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Familienpolitik

Im Prinzip wissen wir es seit langem schon: In Deutschland altert und schrumpft die Bevölkerung zugleich. Es gibt immer mehr ältere Menschen in unserem Land, und immer weniger jüngere. Es fehlt an Nachwuchs. Auf lange Sicht droht der stolze Stamm der Germanen im demographischen Wandel gar unterzugehen. Wissenschaft und Politik haben dieses Phänomen dokumentiert, analysiert, diskutiert - und das seit vielen Jahren. Nun aber beginnt sich die Alterung der Gesellschaft auch im konkreten Alltag auszuwirken.

Christian Hülsmeier |
    Künftig muss zum Beispiel der einzelne Bürger mehr Geld für die Altersvorsorge aufbringen. Das ist das wesentliche Ergebnis der gerade erst verabschiedeten Rentenreform. Die veränderte Altersstruktur zwingt aber nicht nur zum Umbau in der Alterssicherung. Gesucht werden Antworten auf eine ganze Reihe neuer Fragen. Wie finanzieren wir in Zukunft beispielsweise unseren Sozialstaat, wenn mit der Zahl der Älteren auch die Pflege- und Krankheitskosten zunehmen? Und kann unser Land mit seiner zunehmend greisen und schrumpfenden Bevölkerung auf Dauer wettbewerbsfähig sein?

    So groß das Interesse an den Folgen des demographischen Wandels ist, so wenig Aufmerksamkeit war bislang den Ursachen der derzeitigen Bevölkerungsentwicklung beschieden. Dabei bliebe den Deutschen manches Problem erspart, würden hier zu Lande ganz einfach mehr Kinder geboren. Das freilich lässt sich nicht verordnen. Hinzu kommt, dass in unserem Land Bevölkerungspolitik gegen ein Tabu verstößt. Wer darüber nachdenkt, wie die Geburtenquote zu steigern wäre, der gerät leicht in den Verdacht, einer faschistischen Mutter-Kreuz-Ideologie nachzuhängen.

    Derzeit indes überbieten sich die Parteien in einem Wettbewerb um die bestmögliche Familienförderung. Denn mittlerweile steht außer Frage, dass die Kinderarmut hier zu Lande auch strukturelle, keineswegs nur individuelle Ursachen hat. Familien sind im gesellschaftlichen Gefüge benachteiligt. Wer sich für ein Kind entscheidet, wird über Gebühr belastet. Das zu ändern, wäre ein Gebot der Gerechtigkeit.

    Zudem erweist sich, dass auch der Verzicht auf eine aktive Familienförderung eine Form von Bevölkerungspolitik darstellt: Indem es den Menschen schwer gemacht wird, Kinder zu haben. Im Umkehrschluss erwarten alle Parteien, dass wieder mehr Kinder geboren werden, wenn Familien bessere Bedingungen als gegenwärtig vorfinden. Das neu erwachte Interesse an Familienpolitik ist daher nicht zuletzt dem wachsenden Problemdruck des demographischen Wandels geschuldet.

    Schon heute sind Familien nur noch eine gesellschaftliche Minderheit. Lediglich in einem Drittel aller Haushalte leben Eltern und Kinder. Die übrigen beiden Drittel bilden Single-Haushalte und Paare ohne Kinder. In dieser Verteilung liegt nach Ansicht der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Renate Schmidt eine Ursache der derzeitigen Benachteiligung von Familien:

    Natürlich sind Familien benachteiligt. Sie wären es nicht, wenn heute es normal wäre, wie es vielleicht in den 50er und auch noch bis zur Mitte der 60er Jahre der Fall war, dass alle Menschen im Regelfall Kinder kriegen. Nachdem aber eine zunehmende Zahl von Menschen sich bewusst freiwillig oder manche auch unfreiwillig dazu entscheiden oder entscheiden müssen, keine Kinder zu haben, bedeutet das, dass ein Ungleichgewicht zwischen denen, die Kinder haben, und Kinderlosen entstanden ist.

    Tatsächlich sinkt die Gebärfreudigkeit schon seit rund 25 Jahren. Im Durchschnitt bringen 100 Frauen heute 140 Kinder zur Welt. In Europa liegen nur Italien und Spanien unter diesem Wert.

