Montag, 20. Mai 2024

Archiv


Farbenrausch im Norden

Die Vorliebe der Normannen für die Malerei des Impressionismus hat Tradition. Erstklassige Kunstausstellungen beim "Festival Normandie Impressioniste" machen das deutlich.

Von Björn Stüben | 09.05.2013
    Mittlerweile sollte es sich herumgesprochen haben. Die Wiege des Impressionismus in der Malerei stand um 1870 in der nordfranzösischen Region Normandie. Über 600 Kilometer Küstenlinie, einen der bedeutenden europäischen Ströme, über dessen Mündung in den Ärmelkanal sich heute die Schrägseilbrücke mit der größten Spannweite Europas erhebt und ausgiebige Regenfälle, die für das sprichwörtlich satte Grün der Wiesen und Auen sorgen - die Normandie bietet Wasser im Überfluss und genau dieses Motiv begegnet dem Betrachter in den Bildern des Impressionismus sehr, sehr häufig. Das Festival Normandie Impressioniste 2013 dreht sich laut Veranstalter daher vor allem um? Das Wasser natürlich.

    Ausstellungen, mobile Theaterbühnen, Kino und Tanz, Literaturlesungen von Maupassant bis Proust, Workshops, aber vor allem massentaugliche Picknicks, Tanzbälle auf Seine-Schiffen, sogenannte Guinguettes, Kanuregatten oder Wettrudern, das Festivalprogramm der kommenden fünf Monate könnte wie ein Paukenschlag der Fremdenverkehrsämter zum Auftakt der bald anstehenden Feriensaison an normannischen Stränden gelesen werden. Doch es bietet weit mehr.

    Im Musée des Impressionismus in Giverny wird der Farbenrausch im Werk Paul Signacs, des radikalsten unter den Neoimpressionisten, ausgebreitet. Caen, die Hauptstadt der Basse-Normandie, feiert im Musée des Beaux-Arts den "Sommer am Wasser" durch die Freizeitbrille der Impressionisten gesehen, von Berthe Morisots verträumten Blick auf den Hafen von Lorient über John Singer Sargents Mittagsschlaf zweier Ausflüglerinnen in einer Barke im Schatten von Trauerweiden bis hin zu Renoirs Spätbarock anmutenden langhaarigen Frauenakten am Flußufer.

    In Rouen, der Hauptstadt der Haute-Normandie und wirtschaftlich bedeutendsten Metropole der Region, ließ sich das Museum der Schönen Künste für die Schau der, laut Untertitel, 100 impressionistischen Meisterwerke den blumigen Titel "Éblouissants reflets", "Schillernde Reflexionen" einfallen.

    Und tatsächlich wird gehalten, was versprochen wird, denn ein Großteil der Werke, die Spiegelungen auf der Wasseroberfläche zeigen, stammen von Claude Monet. Die ambitionierte Schau aber mit einem mythologischen Rückgriff auf Narziss, der sich beim Blick aufs Wasser in sein eigenes Spiegelbild verliebte, zu beginnen, ist zwar reizvoll, überzeugt aber letztlich wenig. Johan Barthold Jongkinds Bild von 1855 "Vollmond in Overschie" zeigt hingegen deutlich, wovon sich Monet bei seinem Aufenthalt in Holland inspirieren ließ. Es ist der Effekt des gleißenden Mondlichts, das ein Spiegelbild der Uferlandschaft auf die Wasserfläche wirft und bei Monets Mühle in Zaandam 15 Jahre später fast identisch wiederkehrt.

    Parallel zu den Malereien zeigt die Schau in Rouen auch Fotografien von Gustave Le Gray oder Edouard Baldus und auch sie fixierten eigentlich nur eines, das Lichtspiel auf dem Wasser. Gustave Caillebottes Kanute, der sich weit vorreckt, um sein Boot mit dem Ruder an den Steg zu ziehen, scheint mit seiner Haltung bewußt den Blick des Betrachters auf die schillernde Wasseroberfläche lenken zu wollen. Und Alfred Sisley schließlich bannt die Überschwemmung der Seine bei Port-Marly gleich als gemalte Serie, bei Sonnenschein, bedecktem Himmel und bei Regen. Was ihn fasziniert ist natürlich das angeschwollene Flußbett mit seinen Wassermassen. Wen wundert es dann noch, dass Monet in seinem Spätwerk, in Rouen natürlich mit Vorstudien zu den berühmten Seerosenbildern vertreten, die übliche Darstellung des Horizonts als Orientierungslinie für den Bildbetrachter aus seinen Bildern gänzlich verbannt und so nur noch ein Motiv zeigt: die schimmernde Wasseroberfläche.

    Im vom Weltkrieg fast völlig ausradierten, in den 1950er-Jahren dann modern wieder aufgebauten und heute zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannten Le Havre zeigt das Musée Malraux eine andere Facette des Impressionismus: Camille Pissarros Hafenbilder.

    Atmosphärische Studien vom Treiben an den Quais des kleinen Fischerhafens von Dieppe, des bedeutenden Seine-Hafens von Rouen und des auch heute noch wichtigsten Hafens Frankreichs Le Havre hat Pissarro um 1900 meist aus der Beobachterperspektive durch die Fenster eines Hotelzimmers festgehalten. In Le Havre legen Transatlantikdampfer an, von Schaulustigen umlagert, während im Hintergrund die Bauarbeiten für eine Hafenmodernisierung zu erkennen sind. Géraldine Lefebvre vom Musée Malraux betont Pissarros enge Verbindung zur Stadt Le Havre:

    "Private Sammler in Le Havre interessierten sich seit den 1890er-Jahren für die Arbeiten Pissarros. Der Sammler und Mäzen Pieter van de Velde etwa kaufte ihm zehn seiner Werke ab. Van de Velde kannte Pissarros in Dieppe und Rouen entstandene Hafenbilder und bat ihn daher, auch in Le Havre zu malen. Er überzeugte Pissarro davon, dass er auch interessante Motive im Hafen von Le Havre finden werde. Zudem könnte er sicher sein, hier auch auf weitere Sammler zu treffen, die sein Werk sehr schätzen würden. Und so war es auch. Schon 1901 hatten der Bürgermeister und die zahlreichen privaten Kunstsammler in Le Havre, die alle dem Ankaufskommitee des Museums angehörten, dafür gesorgt, dass erstmals impressionistische Bilder für eine öffentliche Sammlung in Frankreich erstanden wurden. Es handelte sich dabei um zwei Hafenstücke Pissarros, die er hier gemalt hatte. Der Wille, den Impressionismus somit zu fördern und ihn ins Museum zu holen, wurde nirgendwo sonst so früh zum Ausdruck gebracht wie hier in Le Havre."

    Die Vorliebe der Normannen für die Malerei des Impressionismus hat offenbar Tradition, was einige erstklassige Kunstausstellungen beim diesjährigen Festival Normandie Impressioniste einmal mehr deutlich machen.