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Familiengeschichte Flick

Hartz IV reibt die Nation auf, Jobs müssen her, Steuern und Abgaben runter. Wie ein roter Faden durchzieht die Diskussion über die wirtschaftliche Misere unsere Medien und unsere Alltagsgespräche - und bleibt doch meist an der Oberfläche. "Nichts ist spannender als Wirtschaft", mit diesem Slogan wirbt ein deutsches Wirtschaftsmagazin für sich - aber offensichtlich ist auch kaum eine Materie so kompliziert und erklärungsbedürftig. Der Markt der Wirtschaftsbücher und -ratgeber boomt - ein Grund für uns, fünf Titel herauszugreifen und vorzustellen. "Moralische Weißwäsche von Blutgeld" nennt Salomon Korn vom Zentralrat der Juden das, was der Kunstsammler Friedrich Christian Flick vorhat. Der nämlich will seine kostbaren Gemälde jetzt in Berlin ausstellen. Nun ist der Name Flick belastet durch den Großvater: Friedrich Flick - Hitlers größten Waffenlieferanten. Sein Enkel will dem Familiennamen Flick eine hellere Seite hinzufügen - mit Bildern, die von Blutgeld bezahlt seien, kontern die Kritiker, und je näher die Ausstellung rückt, desto schriller wird der Ton. Die Flicks sind in den Schlagzeilen. Zu einem günstigeren Zeitpunkt hätte eine Familiengeschichte kaum erscheinen können.

Rezensentin: Margarete Limberg | 13.09.2004
    Thomas Range gibt mit seinem Buch einen ersten und guten Überblick. Er erhebt nicht den Anspruch, das vorwegzunehmen, was Historiker noch leisten sollen. Ramge liefert eine flüssig geschriebene Familienbiographie, die den Weg der Flicks vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, das Dritte Reich bis in die Bundesrepublik nachzeichnet:

    Dies ist die Geschichte des Aufstiegs, des Zusammenbruchs, des geglückten Neuanfangs, der Verwirrung und des Rückzugs. Sie spielt im 20. Jahrhundert in Deutschland und handelt von einer Familie, die, abgesehen von vier Jahren Besatzungszeit, immer oben auf war, egal ob gerade ein Kaiser, ein Diktator oder Demokraten herrschten. Das Unternehmen nahm im Hurra-Patriotismus des ausgehenden Kaiserreichs seinen Anfang, profitierte von der Inflation und den "Roaring Twenties" und stand während der Weltwirtschaftskrise am Rande des Ruins. Der Pakt mit den Nazis begann mit riesigen Konzerngewinnen und endete in Schutt und Asche. Mit dem Wirtschaftswunder ging es auch den Flicks wieder blendend.

    Der unaufhaltsame Aufstieg des Konzerngründers Friedrich Flick zum reichsten Mann Deutschlands nimmt breiten Raum ein. Er war, so schreibt Ramge, ein Geheimniskrämer, ein Genie der Geräuschlosigkeit, dem es im Lauf der Zeit gelang, fast alle Konkurrenten, die zunächst noch über den Emporkömmling aus dem Siegerland die Nase gerümpft hatten, auszutricksen. Er strebte nicht nach Luxus, sondern nach Macht und Einfluss. Der Autor Thomas Ramge:

    Ramge:
    Friedrich Flick hat ein sehr einseitiges Leben geführt. Er war in der Tat ausschließlich daran interessiert, seinen Konzern zu vergrößern, Gewinne zu machen, diese zu reinvestieren, um den Konzern noch größer machen zu können. Es war in der Tat so, dass Moral für ihn kaum eine Rolle gespielt hat, zumindest ist das von außen nicht ersichtlich. Er war im Dritten Reich für mich der klassische Opportunist, er hat mitgemacht, ist mitgelaufen, ist schneller gelaufen als viele seiner großbürgerlichen Konkurrenten, und er hat profitiert.

    Für Flick erwies sich die Autarkie - und Aufrüstungspolitik des NS-Regimes als wahrer Glücksfall, vor allem, da er mehrere Gruben mit minderwertigen Erzen besaß:

    Im Jahr 1937 beschäftigte der Siegerländer 85.000 Mitarbeiter, fünf Jahre später war er vor Krupp und hinter den Vereinigten Stahlwerken zum zweitgrößten Stahlproduzenten im Reich aufgestiegen.

    Flick gehörte dem Freundeskreis Heinrich Himmlers an, gute Kontakte zu Göring wusste er nach Kräften zu nutzen.

    Friedrich Flicks Aufstieg zum reichsten Mann im Land war nicht nur der Tatsache geschuldet, dass er sich eines der größten Stücke vom Rüstungskuchen erkämpfte. Der gläubige Protestant profitierte auch von der "Entjudung" der deutschen Wirtschaft.