    Zunehmend spaltet sich die Gesellschaft auf. Der Trend läuft auf eine Zweiteilung hinaus: Die eine Gruppe bilden Familien mit Kindern, die andere Gruppe diejenigen ohne Kinder. Mittlerweile bleibt jede dritte Frau hier zu Lande kinderlos. Unter den Akademikerinnen sind es sogar 41 Prozent, die keine Kinder bekommen.

    Umso mehr überrascht, dass der Stellenwert von Familie im Bewusstsein der Bundesbürger nicht etwa abgenommen, sondern vielmehr zugenommen hat. Gut 80 Prozent der Menschen sagen, dass Familie für das eigene Wohlbefinden sehr wichtig sei. Jugendstudien zeigen zudem, dass für 90 Prozent der jungen Bundesbürger Heirat und Kinder zu den großen Lebensträumen zählen.

    Doch dieser Traum ist hier zu Lande nicht leicht zu leben. Denn Kinder sind ein teurer Spaß. Der Aufwand pro Kind beläuft sich bis zur Volljährigkeit auf knapp 400.000 bis 600.000 Mark, je nach Einkommen und Lebensstil. Der jüngst vorgestellte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung belegt zudem, dass Kinder vielfach ein hohes finanzielles Risiko darstellen. Das entspricht auch den Erfahrungen von Barbara Stolterfoth, Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes:

    Das Geld bei Durchschnittsfamilien mit Kindern ist so knapp, dass schon jede Krise sich zur Katastrophe ausweiten kann. Krise, damit meine ich Scheidung, Arbeitslosigkeit, Verlust des Arbeitsplatzes. Sogar ein Umzug kann bei Familien mit Kindern, die keine Rücklagen bilden können, zur Katastrophe werden und sie in die Sozialhilfe oder in die Schuldenfalle treiben.

    Kinder sind ein Armutsrisiko. Das zeigt auch ein Blick in die Statistik der Sozialhilfe. Danach benötigt fast ein Drittel aller allein Erziehenden Hilfe zum Lebensunterhalt. Und unter den Sozialhilfeempfängern sind über eine Million Kinder.

    Ganz offenbar funktioniert der Familienleistungsausgleich nicht. Dabei unterstützt der Staat Familien derzeit mit rund 100 Milliarden Mark pro Jahr. 60 Milliarden Mark kostet allein das Kindergeld. Hinzu kommen eine Reihe von Steuervergünstigungen sowie Elterngeld, Baukindergeld und zum Beispiel Bafög. In der Kranken- und Pflegeversicherung sind Familienangehörige beitragsfrei mitversichert, Eltern, die ihren Job verlieren, erhalten ein höheres Arbeitslosengeld.

    Dennoch stehen sich Familien deutlich schlechter als Kinderlose. Pro Kopf verfügt eine junge Familie mit zwei Kindern tatsächlich um die Hälfte weniger Geld als ein Paar ohne Kinder. Maria Eichhorn, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Familie in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, will dem mit einem neuen Familiengeld und einem höheren Kindergeld beikommen:

    Mit diesem Familiengeld wollen wir Kinder von Sozialhilfe unabhängig machen. Das heißt also, keine Familie soll deswegen, weil sie Kinder hat, von der Sozialhilfe abhängig sein. Deswegen haben wir vorgeschlagen und werden es auch umsetzen, dass wir für Kinder von null bis drei Jahren pro Kind 1.200 Mark Familiengeld geben, vom dritten bis zum 18. Lebensjahr 600 Mark und dann, ab dem 18. Lebensjahr, nehmen wir die Sätze, die heute für das Kindergeld übrig sind. Wenn Kinder in Ausbildung sind, dann können sie heute 300, beziehungsweise 350 Mark erhalten.

    Die Union will aber Familien nicht nur besser vor Armut schützen. Es soll zugleich attraktiver werden, wieder mehr Kinder zu bekommen. Maria Eichhorn:

    Das ist eindeutig so, dass diese Geburtenrate zu niedrig ist, um den Bestand unseres deutschen Volkes zu sichern. Also, wir werden mit Sicherheit, wenn diese Geburtenrate so bleibt - so sind die Berechnungen -, im Jahre 2050 auf 50 Millionen dann zurückgehen. Dieser Rückgang der Bevölkerung kann durch Zuzug keinesfalls ausgeglichen werden. Da müssen wir also Erhebliches tun, damit wir wieder mehr Kinder haben.

