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"Fast um$onst."

"Die Umsonststadt Berlin lädt zur Selbstbedienung ein" – wenn das in Zeiten des Sparzwangs kein zugkräftiger Slogan für einen Berlin-Besuch ist. Zu lesen ist er allerdings nicht auf der Internationalen Tourismusbörse, sondern in der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst, kurz NGBK in Berlin-Kreuzberg. Hier hat für einige Wochen die Berliner selbstbedienungszentrale.de ihr bescheidenes Tischchen aufgestellt, als Gast der Ausstellung "Fast um$onst". Die NGBK ist bekannt für ihre ungewöhnlichen und ironischen Projekte, man gibt wenig auf den Starkult des großen Kunstbetriebes und pflegt nun schon seit Jahrzehnten das Künstlertum als weites Feld der Anarchie. Mit "Fast um$onst" widmet man sich nun dem Bereich des Sparens. Nicht nur dem politisch verordneten Sparzwang, sondern auch Sparen als Teil der sozialen Marktwirtschaft, sprich: Schnäppchenjagd und Alternativkulturen, die sich vom Gebrauch des Geldes verabschiedet haben, und das mitten im real existierenden Kapitalismus.

Von Carsten Probst |
    Die Selbstbedienungszentrale passt natürlich ins Konzept, sie ist ebenfalls ein Kunstprojekt, auch wenn man ganz seriös daherkommt und per Internet oder einfach per kostenlosem Handzettel die Leute auffordert, ihre nicht mehr benötigten Dinge in Umlauf zu bringen. Vorbild sind die früheren Sperrmüllsammler und ihre Tauschmärkte, die es ja nun, seit die Städte den Müll nur noch auf Anruf abholen, denkbar schwer haben, oder die Altkleidersammelaktionen.

    Dass man diese Aktion durchaus nicht für rein zweckenthobene Kunst hält, liegt daran, dass es in Berlin tatsächlich einen ganz echten "Umsonstladen", der nach dem gleichen Prinzip funktioniert und das Geld als Tauschmedium damit ausschließt. Dort kann man übrigens auch umsonst CDs brennen, womit ein weiteres hochaktuelles Thema der gegenwärtigen Umsonst-Kultur berührt wird, nämlich die Tauschbörsen im Internet, der letzte Rückzugsort jener Enthusiasten, die das Internet einst, als es das Wort E-Commerce noch nicht gab, als anarchisches Medium begrüßten. Überhaupt muss Berlin als unangefochtene Hauptstadt der Umsonst-Kultur gelten, weshalb sie eben nicht umsonst auch hier den Ehrentitel der Umsonststadt erhalten hat.

    Die Ausstellung dokumentiert dies auch mit einem historischen Rückblick, wie es dazu kommen konnte. Zum einen ist die Umsonst-Kultur natürlich mit der alternativen Kreuzberger Szene verbunden, die in den siebziger und achtziger Jahren bekanntlich keine Gelegenheit des Schnorrens und Schindens ausließ, wie ein damaliger Berliner Innensenator prominent zu Protokoll gab. Die Künstlerin Kaaren Beckhof erinnert mit einer Installation an die heute fast vergessene Kultur des Trampens und die daraus entstandene "Trampelliteratur", für die sie einige handgeschriebene Zeugnisse auslegt, Tagebücher, die von der romantischen Sehnsucht der Erbengeneration nach dem einfach Leben auf der Straße künden, um hernach ins behütete und immer etwas zu stickige Westdeutschland zurückzukehren. Der Ausstellungsbesucher ist aufgefordert, auf einer großen Europakarte an der Wand seine früheren Trampingrouten einzutragen. Alle Wege führen dabei ans Mittelmeer.

    Sofia Hultén widmet sich in einem Video dagegen mit viel Geduld den kleinen kostenlosen Vergnügungen des Büroalltags, für die man auch als normaler Angestellter alle notwendigen Utensilien von der Firma gestellt bekommt: Bleistifte zum fortwährenden Anspitzen, Büroklammern, die man zu langen Ketten zusammenstecken kann, in jüngerer Zeit eben auch die kleinen Computerkartenspiele mit der "Boss"-Taste.

    Christine Kriegerowski lässt in einer Diashow hingegen die Ikonen der heutigen Rabattkultur vorüberziehen, fast umsonst ist als Slogan da noch geradezu der Raffgier verpflichtet. Die Rabattkultur, von Flugreisen über Bahncard bis hin zur kostenlosen Klimaanlage im neuen Golf, ist längst vom Bodensatz der Zweidrittelgesellschaft zur Salonfähigkeit aufgestiegen, zur neuen symbolischen Lebensform. Wer es nicht generell und in jeder Hinsicht ein bisschen billiger hat, ist einfach weg vom Fenster, da hilft kein Klagen über den Standort Deutschland. Die Preisanarchie ist hoffähig geworden beim Souverän, man nimmt gern kleine Macken in Kauf, auch in Geschmacksfragen. Schon gar nicht ist einzusehen, dass man noch für irgendwelche Markennamen zusätzlich drauflegen soll. Und mit Kunst soll, wenn es nach dem bescheiden gewordenen Endverbraucher geht, ja schon länger möglichst kein Geld zu verdienen sein. Auch wenn man sich natürlich gern eine teuere Schau wie das MoMA in Berlin nicht entgehen lässt. Kunst ist schließlich Berufung und kein Beruf. Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst zeigt einmal wieder, wo die eigentlichen Werte in unserer geplagten Zeit zu suchen sind.