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Fasern mit gefährlicher Langzeitwirkung

Es ist billig, einfach zu aufzutragen und es schützt zuverlässig vor Bränden: Asbest war lange Jahre ein beliebter Baustoff. Doch dann stellte sich heraus: Das Material ist krebserregend. Vor 15 Jahren wurde deshalb der Einsatz in Deutschland verboten. Dennoch steigt gerade jetzt die Zahl der Menschen, die an Rippefell-Krebs erkranken.

Von Thomas Wagner | 22.04.2008
    Seit 2005 weiß Peter Fleischer aus Essen um seine schwere Krankheit: Er leidet an Rippefellkrebs; die Tumore breiten sich in seiner Lunge aus.

    "Ich bin gelernter Fernmeldemonteur und habe oft in Kraftwerken Kabel verlegt, oft gelötet, wo der Lötkolben auch auf Asbestplatten lag, in den Kraftwerken an den Stellen, wo es heiß ist, wo die Thermofühler sind. Das waren eben alle Isolierungen, die damals alle aus Asbest waren. Daher rührt mein Asbestkontakt von Berufs wegen."

    Das war in den 80er Jahren. Doch erst 2001 bekam Peter Fleischer Atemprobleme. Vier Jahre später wurden die Tumore in seiner Lunge diagnostiziert. Dabei fanden die Ärzte in den Gewebeproben auch Asbestrückstände. Dass oftmals Jahrzehnte zwischen dem Einatmen der Asbestfasern und der Entstehung von Tumoren liegen, ist nichts Ungewöhnliches. Professor Volker Mersch-Sundermann, ärztlicher Direktor des Institutes für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Freiburg:

    "Wir haben zwischen der Exposition der Krankheitsentstehung in der Regel sehr lange Latenzzeiten, was vor allem die Tumore angeht. Zwischen der Einwirkung von Asbest und der Entstehung eines Tumors können durchaus 20, 30 oder gar 40 Jahre liegen. Das bedeutet: Wenn auch in den 70er und den 80er Jahren dauerhafte Asbestbelastungen waren, führt das heute bei den Menschen, die damals belastet waren, heute zu Tumoren."

    Dies erklärt die steigende Zahl von Patienten, die an so genannten Asbest-Tumoren leiden: 1000 Neuerkrankungen bundesweit pro Jahr weist die Statistik aus. Tendenz: steigend - obwohl die Verwendung von Asbest seit 15 Jahren verboten ist. Laut Professor Bernward Passlick, Ärztlicher Direktor der Abteilung Thoraxchirugie des Universitätsklinikums Freiburg, treten diese langen Zeiträume zwischen dem Kontakt mit Asbestfasern und der Tumorbildung deshalb auf,

    "...weil offensichtlich diese Asbestfasern, und das sind ja starre Fasern, die sich in der Lunge und im Rippenfell wiederfinden, lange Zeit brauchen, eine lange Reizung brauchen, bis es schließlich zu Tumorbildung kommt."

    Bis vor etwa fünf Jahren, so Professor Bernward Passlick, standen die Mediziner diesem Krankheitsbild weitgehend machtlos gegenüber.

    "Es war lange Zeit nicht möglich, diesen Tumor zu therapieren. Er war quasi resistent sowohl auf die Bestrahlung als auch auf die Chemotherapie. Die Operation war in den 80er und 90er Jahren mit einer hohen Sterblichkeit verbunden, so dass man häufig überhaupt nichts getan hat oder tun konnte."

    Das hat sich nun geändert: Das neue Therapieverfahren, dass die Experten in Freiburg diskutierten, besteht im wesentlichen aus zwei Teilen: Zum einen gelang es den Spezialisten, neue wirkungsvolle Medikamente für die Chemotherapie zu entwickeln. Hinzu kommt ein weiterer wesentlicher Faktor im Kampf gegen die Asbest-Tumore - nämlich....

    "....durch die Verfeinerung der Operationstechniken und durch die richtige Auswahl der Patienten, das heißt mit einer guten Lungen- und mit einer guten Herzfunktion, ist es möglich, heute mit kurzer Operationsdauer und mit dem Einsatz von modernen Ersatzmaterialien für den Herzbeutel und für das Zwerchfell, das man dabei herausnehmen muss, solche Operationsresultate zu erzielen, dass die Sterblichkeit sehr gering ist und die gravierenden Komplikationen deutlich abgenommen haben."

    Konkret: Noch vor zehn Jahren starben etwa ein Drittel aller Patienten entweder im Verlauf oder direkt nach einer solchen Operation. Nun, mit der modifizierten Methode, liegt diese Sterblichkeit gerade mal noch bei fünf Prozent. Dies sei ein deutlicher Schritt nach vorne im Kampf gegen die Asbest-Tumore, sagen die Freiburger Mediziner. Sie rechnen trotz des Asbest-Verbotes damit, dass solche Erkrankungen noch über Jahrzehnte hinweg auftreten. Denn selbst heute, 15 Jahre nach dem Asbest-Verbot, kommen viele Menschen immer noch ganz unbeabsichtigt mit den Fasern in Kontakt, weiß Professor Volker Mersch-Sundermann:

    "Unbeabsichtigt mit der Renovierung von Gebäuden beispielsweise, wo man dann zum Beispiel die Deckenverkleidung abnimmt und dann plötzlich auf Materialien stößt, die zum Feuerschutz eingebracht waren, in denen sich Asbest befindet. Immer wieder gibt es dabei solche Spritz-Asbeste, die Fasern absetzen können, die vor allen Dingen im Feuerschutz eingesetzt worden sind in den Gebäuden. Ansonsten ist Asbest ja auch in vielen Produkten eingesetzt worden. Also man schätzt ungefähr, dass gerade so Anfang der 80er Jahre, als die Hochkultur sozusagen des Asbestes gerade zu Ende ging, dass Asbest in so 3000 Produkten oder mehr vorkam, so dass bei so alten Produkten wie beispielsweise Toaster oder elektrische Widerstände oder Nachtspeicheröfen beispielsweise, also alle diese Dinge können Asbest enthalten."

    Deshalb warnen die Mediziner nach wie vor davor, solche alten Geräte selbst auseinander zu nehmen. Denn kaum einer denkt daran, dass dabei Asbest-Fasern freigesetzt werden können.