    Gegenüber den 1.200 Mark Familiengeld und den 600 Mark Kindergeld der Union kann die SPD wenig bieten. Um vergleichsweise bescheidene 30 Mark soll zum Jahreswechsel das Kindergeld nach Vorstellung der Bundesregierung steigen. Immerhin hätte sich das Kindergeld dann innerhalb einer Legislaturperiode um insgesamt 80 Mark erhöht - von 220 auf 300 Mark monatlich. Für das 3. Kind gibt es im Übrigen schon jetzt 300 Mark, für das 4. Kind 350 Mark.

    Die jetzt geplante Erhöhung kostet den Staat knapp sechs Milliarden Mark. Für die Pläne der Union müssten noch einmal 60 Milliarden Mark mehr aufgebracht werden. Allerdings soll sich familienpolitische Offensive der Opposition über insgesamt zehn Jahre erstrecken. Dennoch: Wie das Familiengeld und hohe Kindergeld zu finanzieren wären, lassen CDU und CSU noch offen. Das kann sich die SPD als Regierungspartei schlecht erlauben. Kein Wunder, dass Renate Schmidt von den Vorschlägen der Konkurrenz wenig erbaut ist:

    Der Wettbewerb in diesem Bereich ist vollkommen blödsinnig, um es mal deutlich zu sagen. Es ist auch das falsche Konzept. Das falsche Konzept in mehrfacher Hinsicht. Keine Familie, keine Mutter, keine Frau wird sich durch ein Familiengeld für drei Jahre von 1.200 Mark dazu bemüßigt fühlen, ein Kind zu bekommen. Anreiz wäre es nur für diejenigen jungen Frauen, die keine oder eine schlechte Ausbildung haben, und die werden dann, wenn sie ihre Kinder bekommen haben - für die ist das ein materieller Anreiz -, die werden dann nach drei Jahren mit ihren Kindern in der Sozialhilfe allein gelassen. Damit bekämpft man Familienarmut garantiert nicht, sondern da muss man an die Ursachen ran. Und die Ursache für Armut in Familien besteht heute darin, dass es nicht beiden Partnern - oder in allein erziehenden Familien im Regelfall der Mutter - möglich ist, erwerbstätig zu sein und gleichzeitig ihre Kinder gut betreut zu wissen. An diese Ursache muss man heran.

    Dass zumindest für junge Frauen Berufstätigkeit heute einen gleich hohen Stellenwert genießt wie Kinder und Familie, ist in vielen Untersuchungen belegt. Doch Gesellschaft und Wirtschaft sind nicht darauf eingerichtet, beides miteinander zu verbinden. Nach wie vor sehen sich Frauen vor die Wahl gestellt: entweder Kinder oder Karriere.

    Dabei zeigt das Beispiel unserer europäischen Nachbarn, dass es auch anders geht. In den skandinavischen Ländern etwa, aber auch in Frankreich, ist die Erwerbsquote von Frauen deutlich höher als hier zu Lande. Zugleich weisen Norwegen, Schweden oder Dänemark sowie Frankreich eine Geburtenrate aus, die im europäischen Vergleich ebenfalls hoch ist. Daraus folgt: Wo Frauen Familien und Beruf vernünftig kombinieren können, da wächst auch die Neigung, Kinder zu bekommen. Denn beides entspricht dem heutigen Lebensbild von Frauen.

    Tatsächlich sind insbesondere die Angebote zur Kinderbetreuung bei unseren Nachbarn vielfach besser und vor allem flächendeckend ausgebaut. Mehr Möglichkeiten der Kinderbetreuung fordern denn die Familien- und Sozialverbände. Denn dort weiß man: Gelingt es, mit Kindern berufstätig zu sein, dann ist das auch der beste Schutz vor finanzieller Benachteiligung. Davon sind wir jedoch in Deutschland weit entfernt, meint Barbara Stolterfoth:

    Der Armutsbericht der Bundesregierung weist auch eindrucksvoll aus, dass viele Familien nur deswegen arm sind, weil die Ernährerin oder der Ernährer arbeitslos sind oder nicht arbeiten können, weil keine Kinderbetreuungsangebote da sind. Es gibt einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder von drei bis sechs. Der ist in vielen Städten auch erfüllt. Im Durchschnitt aber immer noch nicht. Es ist ungefähr die Hälfte der Kinder, die einen Betreuungsplatz hat. Und ganz schlecht sieht es aus bei Kindern von Null bis drei Jahren. Da ist die Betreuungsquote bei drei Prozent - im Osten bei 36, da ist der Osten uns voraus. Und bei Kindern über sechs Jahren, sechs Prozent, im Osten bei 48. Auch da ist der Osten uns weit voraus. Das heißt, in Bezug auf die Kinderbetreuung sind wir einsames Schlusslicht in Europa.

