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"Familienpolitik ist nicht Sozialpolitik"

Bundespräsident Horst Köhler ist in einer Rede zur Familienpolitik für mehr Verständnis für die Lebenswirklichkeit der Familien eingetreten. Bei diesem Thema geht Thüringen schon länger eigene Wege. Fragen an den Thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus.

    Liminski: Aufregung kennzeichnet die derzeitige familienpolitische Debatte. Da ist es wohltuend, dass Bundespräsident Horst Köhler persönlich in einer Grundsatzrede für mehr Sachlichkeit sorgt, aber auch für mehr Verständnis für die Lebenswirklichkeit der Familien eintritt. Merkwürdigerweise oder vielleicht auch bezeichnenderweise hat seine Grundsatzrede in Tutzingen in dieser Woche kaum Niederschlag gefunden in den Medien. Er hat darin einige Fragen aufgeworfen, die wir gleich an den Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus, sozusagen weiterreichen wollen, freilich auch mit anderen Fragen nach den Alternativen und Notwendigkeiten der derzeitigen Familienpolitik. Denn Thüringen geht - das darf man wohl sagen - auch eigene Wege. Dieter Althaus ist nun am Telefon. Zunächst einmal guten Morgen, Herr Althaus.

    Althaus: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Althaus, die Familienpolitik ist im wahrsten Sinne des Wortes ins Gerede gekommen. Einer der am heftigsten kritisierten Streitpunkte ist, dass die Eltern, die zu Hause erziehen und nicht erwerbstätig sind, schlechter gestellt sind, als außerhäuslich Berufstätige. Finden Sie das richtig? Und wie könnte, wie sollte man gegebenenfalls nachbessern?

    Althaus: Es ist richtig, dass wir die Familie mehr unterstützen und auch die Erziehungsleistung. Und ich finde den Plan auch gut, dass zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, indem man die Kinderbetreuungskosten auch zu Hause absetzen kann von der Steuer. Aber ich glaube, wir sollten nachbessern und sollten, egal ob beide Elternteile arbeiten oder ein Elternteil arbeitet, eine Gleichbehandlung vornehmen.

    Liminski: Wie machen Sie das denn in Thüringen?

    Althaus: Also wir haben in Thüringen ein Erziehungsgeld eingeführt, das im Alter von zwei bis drei für alle Eltern gezahlt wird, beim ersten Kind 150 Euro, beim zweiten Kind 200 und so weiter. Und wir leisten außerdem einen Pro-Kopf-Zuschuss für die Kommunen, für jedes Kind ab dem dritten Lebensjahr 100 Euro. Und wir haben drittens derzeit eine Stiftung im Aufbau, Familiensinn, die die Familienunterstützung, Familienbildung, Familienförderung stärker organisieren und stärker konzentrieren möchte. Und wir haben viertens zusammen mit der Wirtschaft in den letzten Jahren Netzwerke entwickelt, dass gerade beim Thema Familie und Beruf eine bessere Entwicklung möglich wird. Und fünftens haben wir ein ganz enges Netz an Betreuungsangeboten, sowohl Kindertagesstätten als auch Tagesmüttern, so dass insgesamt dem Thema Familie in der Gesellschaft aber auch Familie und Beruf ein besonderer Stellenwert zugemessen wird.

    Liminski: Das ist ein ganzer Strauß an Maßnahmen, Herr Althaus. Glauben Sie, dass man so etwas auf den Bund übertragen könnte oder sollte?

    Althaus: Jeder muss seine Arbeit leisten. Aber ich finde, wir sollten bei der Familienpolitik einen gemeinsamen Weg gehen. Das heißt, das was Kommunen, das was Länder tun, sollte durch den Bund ergänzt werden und umgekehrt gilt das genauso. Und deshalb bin ich auch dafür, dass wir die Familie in der veränderten Form zur Kenntnis nehmen, aber dass wir auch darauf achten, dass das Ordnungsgefüge, das von der Familie und von der Ehe ausgeht, nicht durch die Gesellschaft, durch die Politik infrage gestellt wird. Und deshalb muss es einfach eine Gleichbehandlung geben, unabhängig davon, wie sich die einzelne Familie organisiert.

