"Ursula von der Leyen: Das Bildungspaket kommt bei den Kindern an, zum ersten Mal können wir messen, wie viele Kinder haben tatsächlich das Bildungspaket und Leistungen daraus in Anspruch genommen – nicht nur Anträge, sondern Leistungen tatsächlich erhalten. Es sind 73 Prozent der Kinder, die Leistung aus dem Bildungspaket inzwischen erhalten. Das ist ein ausgesprochen erfreulicher Wert. Sie wissen, wie schwer es war anfangs, das Bildungspaket auf den Weg zu bringen, aus den Kinderschuhen sozusagen rauszukommen. Wir sind sehr froh darüber, dass jetzt diese Daten auch so konsolidiert vorliegen."
Jörg Biesler: Sagte Bundessozialministerin Ursula von der Leyen heute in Berlin, wo sie Bilanz zog nach zwei Jahren Bildungspaket. Das ist ein überraschend positives Resümee, denn wen immer man fragte in den letzten zwei Jahren, die Schwierigkeiten bei der Mittelverteilung waren groß. Von den Sozialverbänden wurden vor allem die hohen bürokratischen Hürden kritisiert. Nach Anlaufschwierigkeiten also soll es jetzt besser gehen, das war auch die Meinung der kommunalen Spitzenverbände heute: Das Geld für die Bildung der Kinder von Familien, die von Sozialleistungen leben, komme mittlerweile an, von Detailproblemen mal abgesehen.
- Am Telefon ist jetzt der Geschäftsführer des deutschen Familienverbandes, Siegfried Stresing. Guten Tag, Herr Stresing!
Siegfried Stresing: Guten Tag, Herr Biesler!
Biesler: Wie sind denn Ihre Erfahrungen aus der Praxis? Klappt es so gut, wie die Ministerin und die Kommunen finden?
Stresing: Das Bildungspaket ist ja Ausdruck eines tiefen Misstrauens gegenüber Familien, gerade gegenüber Familien mit niedrigem Einkommen. Diese Familien erhalten Gutscheine statt gute Geldscheine. Und überall dort, wo Kommunen und die dort ehrenamtlich engagierten Menschen bereits bisher interessierte und attraktive Angebote für Familien hatten, ist das Bildungspaket auch unbürokratisch umgesetzt worden und erfolgreich. Das heißt, diese Kommunen können stolz auf ihre Leistungen sein, auf die kommunalen Leistungen. Aber wir haben noch immer einen Skandal im Grunde genommen bei dem Bildungspaket. Und der ist so nicht hinnehmbar.
Biesler: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann ändert das Bildungspaket gar nicht so viel an der Lage der Kinder aus Familien, die von Sozialleistungen leben, weil in manchen Kommunen ging es ihnen bislang schon gut, und in den Kommunen – beziehungsweise verhältnismäßig gut, muss man wahrscheinlich sagen –, ...
Stresing: Richtig.
Biesler: ... und in den Kommunen, in denen es bislang nicht klappte, klappt es auch jetzt nicht?
Stresing: Ja, also ganz konkret. Ich halte es für einen Skandal, dass nur 75 Prozent der anspruchsberechtigten Familien das Bildungspaket überhaupt kennen, wie heute die Ministerin auch dargestellt hat. Wenn man im Kontakt mit der Verwaltung, also mit dem Jobcenter, nicht einmal das Angebot allen Anspruchsberechtigten vorgestellt wird, dann können wir uns doch gut vorstellen, wie das vor Ort umgesetzt wird beziehungsweise nicht umgesetzt wird. Also mal ganz konkret: Es darf einfach nicht sein, dass unsere Schulen nach wie vor so ausgestaltet sind, dass gerade Kinder aus finanziell schwachen Familien einen Nachhilfeunterricht benötigen. Und um dies auch über das Bildungspaket zu erhalten, diesen Bedarf durch eine drohende Versetzung auch noch über das Amt nachweisen müssen. Das halten wir für unmöglich.
Biesler: Scheint doch noch einigermaßen bürokratisch zu sein.
Stresing: Richtig.
Biesler: Es gibt auch Kritik an den Zahlen der Ministerin, die SPD natürlich – das ist ihre Aufgabe als Opposition – hat die Äußerungen schon kritisiert und hat gesagt, im Arbeits- und Sozialausschuss des Bundestages, da habe die Ministerin selber eingeräumt, dass das mit den 73 Prozent der berechtigten Kinder und Jugendlichen, die Leistungen in Anspruch nehmen, so dann doch nicht so genau stimmt. Denn schon eine einzige Leistung, etwa die Bezuschussung eines einzelnen Schulausflugs oder eines einzelnen Vereinsbeitrags, das würde schon berechnet. Also 73 Prozent sei sozusagen die Zahl der Leistungen, die insgesamt eingenommen werden. Und nicht etwa 73 Prozent aller Kinder und Jugendlichen würden alle Leistungen in Anspruch nehmen. Jetzt haben Sie ja gesagt, das ist sozusagen unterschiedlich, wie auch die Informationspolitik ist. In welchen Kommunen klappt es denn nach Ihrer Erfahrung gut und in welcher nicht?