    Mittlerweile herrscht auch in der Parteien Übereinstimmung darin, dass die Betreuungsangebote ausgebaut werden müssen. Maria Eichhorn erklärt für die Union:

    Wir glauben schon, dass auch die materielle Sicherheit für Familien wichtig ist, wenn sie sich überlegen, ob sie Kinder haben wollen oder nicht. Aber genauso wichtig ist für uns die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Denn wir sehen, dass gerade Frauen, die wieder in den Beruf zurück kommen wollen, erhebliche Schwierigkeiten haben, wenn sie länger aus dem Beruf aussteigen. Drum ist es ganz besonders wichtig, dass für eine entsprechende Kinderbetreuung gesorgt wird. Wenn wir von Kinderbetreuung sprechen, dann meinen wir bedarfsgerecht. Also das heißt, auch Ganztagsangebote, verlängerte Kindergartenöffnungszeiten und auch Angebote für Kinder unter drei Jahren dort, wo es notwendig ist.

    Der bereits grassierende Facharbeitermangel hat zweifellos die Erkenntnis befördert, dass in Zukunft auf das viel zitierte Humankapital der Frauen nicht verzichtet werden kann. Schließlich sind Frauen heute so gut qualifiziert wie noch keine Generation zuvor. Im demographischen Wandel ist nicht mehr erlaubt, solches Potential zu verschwenden. Andererseits darf eine höhere Erwerbsquote von Frauen nicht dazu führen, dass die Geburtenrate weiter sinkt. In diesem Fall würden sich die demographisch bedingten Schwierigkeiten noch verschärfen.

    Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen, kann freilich nicht nur Aufgabe des Staates sein. Renate Schmidt jedenfalls meint:

    Auch die Unternehmen können ihren Teil dazu beitragen. Weil, wir wollen ja Kinder nicht einfach weg organisieren aus dem Erwerbsleben, sondern wir wollen sie integrieren. Wir wollen also zum Beispiel, dass der Anteil von Betriebskindergärten steigt. Das bedeutet, dass sie auch absetzbar sind von der Steuer. Wir wollen zum zweiten, dass die Unternehmen familienfreundliche Arbeitszeiten anbieten. Und es gibt sehr positive Beispiele in der gesamten Wirtschaft, gerade von kleinen und mittelständischen Betrieben, die sagen, bei uns ist durch solche Maßnahmen die Krankheitsquote gesunken, die Mitarbeiter sind motivierter, wir haben qualifiziertere Mitarbeiter, und wir sind in der Lage, insgesamt dadurch bessere Qualität in unseren Produkten und Dienstleistungen zu liefern. Ich halte das für sehr gut.

    In den USA sind zumindest die großen Unternehmen schon weiter als die meisten deutschen Firmen. Dort haben zahlreiche Personalmanager erkannt, dass eine firmeneigene Familienpolitik durchaus geeignet ist, dem drohenden Nachwuchsmangel abzuhelfen. Dabei richten sich firmeneigene Angebote, von Telearbeit bis zum Erziehungsurlaub, an Frauen wie Männer. Denn zum einen wollen auch Männer zunehmend am Familienleben und der Kindererziehung teilhaben. Zum anderen wird es auf Dauer nicht gelingen, allein den Frauen die Doppellast von Beruf, Familie und Haushalt aufzubürden. Insofern eröffnet der demographische Wandel auch die Chance, das überkommene Rollenmuster der Geschlechter zu modernisieren - nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Lebenspraxis.

    Hier zu Lande soll sich der Kanzler der Sache annehmen. Und nach bewährtem Muster ist Gerhard Schröder dabei, die gesellschaftlichen Gruppen mit in die Verantwortung zu holen. Auf die Suche nach einer neuen Balance zwischen Familien- und Arbeitsleben wird sich denn auch das Bündnis für Arbeit begeben. Die Länder sollen sich verpflichten, insbesondere für Kleinkinder und schulpflichtige Kinder mehr Betreuungsplätze zu schaffen. Im Gegenzug hat sich der Bund schon bereit erklärt, einen höheren Anteil der Kindergelderhöhung zu tragen.

