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Fastenzeit und Coronakrise
Erzwungener Verzicht 

Die christliche Fastenzeit wurde in diesem Jahr überschattet von den Maßnahmen gegen die Coronakrise. Doch macht freiwilliges Fasten noch Sinn, wenn man ohnehin schon auf so vieles verzichten muss? Kirchenvertreter betonen stattdessen die geistigen und zwischenmenschlichen Seiten des Fastens. 

Von Christian Röther | 06.04.2020
Der Bischof des Bistums Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, feiert am im Rottenburger Dom die heilige Messe wegen der Coronavirus-Pandemie ohne Gläubige.
In der Fastenzeit dürfen wegen der Corona-Pandemie Messen nur ohne Gläubige gefeiert werden (dpa / picture alliance / Jochen Wiedemann / Diözese Rottenburg-Stuttgart)
"Ich habe viele Menschen erlebt, die gesagt haben: Ich wollte eigentlich auf mein Glas Rotwein verzichten und auf Süßigkeiten. Das mache ich jetzt aber nicht. Diese Welt ist so verrückt, da will ich darauf jetzt nicht verzichten, sondern ich gönne mir das. Die Zeiten sind hart genug", sagt Susanne Breit-Keßler.
Sie ist in der evangelischen Kirche fürs Fasten zuständig, könnte man sagen. Also natürlich kann jeder und jede fasten oder nicht fasten, wie‘s beliebt, aber Susanne Breit-Keßler gibt Anregungen, zusammen mit anderen: Denn sie ist die Vorsitzende des Kuratoriums von "7 Wochen ohne".
Das ist die bundesweite Fastenaktion der evangelischen Kirche, jedes Jahr mit einem anderen Motto. Diesmal lautet es: "Zuversicht! 7 Wochen ohne Pessimismus." Als wäre es erfunden worden für die Coronakrise, meint Breit-Keßler:
"Ich war selber eigentlich geschockt, wie zutreffend unser Motto dieses Jahr war. Wir haben es ja letztes Jahr schon ausgesucht. Ich hätte mir gewünscht, es hätte eine Spur weniger gepasst. Also man musste schon tatsächlich sich auch immer wieder - wie man in Bayern sagt - berappeln, und wieder tapfer sein und neue Zuversicht fassen."
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Das ist für viele Menschen wohl schon in normalen Zeiten nicht so einfach – sieben Wochen ohne Pessimismus. Aber durch die Pandemie konnte das evangelische Fastenmotto zu einer besonderen geistigen Herausforderung werden. Oder auch zu einer geistigen Stütze, sagt Breit-Keßler, langjährige Regionalbischöfin von München und Oberbayern:
"Die Menschen haben mich angesprochen darauf und haben gesagt: Fantastisch, dass Ihr so ein tiefsinniges Motto wieder hattet, und dass wir wirklich hier ganz existentiell von diesem Motto gepackt wurden und uns daran auch festhalten konnten in dieser sehr sehr schweren Zeit."
Und wie steht es in dieser schweren Zeit um das körperliche Fasten? An der ein oder anderen Stelle konnte man hören oder lesen: Die vielen Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie, das ist doch schon eine große Fastenaktion. Also quasi: Wer schon Sozialkontakte fastet, muss der wirklich auch noch auf Schokolade verzichten?
Freiwilliger Verzicht
Dabei wird allerdings vergessen: Fasten sollte eigentlich freiwillig sein – zumindest ist dieses Verständnis im Christentum weit verbreitet. Und die vielen Einschränkungen gerade sind eben nicht freiwillig, sondern erzwungen – von der Politik und der Vernunft.
"Christliches Fasten bedeutet tatsächlich einen freiwilligen Verzicht. Aber ich habe es so erlebt - bei mir selbst und bei anderen auch - dass man gesagt hat: Ich stelle mich sehr bewusst zu diesen Entscheidungen der Regierungen, und ich trage das wirklich aus Überzeugung mit. Und ich bin dabei. Das ist mein Verzicht, den ich - tatsächlich zwar erzwungener Maßen, aber dennoch überzeugt mittrage."