Stresing: Ich möchte jetzt nicht einzelne Kommunen herausheben, weder positiv, noch negativ, sondern einfach mal mit Beispielen deutlich machen, worum es eigentlich geht. Also nehmen wir mal das berühmte Beispiel der Musikschulen. Wenn einem Kind pro Monat zehn Euro zur Verfügung steht, um eine Musikschule zu besuchen, dann ist das lachhaft, weil diese Musikschule einfach ein Vielfaches kostet. Und wir sollten doch nicht ernsthaft annehmen, dass über diesen Weg die musische Erziehung aller Kinder gefördert wird. In Sachsen erleben wir in einigen Kommunen jetzt gerade ganz aktuell ein Engagement unter dem Titel "Jedem Kind ein Instrument", eine vorbildhafte Kampagne, die aber nicht über das Bildungspaket läuft, sondern wo einfach das Land oder die Kommunen sagen: Wir müssen dafür sorgen, dass jedes Kind auch eine ordentliche musische Ausbildung bekommt.
Biesler: Also Sie würden sagen, das Bildungspaket ist schon mal grundsätzlich falsch zusammengestellt?
Stresing: So ist es, richtig. Nehmen Sie doch mal das andere Beispiel, das von der Ministerin auch immer so positiv gesehen wird. Vereine, in denen Ehrenamtliche dafür sorgen, dass die Kinder auch was bekommen, also nehmen Sie mal einen Sportverein: Die Fußballvereine sind zu Recht stolz darauf, was sie für eine tolle Jugendausbildung machen und Kinderausbildung. Bloß was hilft es denn, wenn das talentierte Kind zehn Euro pro Monat Vereinsbeitrag bekommt? Da kann es möglicherweise Mitglied im Verein sein, aber ohne ordentliche Fußballschuhe können sie einfach nicht Fußball spielen. Das heißt, wir verlangen, dass den Familien, wenn sie es nicht selber erwirtschaften können, das zur Verfügung gestellt wird, was sie für ihre Kinder brauchen.
Biesler: Das wäre dann eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze?
Stresing: Richtig, ganz genau.
Biesler: In welcher Form, wie könnte das aussehen? In welcher Höhe?
Stresing: Ja, in der Form ... die Höhe, da will ich mich jetzt gar nicht so festlegen, also ob man da über fünf Euro oder zehn Euro hin oder her diskutieren müssen – das müssen wir dann wirklich mit der Politik verhandeln. Sondern das Grundproblem ist einfach, misstraut doch nicht ständig Familien, dass sie mit Geld nicht umgehen können. Familien sind zuständig für ihre Kinder und machen das auch in der überwiegenden Anzahl sehr ordentlich und müssen dazu auch die Möglichkeiten erhalten.
Biesler: Siegfried Stresing, der Geschäftsführer des deutschen Familienverbandes, zog auch Bilanz nach zwei Jahren Bildungspaket. Vielen Dank!
Stresing: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jörg Biesler: Sagte Bundessozialministerin Ursula von der Leyen heute in Berlin, wo sie Bilanz zog nach zwei Jahren Bildungspaket. Das ist ein überraschend positives Resümee, denn wen immer man fragte in den letzten zwei Jahren, die Schwierigkeiten bei der Mittelverteilung waren groß. Von den Sozialverbänden wurden vor allem die hohen bürokratischen Hürden kritisiert. Nach Anlaufschwierigkeiten also soll es jetzt besser gehen, das war auch die Meinung der kommunalen Spitzenverbände heute: Das Geld für die Bildung der Kinder von Familien, die von Sozialleistungen leben, komme mittlerweile an, von Detailproblemen mal abgesehen.
- Am Telefon ist jetzt der Geschäftsführer des deutschen Familienverbandes, Siegfried Stresing. Guten Tag, Herr Stresing!
Siegfried Stresing: Guten Tag, Herr Biesler!
Biesler: Wie sind denn Ihre Erfahrungen aus der Praxis? Klappt es so gut, wie die Ministerin und die Kommunen finden?
Stresing: Das Bildungspaket ist ja Ausdruck eines tiefen Misstrauens gegenüber Familien, gerade gegenüber Familien mit niedrigem Einkommen. Diese Familien erhalten Gutscheine statt gute Geldscheine. Und überall dort, wo Kommunen und die dort ehrenamtlich engagierten Menschen bereits bisher interessierte und attraktive Angebote für Familien hatten, ist das Bildungspaket auch unbürokratisch umgesetzt worden und erfolgreich. Das heißt, diese Kommunen können stolz auf ihre Leistungen sein, auf die kommunalen Leistungen. Aber wir haben noch immer einen Skandal im Grunde genommen bei dem Bildungspaket. Und der ist so nicht hinnehmbar.
Biesler: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann ändert das Bildungspaket gar nicht so viel an der Lage der Kinder aus Familien, die von Sozialleistungen leben, weil in manchen Kommunen ging es ihnen bislang schon gut, und in den Kommunen – beziehungsweise verhältnismäßig gut, muss man wahrscheinlich sagen –, ...
Stresing: Richtig.
