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Familienmelodram, Jugendfilm und Science-Fiction-Abenteuer

Ein erschreckend plattes Familienmelodram ist Nina Grosses Filmadaption von Bernhard Schlinks "Das Wochenende". Sally Potters Coming-of-Age-Drama "Ginger Rosa" überzeugt mit exzellenter Darstellerriege, und in "Oblivion" kämpft sich Tom Cruise durch einen hanebüchenen Sciene-Fiction-Film.

Von Jörg Albrecht |
    "Das war Tina. Jens kommt raus. – Ja, ich weiß. – Warum hast du mir das nicht erzählt?
    – Ich habe wirklich keine Lust über Jens zu sprechen."

    Das kann Katja Riemann als Inga in der Vorlage auch gar nicht. Denn bei Bernhard Schlink, bei dem ihre Figur Eva Maria heißt, ist sie seit fast zwei Jahrzehnten tot. Regisseurin und Drehbuchautorin Nina Grosse hat aber nicht nur Namen ausgetauscht. Sie hat auch wesentliche Änderungen vorgenommen, hat manche Charaktere wegfallen lassen und anderen neue Biografien verpasst. Ihr gutes Recht.

    Und im Fall von Bernhard Schlinks "Das Wochenende" sogar eine Chance. Die Chance nämlich, aus einem konstruierten und oberlehrhaften Kammerspiel einen fundierten, spannenden Film zu schaffen über Lebenslügen und unbequeme Wahrheiten.

    "Ich will mit diesem Mann wirklich nichts mehr zu tun haben. Das weißt du auch."

    Jens, der ehemalige Links-Terrorist, ist also wieder draußen. An seinem ersten Wochenende in Freiheit trifft er seine Freunde von früher und zum ersten Mal auch Ingas Ehemann Ulrich.

    "Ich habe dein Buch gelesen. – Ulrich, das ist jetzt nicht das richtige Thema. – Ja, aber absolut. Haben Sie es gelesen? – Ja sicher. – Und – wie finden Sie´s? – Verlogen. – Okay. Und warum verlogen? – Weil du eine billige Psychonummer draus machst. Weil du unterschlägst, dass wir ein politisches Anliegen hatten. – Dann hast du nicht genau gelesen."

    In die Falle der billigen Psychonummer tappt aber auch Nina Grosse. Ihre Figurenkonstellation folgt dem Prinzip einer Familienaufstellung. Nun sind Sebastian Koch, Katja Riemann und Tobias Moretti gute Schauspieler. Sie können dem didaktischen Diskurs über einstige politische Ziele und verratene Ideale ein wenig Leben einhauchen. Aber die gestelzten Dialoge über ihre Lebensentwürfe können auch sie nicht vergessen machen. Und dann steht – als dramatischer Höhepunkt – der Ex-Terrorist auch noch seinem erwachsenen Sohn gegenüber.

    "Ich will, dass du dich entschuldigst für dein mieses, verpfuschtes Leben. – An mich wird man sich erinnern. An dich nicht."

    Die Analyse im zeitgeschichtlichen Kontext der RAF und des Deutschen Herbstes wandelt sich zum kalkulierten und erschreckend platten Familienmelodram. Dabei hätte es doch so interessant sein können, einen ehemaligen Terroristen zu zeigen, der sich auseinandersetzt mit den Brüchen in seiner Vita und der neuen bürgerlichen Fassade der alten Freunde. Allerdings hätte es dazu auch einer besseren Vorlage bedurft.

    "Das Wochenende" von Nina Grosse: Enttäuschend!

    "Ich finde, wir sollten irgendwas tun. Gegen die Bombe. Ich meine protestieren. – Ich finde, wir sollten beten."

    Unterschiedliche Lebensentwürfe greift auch die britische Regisseurin Sally Potter in ihrem neuen Film auf: dem Coming-of-Age-Drama "Ginger & Rosa". Hier sind es zwei 16-jährige Freundinnen, die im London des Jahres 1962 von der großen Freiheit träumen. Gleichzeitig aber fürchtet vor allem Ginger – im Angesicht von Kubakrise und nuklearer Bedrohung – das nicht mehr allzu ferne Ende der Welt.

    Zunächst unzertrennlich, ist der Bruch zwischen den Mädchen programmiert, als sich Rosa in Gingers Vater verliebt und von ihm schwanger wird. Für Ginger gleich eine doppelte Enttäuschung. Sowohl ihr Vater – ein überzeugter Pazifist, der immer das große Vorbild war, als auch Rosa sind ihr fremd geworden.

    "Sag mal, ist dir die Zukunft egal geworden? – Nicht jeder kann die Welt retten, so wie du es machst, Ginger. Manche Leute müssen sich auf einen einzigen Menschen konzentrieren. – Du kannst meinen Vater nicht retten. – Wieso nicht? Du kannst den Krieg nicht verhindern, wenn es einen geben wird. Das liegt allein in Gottes Hand."

    Sally Potters inhaltlicher Ansatz, das Schicksal der Welt mit einer Geschichte vom Erwachsenwerden, von der Suche nach einem Platz im Leben, zu verbinden, ist nicht unbedingt neu. Aber diese Geschichte erfährt hier dank der subtilen Regie und der exzellenten Darstellerriege eine sensible und vielschichtige Betrachtung.

    "Ginger & Rosa" von Sally Potter: Empfehlenswert!

    "Hast du irgendwelche Erinnerungen an die Zeit vor der Mission, vor der Sicherheitslöschung? – Es ist unsere Aufgabe uns nicht zu erinnern. Hast du das vergessen?"

    Wenn er das vergessen hätte, müsste der von Tom Cruise verkörperte Jack Harper eigentlich alles richtig gemacht haben. Das Vergessen – oder eben auf Englisch "Oblivion" – spielt eine zentrale Rolle. Angesiedelt ist der Film im Jahr 2077 auf einer weitgehend zerstörten Erde – unbewohnbar nach einem Krieg gegen außerirdische Angreifer. Nach dem Motto "Nichts ist hier, wie es scheint" kämpft sich Cruise durch ein hanebüchenes, vollkommen unlogisches und zeitweise unfreiwillig komisches Abenteuer.

    Das alles unterscheidet "Oblivion" nicht von vielen anderen Science-Fiction-Streifen. Aber dieser Murks ist so steril und seelenlos in Szene gesetzt worden, dass dem Film gar nichts Besseres passieren kann, als ihn sofort wieder zu vergessen.

    "Oblivion" von Joseph Kosinski: Ärgerlich!