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"Wo ich eigentlich sehr dankbar bin, ist die große Disziplin, mit der sich die Menschen in unserem Land an diese Einschnitte halten, die ihnen jetzt da vorgegeben sind. Das zeigt, dass es offenbar gelungen ist, den Ernst der Situation zu vermitteln", sagt Franz Jung, der katholische Bischof von Würzburg.
Auch Franz Jung erkennt in den Corona-Beschränkungen also eine Art erweiterte Fastenzeit:
"Es ist sehr schön, dass diese Art des Fastens, die uns jetzt da auferlegt ist - eine ganz neue Form, nämlich dieser Kommunikationsverzicht, dieser direkte Kommunikationsverzicht - versucht wird, durch viele andere Werke der Nächstenliebe - und dafür ist ja die Fastenzeit da - aufgefangen wird. Das ist eigentlich sehr bewegend zu sehen, dass das, was die Fastenzeit will, nämlich die Erneuerung des Menschen und eine geistliche Besinnung auf das, was wichtig ist, dass das durch diese Krise eigentlich noch mal befördert worden ist."
Auf das Wesentliche besinnen
In der Krise halten die Menschen zusammen - klingt abgegriffen, gilt vielerorts aber tatsächlich. Von Nachbarschaftshilfe über Spenden bis hin zum symbolischen Dank für Verkäuferinnen, Pfleger, Ärztinnen und andere. Bischof Franz Jung nennt es:
"Eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft, die über das Land rollt, und der Solidarität. Wo man sieht: Oh, das, was wir in der Fastenzeit wollen, dass er Mensch sich besinnt, noch einmal an den Nächsten denkt und für den anderen etwas tun will, eigentlich das ist durch dieses Krise noch mal befördert worden, und das ist etwas sehr sehr Schönes."
Jetzt ist die Fastenzeit allerdings schon fast vorbei, Ostern steht vor der Tür. Das wichtigste christliche Fest, zugleich ein Frühlingsfest: Aufblühen trifft Auferstehung.
Ostern, das Fest der Hoffnung
Da passt es sehr gut zu dieser Symbolik von Ostern, dass in der politischen Diskussion schon vor Wochen gesagt wurde: Diese Corona-Maßnahmen gelten erst mal bis Ostern, nach den Osterferien sehen wir weiter. Ostern als möglicher Wendepunkt, als Neubeginn.
Denn Ostern sei "das große Fest der Hoffnung, dass es gut weitergehen kann", sagt der Würzburger Bischof Franz Jung:
"Ich glaube, dass diese Botschaft jetzt in diesen Tagen wichtiger ist als sonst, wo viele Menschen beunruhigt sind aufgrund der vielen Bilder, die wir medial Tag für Tag vermittelt bekommen: von endlosen Sargreihen, von Kühlhäusern in New York, um die Toten dort noch mal aufzubewahren.
Also es sind ja eigentlich Bilder der Verzweiflung, die einen niederdrücken können. Und ich glaube, da ist die Botschaft von Ostern in diesem Jahr eine ganz ganz besondere Botschaft."
Nur ist inzwischen auch klar: Die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie können nach Ostern noch nicht aufgehoben werden. Auch wenn die christliche Fastenzeit dann offiziell vorbei ist: Das gesamtgesellschaftliche Fasten dauert an. Das meint auch Susanne Breit-Keßler, Kuratorin der evangelischen Fastenaktion "7 Wochen ohne":
"Der Verzicht wird in einer gewissen Weise weitergehen müssen. Und ich habe mich beim Eröffnungsgottesdienst versprochen und habe gesagt: ‚7 Monate ohne Pessimismus‘. Und es könnte schon sein, dass es in diesem Jahr wirklich länger dauert, bis so etwas wie ein normales Leben wieder beginnen kann.
Wir werden die Folgen sehr viel länger spüren, weit in das nächste Jahr hinein. Und deswegen müssen wir uns schon noch sehr lange mit diesem Motto beschäftigen."