    Liminski: Ein großes Problem in Deutschland ist natürlich das demographische Defizit. Ich will das mal mit den Worten des Bundespräsidenten formulieren. Er hat in dieser Woche gesagt, tun wir genug dafür, dass junge Menschen frohen Herzens ja sagen können zu erwünschten genauso wie zu unerwarteten Kindern? Stimmen die Rahmenbedingungen in unserem Land für ein Leben mit Kindern? Was sagen Sie dazu? Haben Sie dazu eine Antwort?

    Althaus: Der Bundespräsident hat den Finger in die Wunde gelegt. Das ist aber kein aktuelles Problem. Sondern ich denke, dass spätestens Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre ein solcher Entwicklungsprozess negativ in unserer Gesellschaft festzustellen war. Und die Politik, aber auch insgesamt alle anderen Beteiligten haben nicht reagiert. Wir müssen heute also insgesamt die Gesellschaft aufstellen, familienfreundlich zu sein, familienfreundlich zu leben, damit Kinder, die nachwachsen, auch erkennen, dass das Ja sagen, für Kinder Verantwortung übernehmen, das Ja sagen, sich in einer Ehe zu binden, auch vorgelebt wird und wächst. Und insofern ist es wichtig, dass wir auch alle Generationen mitnehmen. Eine ganzheitliche Politik für Familien meint also auch Familie im umfassenden Sinne, also auch Senioren, Kinder, Jugendliche und natürlich die Ehepartner. Deshalb denke ich, dass dieser Aufruf des Bundespräsidenten auch ein Stück Aufbruch organisieren kann, dass sich eben alle Beteiligten von der Wirtschaft über die Kommunen, Ländern und der Bund engagieren und das ihre tun. Und der erste ordnungspolitische Schritt ist ja jetzt in Vorbereitung auf Bundesebene.

    Liminski: Wie soll dieser ordnungspolitische Schritt aussehen?

    Althaus: Also ich glaube, wir müssen die Sozialstaatssysteme umbauen. Diejenigen, die ja sagen zu Familie, müssen auch eine entsprechende Wertschätzung erhalten im Rentensystem, beim Steuerrecht. Und das ist über viele Jahre nicht umfassend genug organisiert worden. Schon Wilfried Schreiber hat in den 50er Jahren gefordert, dass dieser Einsatz für Kinder stärker berücksichtigt werden muss. Das ist damals aus dem Blick geraten. Aber es muss dringend nachgearbeitet werden. Zum zweiten muss klarer werden, dass die Familie nicht irgendeine Institution oder eine Einrichtung oder eine Gemeinschaft in der Gesellschaft ist, sondern gehört ganz fest zum Ordnungsgefüge der Gesellschaft. Und das leitet sich auch aus dem Artikel 6 Grundgesetz ab, wo Ehe und Familie ja unter den besonderen Schutz gestellt sind. Drittens jeder, also die Wirtschaft genauso wie die Politik aller Ebenen, müssen das ihre tun, um diese Wertschätzung auch zu unterstützen. Ich habe Beispiele für Thüringen genannt. Es sind jetzt Vorbereitungen für rechtliche Änderungen auf Bundesebene im Gang. Fünftens glaube ich braucht es auch eine Einstellungsveränderung, dass wir lernen, dass das füreinander da sein, dass die Wertevermittlung einer Gesellschaft, das Erziehen sehr stark über Familie grundgelegt wird. Und dass diese Bindung, die sich aus einer Familie heraus auch in die Zukunft fortsetzt und damit auch Gemeinwohl für die Zukunft sichert, vor allen Dingen dort grundgelegt wird, also eine viel stärker Gesellschaftsprägende und Zukunftssichernde Funktion der Familie zukommt, als das bisher in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

    Liminski: Herr Althaus, Sie haben gerade gesagt, auch die Wirtschaft muss sich ein- beziehungsweise umstellen. Hier darf ich eine weitere Einstellung des Bundespräsidenten zitieren. Er sagte heute, "es fragen sich viele junge Leute und gerade die gut ausgebildeten, wie soll ein Kind in mein Leben passen, wo ich doch all meine Energie brauche, um mich beruflich zu etablieren. Ist mein Job sicher genug, um darauf eine Lebensplanung zu bauen? Wer stellt mich ein, wenn ich ein Kind habe?" Zitat Ende. Was sagen Sie dazu?

