Freitag, 19. April 2024

Archiv

Fatih Akins Film "Tschick"
"Ich wollte die Aufgabe unbedingt machen, weil ich das Buch liebe"

Regisseur Fatih Akin hat sich an die Verfilmung des Bestsellers von Wolfgang Herrndorf herangewagt. Dabei seine eigene Handschrift einzubringen, sei ihm aber nicht so wichtig gewesen, sagte er im Corso-Gespräch. Vielmehr wollte er dem Roman "so gerecht wie möglich" werden.

Fatih Akin im Corso-Gespräch mit Sigrid Fischer | 14.09.2016
    Fatih Akin bei der Filmpremiere "Tschick" im Kino International. Berlin, 12.09.2016
    Fatih Akin bei der Filmpremiere Tschick im Kino International Berlin, 12.09.2016 (imago stock&people/xFredericx/xFuturexImage )
    Sigrid Fischer: Wenn man mit dem Filmemacher Fatih Akin redet, dann ist auch immer die Musik Thema. Dieses Stück aus dem Soundtrack zu seinem neuen Film "Tschick" ist die Coverversion des Stereolab-Songs "French Disko" von den Beatsteaks und dem Tocotronicer Dirk von Lowtzow und den haben sie extra für den Film gecovert, Fatih Akin. Guten Tag nach München!
    Fatih Akin: Schönen guten Tag!
    Fischer: War das Ihre Idee, das zu tun?
    Akin: Nein, das war die Idee von den Beatsteaks. Also unsere Idee, die Idee von der Musikberaterin Milena Fessmann und mir, war, die Beatsteaks zu fragen. Und die haben gesagt: Ja, toll, das machen wir, den Abspannsong für "Tschick", das klingt gut! Und dann kamen die eben mit dem Track. Und dann höre ich die Stimme und ich denke, das ist doch nicht Arnim von den Beatsteaks! Wer ist denn das? Und dann sagte er, das ist Dirk von Tocotronic. Ich sag, nein! Es war deren Idee, aber der Track hat mir sehr gut gefallen, also passte für den Film.
    Fischer: Ja, passt gut! Wir finden außerdem auf dem Album noch, auf dem Soundtrack: die Beginner, Fraktus, Bilderbuch, Seed, Tom Tom Club, Royal Blood. Da dachte ich so, das ist nicht unbedingt ein Teenager-Soundtrack, da hätte man vielleicht noch eine Youtube-Band mit draufnehmen müssen. Wie stellen Sie das zusammen? Nach eigener Stimmung im Moment der Entscheidung?
    Akin: Schon so, was würde im Radio laufen, was die Jungs nicht wegblenden würden und was mir auch gefallen würde. So kam diese Auswahl der Tracks zusammen. Also vor allem musste die Musik zu den Figuren passen. Also ich habe Maik Klingenberg im Filmer als einen Grunger begriffen. Keinen 90s-Grunger, jemanden, der zeitgenössischen Grunge hört. Damit kommen einige der Tracks hinein.
    Fischer: Ah, ok. Und Richard Clayderman ist auch drin, aber den hat Wolfgang Herrndorf vorgegeben. Durch den Roman, den hören die Jungs im Auto auf der Kassette. Nicht deswegen sind die Außenseiter. 14 zu sein und Außenseiter zu sein ist brutal, kann ganz schön wehtun, das sieht man ja auch in diesem Film: Maik ist zu klein, gilt als Psycho in der Klasse. Tschick ist ein bisschen abgewrackt und natürlich der Russlanddeutsche. Wie gut konnten sie sich mit Anfang 40 in diese Lebensphase und die Seelenpein nochmal hereinversetzen?