Biesler: ... und in den Kommunen, in denen es bislang nicht klappte, klappt es auch jetzt nicht?
Stresing: Ja, also ganz konkret. Ich halte es für einen Skandal, dass nur 75 Prozent der anspruchsberechtigten Familien das Bildungspaket überhaupt kennen, wie heute die Ministerin auch dargestellt hat. Wenn man im Kontakt mit der Verwaltung, also mit dem Jobcenter, nicht einmal das Angebot allen Anspruchsberechtigten vorgestellt wird, dann können wir uns doch gut vorstellen, wie das vor Ort umgesetzt wird beziehungsweise nicht umgesetzt wird. Also mal ganz konkret: Es darf einfach nicht sein, dass unsere Schulen nach wie vor so ausgestaltet sind, dass gerade Kinder aus finanziell schwachen Familien einen Nachhilfeunterricht benötigen. Und um dies auch über das Bildungspaket zu erhalten, diesen Bedarf durch eine drohende Versetzung auch noch über das Amt nachweisen müssen. Das halten wir für unmöglich.
Biesler: Scheint doch noch einigermaßen bürokratisch zu sein.
Stresing: Richtig.
Biesler: Es gibt auch Kritik an den Zahlen der Ministerin, die SPD natürlich – das ist ihre Aufgabe als Opposition – hat die Äußerungen schon kritisiert und hat gesagt, im Arbeits- und Sozialausschuss des Bundestages, da habe die Ministerin selber eingeräumt, dass das mit den 73 Prozent der berechtigten Kinder und Jugendlichen, die Leistungen in Anspruch nehmen, so dann doch nicht so genau stimmt. Denn schon eine einzige Leistung, etwa die Bezuschussung eines einzelnen Schulausflugs oder eines einzelnen Vereinsbeitrags, das würde schon berechnet. Also 73 Prozent sei sozusagen die Zahl der Leistungen, die insgesamt eingenommen werden. Und nicht etwa 73 Prozent aller Kinder und Jugendlichen würden alle Leistungen in Anspruch nehmen. Jetzt haben Sie ja gesagt, das ist sozusagen unterschiedlich, wie auch die Informationspolitik ist. In welchen Kommunen klappt es denn nach Ihrer Erfahrung gut und in welcher nicht?
Stresing: Ich möchte jetzt nicht einzelne Kommunen herausheben, weder positiv, noch negativ, sondern einfach mal mit Beispielen deutlich machen, worum es eigentlich geht. Also nehmen wir mal das berühmte Beispiel der Musikschulen. Wenn einem Kind pro Monat zehn Euro zur Verfügung steht, um eine Musikschule zu besuchen, dann ist das lachhaft, weil diese Musikschule einfach ein Vielfaches kostet. Und wir sollten doch nicht ernsthaft annehmen, dass über diesen Weg die musische Erziehung aller Kinder gefördert wird. In Sachsen erleben wir in einigen Kommunen jetzt gerade ganz aktuell ein Engagement unter dem Titel "Jedem Kind ein Instrument", eine vorbildhafte Kampagne, die aber nicht über das Bildungspaket läuft, sondern wo einfach das Land oder die Kommunen sagen: Wir müssen dafür sorgen, dass jedes Kind auch eine ordentliche musische Ausbildung bekommt.
Biesler: Also Sie würden sagen, das Bildungspaket ist schon mal grundsätzlich falsch zusammengestellt?
Stresing: So ist es, richtig. Nehmen Sie doch mal das andere Beispiel, das von der Ministerin auch immer so positiv gesehen wird. Vereine, in denen Ehrenamtliche dafür sorgen, dass die Kinder auch was bekommen, also nehmen Sie mal einen Sportverein: Die Fußballvereine sind zu Recht stolz darauf, was sie für eine tolle Jugendausbildung machen und Kinderausbildung. Bloß was hilft es denn, wenn das talentierte Kind zehn Euro pro Monat Vereinsbeitrag bekommt? Da kann es möglicherweise Mitglied im Verein sein, aber ohne ordentliche Fußballschuhe können sie einfach nicht Fußball spielen. Das heißt, wir verlangen, dass den Familien, wenn sie es nicht selber erwirtschaften können, das zur Verfügung gestellt wird, was sie für ihre Kinder brauchen.
Biesler: Das wäre dann eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze?
Stresing: Richtig, ganz genau.
Biesler: In welcher Form, wie könnte das aussehen? In welcher Höhe?
Stresing: Ja, in der Form ... die Höhe, da will ich mich jetzt gar nicht so festlegen, also ob man da über fünf Euro oder zehn Euro hin oder her diskutieren müssen – das müssen wir dann wirklich mit der Politik verhandeln. Sondern das Grundproblem ist einfach, misstraut doch nicht ständig Familien, dass sie mit Geld nicht umgehen können. Familien sind zuständig für ihre Kinder und machen das auch in der überwiegenden Anzahl sehr ordentlich und müssen dazu auch die Möglichkeiten erhalten.
Biesler: Siegfried Stresing, der Geschäftsführer des deutschen Familienverbandes, zog auch Bilanz nach zwei Jahren Bildungspaket. Vielen Dank!
Stresing: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.