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Familienleben nach Zeitplan

Schweden wird häufig als Vorzeigestaat in Sachen Gleichberechtigung in der Familie präsentiert: Mehr Frauen als in Deutschland gehen arbeiten und haben Kinder, mehr Männer nehmen Elternzeit und packen im Haushalt mit an. In vielen Familien funktioniert der Haushalt jedoch nur mit minutiöser Planung, Stress ist die Folge. Agnes Bührig berichtet aus Stockholm.

13.06.2006
    Henrik Frosterus steht am Rand eines Fußballfeldes in einem Vorort von Stockholm und guckt seinem Sohn beim Kicken zu. Zweimal die Woche hat der achtjährige Gustav hier Training, muss hingefahren und wieder abgeholt werden. Eine Aufgabe, die der zweifache Familienvater gerne übernimmt, schließlich hat er selbst viele Jahre im Verein gespielt. Doch anders als damals muss sich der 42-Jährige die Zeit heute genau einteilen. Wer welches Kind wann abholt und bringt, das ist das Ergebnis minutiöser Zeitplanung mit seiner Frau, sagt der Volkswirt mit den kurzen grauen Haaren:

    "Mich stresst, dass in Schule und Kindergarten so viel los ist. Da gibt es Elternversammlungen am Abend, Einladungen zu Kaffee und Kuchen, Picknick. Manche Tage müssen die Kinder besondere Kleidung mitbringen oder spezielles Essen. Oder sie sind bei ihren Freunden eingeladen - jeden Tag ist immer irgendwas. Dann müssen sie bestimmte Hausaufgaben machen, und das braucht Zeit, meine Freizeit. "

    Im Auto auf dem Weg nach Hause haben Vater und Sohn ein paar Minuten für sich, um über alles zu reden, was am Tag passiert ist. Henrik Frosterus hat eine volle Stelle bei einem großen Knäckebrothersteller, seine Frau Ulrika arbeitet für das schwedische Finanzamt auf einer 80-Prozent-Stelle. Sie ist es auch, die die meisten praktischen Arbeiten für die Familie übernimmt und die ersten Tage zu Hause bleibt, wenn die Kinder krank sind:

    "Ich bin gestresst, natürlich, denn es ist schwer, Kinder und Familie unter einen Hut zu bekommen. Ich arbeite 80 Prozent, aber oft mache ich so viel wie eine Vollzeitkraft. Da müssen Voruntersuchungen fertig werden, oder ich nehme Arbeiten an, die mehr Engagement erfordern. Und dann komme ich nach Hause, und da geht es dann mit anderen Aufgaben weiter. Man arbeitet die ganze Zeit, auch am Abend, und am Ende ist man ziemlich müde."

    Fußballtraining, Tanzunterricht, Pfadfinder und Abschlussfest in der Schule: Damit kein Termin vergessen wird, gibt es die Pinnwand in der Küche. Hier hängen die Stundenpläne der Kinder, Informationsbriefe aus Kindergarten und Schule und ein Zettel, auf dem mit Hand geschrieben steht, wer an welchem Tag die Hasen füttert. Heute bist du dran, erinnert Henrik Frosterus seine fünfjährige Tochter Terese und reicht ihr die bereitliegende Mohrrübe. Dann nimmt er einen computergeschriebenen Brief von der Wand, ohne den in Schweden gar nichts geht:

    "Das hier ist der berühmte Wochenbrief, der ist ganz wichtig. Das ist ein Schreiben, das die Kinder jede Woche in der Schule bekommen. Da steht drin, was letzte Woche los war und was diese Woche geplant ist. Hier geht es zum Beispiel um einen Sporttag und um den letzten Schultag vor den großen Ferien nächste Woche, die Hausaufgaben und die Übersicht, welches Essen es in der Schule gibt."

    Mehr als 70 Prozent der schwedischen Frauen gehen einer Beschäftigung nach - deutlich mehr als in Deutschland. Das ermöglicht ein breit ausgebautes System der Kinderbetreuung und das gesetzlich festgelegte Recht auf Teilzeit. Doch die Frauen müssen auch zum Einkommen beitragen, denn in Schweden liegen die Löhne deutlich unter dem deutschen Niveau. Ein Gehalt reicht da nicht aus. Und die Renten werden nicht pro Familie, sondern für jeden Arbeitnehmer separat berechnet. Wer nicht arbeitet, bekommt nur den Regelsatz. Deshalb legt Familie Frosterus jeden Monat ein bisschen mehr auf die hohe Kante, damit Ulrika mit ihrer 80-Prozent-Stelle für die Familie im Alter nicht schlechter da steht. Wäre sie gerne ausschließlich Hausfrau?

    "Ja und nein. Nein, weil ich mich wohl fühle mit meiner Arbeit und den Kollegen und der Stimulanz, die ich von dort bekomme. Ja, weil ich dann mehr Zeit für die Kinder hätte und für all das, was sie machen. Und weil ich nicht so ausgebucht wäre. Ich kann jetzt schon absehen, was wir die nächsten Wochenenden machen. Wir sind sehr verplant, und ich kann nicht einfach sagen, heute machen wir mal spontan dies oder jenes."

    Vielleicht sollten wir öfter mal nein sagen, wenn wir das nächste Mal gebeten werden, Kuchen für das Abschlussfest zu backen oder ein Flohmarkt im Kindergarten zu organisieren, überlegt Henrik Frosterus und blickt zu seiner Frau rüber. Ja, schreit Terese begeistert, während sie auf dem Sofa mit einem Ballon spielt. Was man an so einem unverplanten Sonntag machen könnte? Trampolin springen und die Schaukel reparieren, sagt Terese wie aus der Pistole geschossen. Auch die Fünfjährige hätte gerne etwas mehr Zeit mit ihren Eltern.