    Akin: Also ich bin irgendwie so vom Ding, ich will jetzt nicht sagen Berufsjugendlicher. Ich bin den Jugendlichen in mir nie so richtig losgeworden. Ab 16 ist es irgendwann stehen geblieben bei mir. Und das nervt auch ein bisschen, also ich würde es gerne loswerden. Ich wäre gerne so ein weiser, vernünftiger Typ, der nur so kluge Sachen von sich gibt. Aber irgendwie ist das leider nicht so. Der 16-Jährige in mir taucht immer wieder auf und nervt. Für den Film war das aber recht hilfreich, also für die Dreharbeiten. Das konnte ich halt ausnutzen.
    "Ich war halt immer der Verrückte, der von Filmen geschwärmt hat"
    Fischer: Sie waren mit 14 wahrscheinlich immer "der Türke" in der Klasse. Wie gut waren sie in diesen Mainstream integriert, in den die beiden hier nicht so gut integriert sind, in den Mainstream der 14-Jährigen?
    Akin: Ja, ich war auf dem Gymnasium in Hamburg Altona, wo doch auch recht viele Türken auch bei mir in der Klasse waren. Das war jetzt nicht der Außenseiter-Grund. Ich war Außenseiter, weil ich auch so ein bisschen Psycho war. Ich war halt immer der Verrückte, der von Filmen geschwärmt hat und von Prince geschwärmt hat mit 14. Und sich immer so durchgeknallt angezogen hat, eher wie Prince und so. Und das eckte halt an, deswegen war ich Außenseiter.
    Fischer: Aber sehen Sie, wenn die Außenseiter irgendwann erwachsen sind, dann sind das die interessanten Typen, ne? Das können Sie auch feststellen dann.
    Akin: Immer schon gewesen! Immer schon gewesen! Und die Coolen von damals mit ihren Turnschuhen und Burlington-Socken und 501-Jeans, die immer so gut im Fußball waren, die sind heute nichts weiter als irgendwelche Leute in einer Bank! So! Ähm, ja. Ich habe nichts gegen Leute von der Bank.
    "Es ist, ich würde mal sagen, zu 90 Prozent Herrndorf"
    Fischer: Nein, klar. Aber ich glaube, wichtig dafür, dass so ein Film oder auch so ein Buch die Zielgruppe, die jugendliche Zielgruppe, akzeptiert, ist, dass das sprachlich stimmt, ohne dass man sich anbiedert bei denen. Das ist ja Wolfgang Herrndorf ganz gut gelungen, aber das Buch ist schon wieder sechs Jahre alt und Jugendsprache ändert sich dauernd. Haben Sie nochmal ein bisschen Jugendslang recherchiert, den aktuellen?
    Akin: Nein, überhaupt nicht. Also ich hab mich da streng an Herrendorf orientiert. Ich hab gemerkt, bei den Proben, dass die Dialoge doch recht gut funktionieren in den Mündern meiner Schauspieler. Also die Worte klangen nicht wie in den Mund gelegt, sondern es klang so, als würden diese Leute wirklich in diesem Moment so reden. Ich hab so eine Feldforschung, was das angesagteste Wort ist, was sagt man nicht mehr, nicht betrieben.
    Fischer: Ja. Also mir ist aufgefallen, ich hab das Buch jetzt auch nochmal gelesen, dass der Tschick im Film immer sagt "ohne Sinn", wenn er Maik sagen will, es ist Unsinn, was du machst. Das habe ich im Buch zum Beispiel nicht gefunden. Da dachte ich, gut, vielleicht ist das gerade so ein Modebegriff, ohne Sinn.
    Akin: Das ist etwas, was der Schauspieler immer wieder gesagt hat.
    Fischer: Ok.
    Akin: Zwischen den Takes, wenn der Wagen abgekackt ist oder so, dann sagte er "ohne Sinn". Das ist lustig, hab ich gesagt, kannst du das mal in der Szene sagen? Also so ein paar Sachen wie "Opfer" oder "ohne Sinn" tauchen dann doch auf. Aber es ist, ich würde mal sagen, zu 90 Prozent Herrndorf.