    Althaus: Also man könnte erst einmal ökonomisch antworten. Wenn wir nicht wieder für mehr Kinder in unserer Gesellschaft sorgen, ist unsere Zukunft auch ökonomisch nicht gesichert. Also geht es schlicht auch darum, für die Wirtschaft in den nächsten Jahren genügend Fachkräfte zur Verfügung zu stellen. Der demographische Wandel wird Deutschland erhebliche Probleme noch bereiten. Und zweitens geht es glaube ich auch darum, dass diese Mentalität, alleine für sich nur verantwortlich zu sein, nicht ausreicht, um eine Gesellschaft zu organisieren. Wir brauchen das Gegenüber. Und drittens der Unternehmer, die Wirtschaft ganz allgemein, kann sehr profitieren von der Erfahrung, die in einer Familie gesammelt wird. Da werden sehr viele soziale Erfahrungen vermittelt und gelernt. Da werden sehr viele Komponenten, die also in einem Unternehmen ganz wichtig sind, wie selbstverständlich mitgegeben. Also, wenn eine junge Frau oder eine Frau, die Kinder erzogen hat, oder eine Frau, die in der Phase der Kindererziehung arbeitet, dann ist das nicht eine Belastung für das Unternehmen, sondern bringt ganz neue Erfahrungen, Impulse auch an das Unternehmen.

    Liminski: Noch einmal zurück zum leidigen Thema Geld, aber ohne Geld geht es ja auch in diesem Bereich nicht. Ein Gedankenfehler der Politik scheint zu sein, dass Familienpolitik als Unterabteilung der Sozialpolitik gesehen wird. Geht es hier um Almosen, Hilfe oder Leistungsgerechtigkeit für Eltern?

    Althaus: Nein, es geht um Leistungsgerechtigkeit für Eltern und Familienpolitik ist nicht Sozialpolitik. Weil man es aber über Jahrzehnte als Sozialpolitik begriffen hat und weil man es früher auch als selbstverständlich angesehen hat, dass Familie und Kinder dazugehören, haben wir heute die fehlende Entwicklung. Wir müssen also wieder deutlich machen, dass Familie zum Grundbestand des Ordnungsgefüges der Gesellschaft gehört, und dass auch der besondere Schutz des Staates, der Gesellschaft dafür Sorge tragen muss, dass Ehe und Familie eine gute Zukunft haben. Und dass auch Vorfahrtsregeln für Ehe und Familie in der Gesellschaft erhalten werden müssen oder, wo sie nicht vorhanden sind, neu geschaffen werden müssen, weil das die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft im Blick auf Ökonomie aber auch im Blick auf Soziales entscheidend prägt. Oder, wenn eben diese Vorfahrtsregeln nicht eingezogen werden, entscheidend auch in Mitleidenschaft zieht.

    Liminski: Letzt Frage, Herr Althaus. Wir fragen immer, was kostet es. Sollten wir, erstrecht vor dem demographischen Hintergrund, in Deutschland nicht einmal wie die Franzosen fragen, was bringt es? Also Geld für die Familie als Investition in die Zukunft sehen?

    Althaus: Wir haben in Deutschland einen falschen Investitionsbegriff. Wir subsumieren unter Investitionen nur das, was in Steine, in neue Technologien und in andere, am Ende sichtbare, erfahrbare Elemente finanziert wird. Aber das, was wir für Familie tun, ist eine in der langfristigen Perspektive viel wichtigere Investition. Herr Wilfried Schreiber hat schon in den 50er Jahren gefordert, dass der Einsatz für Familie stärker gewichtet werden muss, als der finanzielle Einsatz in einer Sozialversicherung. Und das macht ja deutlich, dass es etwas mit Zukunftssicherung und Zukunftsorganisation zu tun hat. Deshalb ist der Einsatz für Familie keine konsumtive Leistung, sondern auf jeden Fall eine investive Leistung.

    Liminski: Neue Wege in der Familienpolitik, Beispiel die Thüringer Familienoffensive, unter anderem. Das war Dieter Althaus, Ministerpräsident von Thüringen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Althaus.

    Althaus: Ich bedanke mich.