    Der Entwurf für ein Gesetz, das die entschädigungslose Enteignung der Juden legalisierte, stammt aus der Feder Hugo Dietrichs, Hausjurist Flicks. Rund 40.000 Zwangsarbeiter schufteten unter so unsäglichen Bedingungen in Flick-Unternehmen, dass selbst NS-Behörden aufmerksam wurden. Ramge schildert die Aktivitäten Flicks in vielen Details nach. Vieles mag bekannt sein, aber in den beklemmenden, ja erschreckenden Einzelheiten bestimmt nicht jedem Leser präsent. Die Skrupellosigkeit, mit der sich Flick während der NS-Zeit über moralische Bedenken hinweggesetzt hat, prägte auch seine Verteidigung vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, das ihn 1947 zu sieben Jahren Haft verurteilte, von denen er aber nur gut zwei Jahre absitzen musste. Es gab nie ein Schuldeingeständnis, noch nicht einmal die Bereitschaft, eine moralische Verantwortung zu übernehmen. Die Zwangsarbeiter haben nie einen Pfennig von Flick bekommen. Die Forderung der Jewish Claims Conference, 1.300 jüdische Zwangsarbeiter mit insgesamt 6,5 Millionen Mark zu entschädigen, ließ Flick rüde zurückweisen, obwohl er diesen Betrag, so Ramge, aus der Portokasse hätte zahlen können:

    Ramge:
    Die Zahlung von Geld für die Zwangsarbeiter wäre für Friedrich Flick aus seiner Sicht einem Schuldeingeständnis gleichgekommen. Das wollte er nicht geben. Der öffentliche Druck, der jetzt auf Friedrich Flick lasten würde, wenn er noch lebte, den gab es zu seinen Lebzeiten natürlich nicht. Das muss man mit bedenken. Friedrich Flick hat zu seinem 75. Geburtstag ein Glückwunschtelegramm von Konrad Adenauer bekommen, als er verstarb, bekam er ein Begräbnis in allen Ehren. Er war keine kontroverse Figur der Zeitgeschichte.

    Noch während des Krieges, noch während er Zwangsarbeiter ausbeutete, bereitete sich Flick erstaunlich umsichtig auf die Zeit nach dem Ende des Dritten Reichs vor:

    Ramge:
    Er hat relativ früh eine Karte zugespielt bekommen, über ausländische Kontakte, auf der die vier Besatzungszonen eingezeichnet waren, und entsprechend früh hat er damit begonnen, sich gen Westen zu orientieren. Also, auch für Friedrich Flick war klar, dass es einem Großkapitalisten in einer amerikanischen oder britischen Besatzungszone deutlich besser gehen würde als in einer sowjetischen, und entsprechend hat er sein Unternehmen aufgestellt.

    Noch aus der Zelle des Kriegsverbrechergefängnisses heraus bereitet Flick den Wiederaufstieg vor. Zwar hatte er drei Viertel seines Imperiums im Osten verloren, aber sein geschicktes Investieren in Zukunftsbranchen wie den Automobilbau brachte ihn ebenso wie die Wiederbewaffnung der Bundeswehr binnen weniger Jahre wieder ganz nach oben.

    Gleichwohl dauerte es nicht mehr lange bis zum Ausverkauf des Konzerns in den 80er Jahren. Familiäre Konflikte und Intrigen, die Ramge im Schlussteil ausbreitet, prägen das Ende dieses mächtigen Firmenimperiums, das zum Schluss auch noch einem der größten Politskandale der Bundesrepublik seinen Namen gibt.

    Jahrelang herrschte seither abseits der Klatschspalten nur mäßiges Interesse an den Erben Friedrich Flicks, dem jüngeren Sohn Friedrich Karl Flick, der den Konzern für rund 5 Milliarden DM verkaufte, und dessen Neffen, die auf höchst unterschiedliche Weise versuchen, der Last des Namens Flick und dem Schatten des Großvaters zu entkommen. Aber der Name bleibt assoziiert mit dem Dreiklang Arisierung, Zwangsarbeit und Spendenskandal.

    Friedrich Christian und Gert Rudolf, auch als Mick und Muck bekannt, haben, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, die Flucht in die Kunst angetreten. Gemeinsam ist ihnen die Erfahrung, dass sie bei allem, was sie tun, im Verdacht stehen, von der Schuld des Großvaters ablenken zu wollen, obwohl sie dessen Taten nie beschönigt haben. Gert Rudolf stieß in Großbritannien auf empörte Ablehnung, als er in Oxford einen Flick-Lehrstuhl stiften wollte, Friedrich Christian wird vorgeworfen, durch seine Rolle als Kunstmäzen den Namen reinwaschen zu wollen. Im Gegensatz zu seinen beiden Geschwistern weigert er sich bis heute hartnäckig, in den Zwangsarbeiterfonds zu zahlen und verweist statt dessen auf seine Stiftung gegen Rassismus und Fremdenhass. Helfen tut es ihm wenig.

    Der Autor zeigt viel Verständnis für den Wunsch der Flick-Enkel, ihren Namen nicht ausschließlich in Verbindung mit dem Dreiklang Zwangsarbeiter, Arisierung, Spendenskandal zu hören. Warum es sie gleichzeitig drängt, diesen Namen stets aufs neue ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, bleibt allerdings unbeantwortet in dieser fesselnden Familiengeschichte. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, weshalb gerade die Flicks die Gemüter so heftig bewegen und nicht ebenso andere, ebenfalls in die NS-Verbrechen verstrickte Großunternehmer und ihre Erben, die sich so wenig wie Friedrich Flick bereit zeigten, sich dieser Vergangenheit zu stellen. Dies bleibt ein noch aufzuarbeitendes Kapitel deutscher Geschichte.

    Margarethe Limberg besprach Thomas Ramge: Die Flicks, Eine deutsche Familiengeschichte über Geld, Macht und Politik. Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2004, 288 Seiten, 24,90 Euro.