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Familienbande im Gesichtsausdruck

Die besondere Art, wie ein Mensch lacht, wie er oder sie die Stirn runzelt, die Nase rümpft oder den Mund verzieht - dieses komplexe Mienenspiel ist dem Menschen offenbar in die Wiege gelegt. In einer groß angelegten Familienstudie haben israelische Evolutionsbiologen bei verwandten Personen signifikante Gemeinsamkeiten in der Mimik festgestellt.

Von Michael Gessat |
    Auch wenn es manchmal auf der Welt nicht so aussieht: Wir verstehen einander. Zumindest bei den ganz wichtigen Dingen. Elementare Gefühlszustände erschließen sich unmittelbar. Akustisch - und auch optisch, wenn wir jemandem ins Gesicht schauen. Eine praktische Sache, wenn man weder groß überlegen muss, noch vorher langwierig erlernen, was einem das Gegenüber mit dem drohenden Blick eigentlich mitteilen möchte. Und das braucht noch nicht einmal ein Mensch zu sein.

    " Charles Darwin hat vor 130 Jahren über die Gesichtsausdrücke bei Affen geschrieben und sie mit denen beim Menschen verglichen. Er zeigte, dass bei den grundlegenden emotionalen Zuständen wie Trauer, Ärger, Freude, Missvergnügen, Überraschung und Furcht Gesichtsausdrücke bei Mensch und Affe sehr ähnlich sind, "

    erläutert Gili Peleg, Evolutionsbiologin an der Universität Haifa. Wenn dies bei verschiedenen Arten auf so ähnliche Weise funktioniert, dann war die Vermutung für Darwin nahe liegend: Es gibt einen gemeinsamen Ursprung. Das übereinstimmende Grundrepertoire an nonverbaler Kommunikation, an mimischen Mustern haben sich Mensch und Affe weder voneinander abgeschaut, noch unabhängig voneinander entwickelt. Es ist uns und unseren tierischen Verwandten offenbar angeboren.

    Beeinflusst der überlieferte Code aber auch komplexere mimische Aktionen, die für den Ausdruck einer Person so typisch erscheinen? Vererbte Anteile in der individuellen Mimik müssten sich bei genetisch nahezu identischen Menschen, sprich bei nahen Verwandten als Ähnlichkeiten zeigen. Nur wie das Angeborene und all die optischen Fremdeinflüsse auseinander halten, die wir seit der Geburt lernen und uns täglich neu abschauen? Schon Darwin hatte in diesem Zusammenhang auf Menschen mit einem speziellen Handicap hingewiesen, und Gili Peleg und ihre Kollegen untersuchten erstmals genau diese Personengruppe in einer größer angelegten Familienstudie:

    " Wir hatten 21 von Geburt an blinde und 30 sehende Testpersonen, insgesamt also 51; und von jedem Blinden waren jeweils ein oder zwei sehende Verwandte dabei. Und darunter sind noch drei sehr spezielle Familien, bei denen es jeweils zwei von Geburt an blinde Brüder gibt. Bei diesen Personen ließ sich also sogar die ohnehin eher theoretische Möglichkeit ausschließen, dass Sehende die Blinden imitieren könnten. "

    Die Forscher führten mit allen Personen ausgedehnte Interviews vor der Videokamera. Und dabei wurde das Gefühlsleben und damit die Mimik der Probanden in Aktion gesetzt: Durch das Rekapitulieren von bestimmten Erinnerungen, durch knifflige Rätsel, durch Überraschungen, durch angenehme oder unangenehme Geschichten.

    Das Ergebnis: Der Gesichtsausdruck bei Ärger, Trauer und konzentriertem Denken scheint stark von den Genen geprägt zu sein. Denn da ergab die Analyse der aufgezeichneten Einzelbewegungen signifikante Ähnlichkeiten zwischen den von Geburt an Blinden und ihren sehenden Verwandten. Die familiären Übereinstimmungen zeigten sich nicht nur bei emotionalen Momentaufnahmen. Sie ließen sich sogar für das gesamte mimische Repertoire nachweisen, das die Versuchspersonen im zeitlichen Verlauf des kompletten Interviews aufboten. Gili Peleg und ihre Kollegen schließen aus ihren Beobachtungen auf eine "angeborene familiäre Signatur der Mimik". Wie die aber auf der Ebene des Erbgutes im einzelnen zustande kommt, das muss noch erforscht werden:

    " Das Ganze ist vielleicht ein erster vorbereitender Schritt hin zur Untersuchung, welche Gene hier beteiligt sind. Zum Beispiel auch im Fall von Krankheiten, bei denen Gesichtsausdruck und Wahrnehmung gestört sind, wie etwa bei Autismus. Vielleicht finden wir dann einen Weg, die dafür verantwortlichen Mutationen zu reparieren. "

    Den Wissenschaftlern steht also noch viel konzentriertes Denken bevor. Und wahrscheinlich machen sie dabei das gleiche Gesicht wie einst ihre Urgrosseltern.