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"Fast schon eine reflexartige Zuweisung zum Kaukasus"

Die Hintermänner des Anschlags auf Russlands größten Flughafen Domodedowo werden im Nordkaukasus vermutet, sagt Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Einen klaren Beweis gäbe es allerdings noch nicht.

Uwe Halbach im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: 35 Tote, über 100 Verletzte, so lautet die vorläufige Bilanz nach dem Anschlag auf Russlands größten Flughafen Domodedowo bei Moskau. Unter den Toten ein Deutscher, zwei Briten, das ist mittlerweile bestätigt. Die Zahl der Todesopfer aber, die kann natürlich wie immer in solchen Fällen weiter steigen, derweil die Suche nach den Hintermännern weitergeht. – Am Telefon jetzt Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen, Herr Halbach!

    Uwe Halbach: Guten Morgen!

    Heckmann: Aus Ihrer Erfahrung heraus, wie wahrscheinlich ist es denn, dass die Täter aus dem kaukasischen Terrorismus kommen?

    Halbach: Nun ja, in den letzten Jahren hat sich bei allen größeren Terroranschlägen im Inneren Russlands dieser Hintergrund gezeigt. Das betrifft den Anschlag, den Sprengstoffanschlag auf die Metro im März letzten Jahres, den Anschlag auf den Newski-Express im November 2009, Terroranschläge, die schon einige Jahre zurückliegen wie die Geiselnahme an dem Moskauer Musiktheater und andere. Also insofern ist da fast schon eine reflexartige Zuweisung zum Kaukasus in Russland und das steht für eine gewisse Wahrscheinlichkeit.

    Heckmann: Wie ungewöhnlich ist es denn, dass es bisher kein Bekennerschreiben oder Ähnliches gibt?

    Halbach: Bekennerschreiben haben oft, haben auch bei früheren Terrorakten auf sich warten lassen, sind nicht sogleich erfolgt. Insofern kann das noch kommen in den nächsten Tagen. Aber es ist natürlich immer noch eine Vermutung, was diesen Hintergrund betrifft, es ist noch kein klarer Beweis.

    Heckmann: Wir haben keine Bestätigung für die Urheberschaft, in der Tat noch nicht, muss man sagen. Was man aber sagen kann – ich weiß nicht, ob Sie diese These teilen – ist, dass der Kreml die Lage im Nordkaukasus offenbar politisch nicht in den Griff bekommt?

    Halbach: Das ist richtig. Er hat 2010 einen Neuanfang gesucht. Er hat versucht, mit neuen Methoden an diese Region heranzugehen, nicht mehr nur noch auf Gewalt zu setzen, nicht mehr nur noch auf dieses harte Durchgreifen zu setzen, sondern auch die tiefer liegenden Wurzeln der Gewalt im Nordkaukasus, der Probleme in dieser Region anzugehen, die sozial-ökonomischen Wurzeln, die politischen Wurzeln von Gewalt. Man hat einen neuen Sonderbevollmächtigten für diese Region bestellt, und zwar nicht aus den Sicherheitsapparaten Russlands, sondern aus dem Wirtschaftsmanagement. Aber bislang hat diese neue Strategie noch keine Resultate gezeigt, dafür ist allerdings die Zeit auch noch zu kurz, und es wachsen natürlich die Befürchtungen, dass diese Resultate auch in der längeren Aussicht ausstehen werden.

    Heckmann: Muss man denn jetzt befürchten, dass diese neue Strategie, von der Sie sprechen, an ihr Ende gelangt ist mit dem gestrigen Terroranschlag?

    Halbach: Ja, die Befürchtung ist natürlich da, dass jetzt doch wieder das Herangehen an den Nordkaukasus stärker auf die Gewaltmittel, auf das harte Durchgreifen zurückgeführt wird. Allerdings haben sich auch bei dem Moskauer Anschlag in der Metro im letzten Jahr zunächst einmal die Aussagen über Kaukasus und Kaukasus-Politik wieder verlagert hin zu diesem harten Durchgreifen, aber man hat dann im Nachhinein, in den folgenden Monaten doch versucht, auch diese andere Strategie umzusetzen, Wirtschaftsreformen in dieser Region durchzuführen, aber die sind schwer, die sind fast nicht durchführbar. Wenn man zum Beispiel den Tourismus aufbauen will, um neue Arbeitsplätze im Nordkaukasus zu schaffen, dann schüttelt natürlich jeder Wirtschaftsexperte den Kopf und sagt, in einer Region erhöhter Unsicherheit wird es keine Tourismusentwicklung geben, und im Nordkaukasus sind 2010 745 Menschen durch Gewaltzwischenfälle ums Leben gekommen.

    Heckmann: Ministerpräsident Putin, der ehemalige Präsident, der stand für diesen harten Kurs, der jetzige Präsident Medwedew eher für Reformen, für diesen dialogorientierten Ansatz. Wird dieser Anschlag von gestern einem von den beiden in die Hände spielen?

    Halbach: Das ist nicht gesagt. Auch Präsident Medwedew hat ja danach wieder, angesichts dieser Herausforderung, härtere Töne angeschlagen, hat von der harten Bestrafung, vom Durchgreifen gesprochen. Es ist also nicht unbedingt so, dass sich jetzt irgendwie in dem Tandem Putin-Medwedew irgendwelche Kräfte verlagern. Bislang haben beide sich zum Nordkaukasus nicht so geäußert, dass irgendwo eine Kluft da feststellbar war.

    Heckmann: Ganz kurz noch zum Schluss, Herr Halbach. Schon vorher wurden Menschen aus dem Kaukasus diskriminiert, als potenzielle Terroristen behandelt. Wie groß ist die Gefahr, dass sich diese Entwicklung verstärkt in den nächsten Wochen?

    Halbach: Ja, die ist natürlich schon da. Es liegt ja gerade erst dieses Ereignis vom 11. Dezember, diese fremdenfeindlichen Ausschreitungen liegen ja erst einige Wochen zurück, und das Verhältnis zwischen Russland und seiner kaukasischen Peripherie wird nun abermals stark belastet. Laut Umfragen, Meinungsumfragen vom letzten Jahr, sehen immer mehr Russen diese kaukasische Peripherie, diese Teilrepubliken im Nordkaukasus als einen Fremdkörper, mit dem sie nicht mehr zurechtkommen, und es wächst fast auch das Votum in der Bevölkerung, dass man diese Region abstößt, dass man sie gar nicht mehr haben will, dass man sie gar nicht mehr bei Russland halten will. Das Verhältnis zwischen Russen und Kaukasen, also zwischen Russland und seiner kaukasischen Peripherie, wird also sicherlich belastet durch diesen Terroranschlag.

    Heckmann: Über das politische Klima in Russland nach dem gestrigen Terroranschlag habe ich gesprochen mit Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Halbach, danke Ihnen für dieses Interview.