    Darüber hinaus wird berufstätigen Eltern geholfen, Betreuungslücken aus eigener Initiative zu schließen. Renate Schmidt:

    Wir wollen für die Eltern, die erwerbsbedingt ihre Kinder betreuen lassen müssen, einen zusätzlichen Freibetrag eingeführt, nämlich einen Betreuungsfreibetrag von 3000 Mark im Jahr - das ist jetzt sicher noch nicht die Menge, damit kann ich mir noch nicht eine Tagesmutter finanzieren, aber es ist ein wichtiger Anfang damit gemacht -, und das ist es, was der Bund tun kann.

    Von Freibeträgen profitieren freilich im besonderen Maße diejenigen, die ein hohes Einkommen versteuern. Wer wenig verdient, hat vom Freibetrag wenig. Die Union kritisiert zudem, dass der neue Freibetrag allein berufstätigen Müttern und Vätern zugute kommen soll. Damit werde, aus ideologischen Gründen, allein ein Lebensmodell gefördert, so Maria Eichhorn:

    Das wollen wir nicht, sondern wir wollen die gleichen Ausgangschancen, die gleichen Möglichkeiten geben für diejenigen, die sich entscheiden, im Beruf zu bleiben bzw. Beruf und Familie zu vereinbaren, durch verbesserte Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite aber, indem wir die finanziellen Voraussetzungen absichern, den Familien Familienförderung zusätzlich geben, die Entscheidung auch zu erleichtern, sich eine Zeit lang - oder wie auch immer sie sich entscheiden - ganz der Kindererziehung zu widmen. Beides wollen wir. Das nennen wir Wahlfreiheit.

    Es scheint, als müsse in Zukunft nicht erst das Bundesverfassungsgericht mehr Gerechtigkeit für Familien erzwingen. Allerdings: Im nächsten Jahr sind Bundestagswahlen. Ob der familienpolitische Eifer den Wahltermin überdauert, wird sich zeigen. An schönen Ideen für die Zukunft herrscht jedenfalls kein Mangel. So sagt beispielsweise Renate Schmidt:

    Ich würde gerne mittel- bis langfristig dieses Elterngeld ähnlich wie in Schweden umgestalten zu einer Lohnersatzleistung mit einem bestimmten Prozentsatz des Einkommens - natürlich gedeckelt, also, jemand, der 10000 Mark im Monat verdient, kann nicht davon einen bestimmten Prozentsatz im Monat haben, aber bis zu einer bestimmten, vernünftigen Höhe -, damit endlich auch mehr Väter sich in die Familie einmischen und dort teilhaben. In Schweden nehmen 34 Prozent der Väter die Elternzeit in Anspruch. Bei uns sind es nicht einmal ganz 2 Prozent, weil halt im Regelfall in den Familien die Männer nach wie vor mehr verdienen und für die Familie das eine materielle Frage ist.

    Eine andere materielle Frage hat die Bundesregierung noch nicht beantwortet. Nach dem jüngsten Pflegeurteil der Karlsruher Richter müssen Familien bei den Beitragszahlungen besser gestellt werden als kinderlose Versicherte. Zudem haben die Verfassungsrichter der Regierung einen Prüfauftrag übermittelt: Danach scheint fraglich, ob nicht auch in anderen Zweigen der Sozialversicherung die Beitragssätze neu auszurichten sind.

    Die Renaissance der Familienpolitik findet daher keinen ungeteilten Beifall. Denn in dem Maße, wie Familien gefördert und entlastet werden, müssen andere Verzicht üben und werden belastet. Schon wehren sich kinderlose Bürger dagegen, als eine Art Sozialschmarotzer auf Kosten derjenigen zu leben, die mit ihrer Erziehungsleistung die Grundlagen der Gesellschaft bewahren.

    Verteilungskonflikte zwischen Kinderlosen und Kinderreichen werden sich gleichwohl kaum vermeiden lassen. Da ist schon das Bundesverfassungsgericht vor. Renate Schmidt macht das nicht Bange:

    Ich stelle niemanden in irgendeine Ecke. Aber ich weiß, dass Kinder in unserem Gesamtinteresse sind. Und zwar der gesamten Bevölkerung. Egal, welche persönliche Lebensplanung sie haben, es ist von Nutzen für uns alle, wenn in unserer Gesellschaft ausreichend Kinder leben. Wir brauchen eine Politik, die deutlich macht, es muss weiter gehen über unser eigenes Leben hinaus.