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Faszination Tito

In der Gedenkkultur der Nachfolgerstaaten hat der Gründer des kommunistischen Jugoslawien, Josip Broz Tito, nicht stattgefunden. Der slowenisch-italienische Forscher Joze Pirjevec hat sich mit dem kaltblütigen Diktator befasst, der Zehntausende Kollaborateure und Gegner ermorden ließ.

Von Norbert Mappes-Niediek | 11.03.2013
    "Ich hab‘ geglaubt, dass vielleicht höchstens 5.000 Leute das Buch kaufen werden, und da gab es eine Leserschaft von 25.000, nur in Slowenien! Also wirklich ein großer Erfolg, und ich glaube, in der ganzen slowenischen Geschichte wurde kein Buch so ein Bestseller als dieses da."

    Wenn in den leseunlustigen Nachkriegsländern im Südosten Europas ein Buch zum Erfolg werden soll, dann muss schon zweierlei zusammenkommen: ein faszinierendes Thema und ein herausragender Autor. Tito, der langjährige, ja, einzige Staats- und Parteichef des kommunistischen Jugoslawien, lässt bis heute niemanden kalt. Und der Triestiner Historiker Joze Pirjevec ist wohl der beste mögliche Biograf, den man sich vorstellen kann. Nicht nur in seinem Geburtsland Slowenien wurde das Buch ein Verkaufsschlager, sondern überall in Titos einstigem Herrschaftsbereich – nur dass man Erfolg dort nicht in Verkaufszahlen messen kann.

    "Ich weiß nur, dass das Buch eigentlich für das übrige Jugoslawien sehr teuer ist."

    Erfolg misst man hier in den Ausleihzahlen der öffentlichen Bibliotheken, und natürlich in Rezensionen. Die große alte Dame der Belgrader Liberalen, Latinka Perovic, verglich das Werk mit Isaac Deutschers Stalin-Biografie. Eitel Lob kam auch von Predrag Matvejevic, einem der führenden Intellektuellen Kroatiens.

    Erschienen ist das lang erwartete Standardwerk im vorigen Jahr unter dem Titel "Tito in Tovariši", zu Deutsch "Tito und Genossen", zunächst auf Slowenisch. Mit Jugendanekdoten hält Prijevec sich nicht auf, er dringt rasch zu den historischen Wegmarken vor: zum Bruch mit Stalin 1948, zur Blockfreiheit, zu den Widersprüchen zwischen den Nationen und Nationalitäten im Land. Jahrelang hat der Historiker in Archiven geforscht, in Ljubljana, aber auch in München und Berlin, Washington und Stockholm, und neue Quellen aufgetan. Bei allen Widersprüchen entsteht das Bild eines Staatsmanns, der seine Verantwortung kannte und wahrnahm. Und immer wieder drängt sich bei der Analyse zwischen Machtkonstellationen und Ideologie seine unverwechselbare Persönlichkeit:

    "Am 1. Januar seines Todesjahres 1980 nahm Tito am traditionellen Mittagessen der angesehensten jugoslawischen Politiker teil und äußerte bei dieser Gelegenheit die Hoffnung, dass man auch noch den nächsten Neujahrstag gemeinsam erleben könne. Er war guter Dinge und fühlte sich wohl. Bevor er zu einer sogenannten Routine-Untersuchung in die Klinik von Ljubljana kam, traf er eine seiner letzten Entscheidungen und verbot, den Dinar um 30 Prozent abzuwerten, wie es der Vorsitzende des Exekutivkomitees und der Nationalbankgouverneur vorgeschlagen hatten. Ihm war bewusst, dass der Schritt in der Welt als Zeichen für den katastrophalen Zustand der jugoslawischen Wirtschaft genommen würde. Das wollte er nicht erleben."

    Der Kleinbauernsohn Josip Broz, der mit den Großen der Welt befreundet war und dessen Klavierspiel sogar die englische Königin bewunderte, blieb, für alle sichtbar, immer ein Mensch - mit Fehlern und Schwächen und eben auch mit Schwächen für andere. Das macht - nicht nur für den Historiker Joze Pirjevec – Titos Faszination bis heute aus.

    "Er hat immer gesagt. Ich bin ein Bolschewik! Bis zum Ende seines Lebens. Und ich glaube, dass er tatsächlich ein Bolschewik war, aber ein Bolschewik besonderer Art in diesem Sinne, dass er verstanden hat, dass es doch notwendig ist, den Sozialismus mit dem menschlichen Gesicht irgendwie in Jugoslawien zu bilden."

    Doch Joze Pirjevec zeigt auch, dass Tito bei alledem keine gemütliche Figur war. Im Krieg umwehte den Partisanenführer ein Hauch von Che Guevara, und die Kommunisten der Stalin-Ära standen allesamt immer mit einem Bein im Grabe oder wenigstens in Sibirien. Ganz nach stalinistischer Art ließ Tito gleich nach dem Krieg Zehntausende kroatische und slowenische Kollaborateure ermorden – kalten Blutes, wie Pirjevec darlegt. Wenig später ließ er die Stalin-Anhänger in Jugoslawien in Straflagern verschwinden. Kollektiv stolz aber macht seine Erben noch immer, dass Tito, als Einziger von ihnen, dem Kreml-Herrscher am Ende doch gewachsen war.

    "Nach Stalins Tod fand man in seiner Handkasse einen Zettel, den ihm Tito geschrieben hatte. Darauf stand, dass ihn, Tito, Stalins Agenten mehrfach schon zu ermorden versucht hatten, mit Schusswaffen, mit Gift und mit dem Dolch. Erfolglos. 'Ich', so der Zettel, 'werde dir nur einen schicken, und der wird dich nicht verfehlen.'"

    Journalisten haben aus diesen Zeilen die Enthüllung basteln wollen, dass Tito Stalin vergiftet habe. Beweisen lässt sich das nicht. Aber einen Anlass zum Weiterträumen gibt es allemal.

    "Das ist wirklich nur eine Vermutung. Aber auf der anderen Seite muss man sagen, dass man Stalin einen solchen Brief nicht schreibt, wenn man nicht imstande ist, so etwas zu tun. Das konnte nicht ein Scherz sein. Das war eine erste, ernste Mahnung. Die Tatsache, dass dieser Zettel zu Stalin gekommen ist – und das war wahrscheinlich die letzte Sache, die Stalin überhaupt gelesen hat in seinem Leben -, das ist schon interessant."

    Joze Pirjevec/Tvrtko Jakovina: "Tito i Drugovi / Tito und Genossen", Mozaik knjiga Verlag, 711 Seiten, 39,95 Euro,ISBN: 978-9-53141-064-9