorge", zuletzt hat er über die "riskante Moderne" verwiesen.

Moderation: Karin Fischer |
    Karin Fischer: Herr Nolte, was halten Sie von diesem bewussten Rückgriff auf christliche Werte als Erziehungsideal?

    Paul Nolte: Also, von dem Rückgriff auf Werte als Erziehungsideal halte ich sehr viel, das auf christliche Werte zu verengen ist eben genau das, eine Verengung. Wir sollten uns schon darüber klar sein, wo unsere Werte herkommen, in welchem Zusammenhang sie stehen, aber das ist dann ein weiterer Zusammenhang von christlich-jüdisch abendländischen Werten müsste man zumindest sagen und die setzten sich auch fort und werden umgeformt, weiterentwickelt, in der Aufklärung, als auch in einer säkularen Tradition, die mit diesen christlichen Werten dann umgeht.

    Fischer: Ist diese Gesellschaft denn so bedürftig in Sachen Wertegrundlage, wie es jetzt dargestellt wird?

    Nolte: Na, sie ist auf jeden Fall auf der Suche. Wir sind in eine neue Phase eingetreten, nachdem in den 80er- und 90er-Jahren die große Vielfalt, die Suche nach neuen Optionen, nach der Auflösung von herkömmlichen Strukturen stand, an die Stelle der klassischen Ehe oder der Paarbeziehungen sind andere Formen von Beziehungen, sind auch allein erziehende Eltern getreten, an die Stelle der Selbstverständlichkeit Kinder zu haben, ist auch die Wahlmöglichkeit zwischen Kindern und Kinderlosigkeit getreten. Das waren Vorteile und Gewinne, auch der Individualisierung, auf die wir nicht gerne verzichten möchten, aber wir sehen jetzt auch die Kosten, die Kosten von allein Erziehen in sozial schwachen Milieus, die Kosten, wenn einer Gesellschaft die Kinder ausgehen und da suchen wir im Moment danach, wie können wir da eigentlich gegensteuern, wie schaffen wir es noch, dass Kinder auch wieder einen Wert darstellen, dass Verantwortung, Sorge für andere, die sich ja in Kindern ja dann ausdrückt, wieder wichtig wird für Menschen.

    Fischer: Und was wären dann Ihrer Ansicht nach die richtigen Ansätze für eine solche Sorge?

    Nolte: Vorrang müssen politische Ziele haben und gesellschaftspolitische Ziele, die sollte man im Auge behalten. Erstens, was kann ein Anreiz zur Familie, zur Familiengründung, zur Entscheidung für Kinder sein, was ist mit zweitens, gleichberechtigten Geschlechterbeziehungen, da haben wir in Deutschland noch einen großen Rückstand auch gegenüber andern Ländern, und drittens was verbessert die Chancen von Kindern aus benachteiligten Milieus, ein Gebet tut das nicht an sich, aber eine Erziehung im Kindergarten, die den Kindern vermittelt, jawohl es ist wichtig auf andere zu warten, Respekt zu üben, das vermittelt diese Chancen für Kinder schon. Und auf diese übergeordneten Ziele kommt es glaube ich an.

    Fischer: Sie haben es gerade schon angedeutet, Herr Nolte, man kann bei diesem Thema ja immer auch die ganz großen Fässer aufmachen. Von Demografie und Familienpolitik bis hin zu Integration und Islamismus, aber wenn wir nun beim Bündnis für Erziehung mal bleiben dann fällt doch mindestens auf, dass eine Politik, die derzeit grundsätzlich eigentlich für mehr Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger plädiert, und eine Politik, die namentlich die CDU gerade heute bekannt gegeben hat, ihr Familienbild modernisieren zu wollen, dass die jetzt plötzlich die Erziehung wieder eher zu lenken versucht, also doch eigentlich mehr Staat will. Wie passt das zusammen?

    Nolte: Ja, wir sind in einem tiefen Dilemma tatsächlich drin, weil wir uns ja aus der Fähigkeit das Leben selbst verantwortet zu führen eben an vielen Stellen schon so verabschiedet haben, weil diese Fähigkeit selbstverantwortlich zu handeln schon in vielen Bereichen der Gesellschaft, in den bildungsfernen Schichten zu Beispiel, von denen wir jetzt sprechen, so verloren gegangen ist, dass wir Anreize brauchen, dass der Staat in einer Übergangszeit, ja nur als, auch als Mittel zum Zweck aktiv werden muss, damit Menschen es wieder lernen, auch ihr Leben selbstständig in die Hand zu nehmen. Also Beispiel, wenn in den Familien, wenn es viele Familien gibt, in denen, wie wir es ja jetzt häufig lesen, keine warme Mahlzeit mehr gekocht werden kann, oder nicht mehr gekocht wird, dann kann der Staat aktiv werden und in einer Ganztagseinrichtung dann auch mittags eine warme Mahlzeit, in einer Ganztagsschule, Ganztagskindergarten, eine warme Mahlzeit zur Verfügung stellen, aber doch mit dem Ziel, dass die Kinder auch sehen, aha, was ist der Wert davon und vielleicht auch mit um den Herd herumstehen, damit sie ihren eigenen Kindern dann irgendwann wieder so etwas bieten können und nicht, das wäre das schlechteste Ergebnis, dann in dieser neuen Staatsintervention, dass wir dauerhaft zu neuen Klienten de Staates werden, viel schlimmer in der Tat als wir das eigentlich unter dem Signum von mehr Eigenverantwortung vor hatten.

    Fischer: Wem nutz diese Diskussion, der Politik, den Kirchen, oder doch wirklich den überforderten Eltern?

    Nolte: Der Politik wird sie nicht viel nutzen, ob die Kirchen davon profitieren können, muss man abwarten. Es ist auf jeden Fall gut, wenn sich alle gesellschaftlichen Kräfte da stärker engagieren. Wir brauchen ein breiteres Bündnis tatsächlich und mehr Engagement für Erziehung auch und nicht nur Bildung, welchen Kindern es nützt, also bei den sozial Schwachen, da muss es wirklich am Ende ankommen und der Abstand muss sich verringern, Chancen müssen sich vergrößern. Da müssen wir in den nächsten Jahren, bei allem was wir tun, ganz genau drauf aufpassen.