    "Ich hoffe natürlich, dass so viele Menschen wie möglich in den Film gehen."
    Fischer: Was ich wirklich gut finde an Ihrem Film, das ist, dass sie nicht so dick auftragen und sagen, uh, ich drehe jetzt einen supercoolen, witzigen Jugendfilm und baue ein bisschen "Fack ju Göhte" ein in den Klassenszenen, sondern dass Sie das wirklich entspannt und relativ zurückgenommen inszenieren, wie das Buch eigentlich ist. Herrndorf hat sich das auch in etwa so gewünscht, der mochte nicht so diese angesagten Teenagerkomödien aus Deutschland, richtig?
    Akin: Mhh, ich mag die angesagten Teenagerkomödien auch nicht so sehr. Was soll ich sagen, ich kann eben nicht so viel damit anfangen. Es gibt ja auch schwere Kunstfilme von irgendwelchen Leuten, zum Beispiel aus dem Iran, da habe ich eben auch manchmal Schwierigkeiten, das zu gucken. Die Sozialisierung von einem muss auch passen. Aber ich habe es gemacht, meine Güte, ich habe den Job gemacht mit all meiner Liebe und all meinem Glauben und all meinem pragmatischen Wissen, also, wie muss ich das jetzt erzählen, damit das funktioniert.
    Fischer: Jedenfalls, die Erwartung von Herrndorf hat Sie auch nicht gebremst. Ich dachte, naja, wenn da nicht so eine Erwartung wäre, oh, Herrndorf hat gesagt, ich will auf jeden Fall einen vernünftigen Regisseur, hätten Sie vielleicht doch ein bisschen mehr dem Affen Zucker gegeben.
    Akin: Also, ich wollte die Aufgabe unbedingt machen, weil ich das Buch liebe. Aber ich hatte jetzt nicht so Probleme wie "wo muss ich mich da selbst einbringen" oder "wo muss da meine Handschrift liegen" oder so. Was für eine Handschrift? Solche Sorgen hatte ich nicht, sondern einfach so, wie kann ich dem Roman so gerecht wie möglich sein, dass es aber auch eigenständig funktioniert. Also auch für Leute, die den Roman eben nicht gelesen haben. Und ich habe da nicht auf den Markt geschielt oder so etwas, das tue ich bei meinen Filmen sowieso nie, auch bei meinen Autorenfilmen nicht. Ich hoffe natürlich, dass so viele Menschen wie möglich da reingehen. Das hoffe ich jedes Mal. Aber immer auch in einer Form, dass es mir auch gefallen müsste.
    "Ich wollte mir immer mal beweisen, dass ich auch - handwerklich - nur Regisseur sein kann"
    Fischer: Ja, das war ja relativ neu für Sie, dass sie sagen, ich mach das jetzt mal, Regiejob, da war schon etliches vorbereitet und so weiter. Normalerweise sind Sie auch selbst auch mehr Herr über den Stoff und erzählen sehr persönlich. War das jetzt eine gut Erfahrung?
    Akin: Es war eine sehr gute Erfahrung. Es war auch nötig, das mal zu machen. Denn es gibt eine Trennung vom Filmemacher-Sein und Nur-Regisseur-Sein. Und Filme zu machen bedeutet, man macht Regie, man schreibt das Drehbuch und man produziert das, man kümmert sich um die Verträge und so. Und hier macht man eben nur die Regie. Das heißt nicht, dass das weniger Arbeit ist, aber es ist halt eine konzentriertere Form von Arbeit. Und davon habe ich eigentlich immer mal geträumt. Ich wollte mir immer mal beweisen, dass ich auch - handwerklich - nur Regisseur sein kann. Ich will ja auch irgendwann mal nach Hollywood, da muss ich das ja auch können. Und ich hab mich bisher eigentlich auch nicht getraut, nur Regie zu machen, weil nur schreiben und produzieren mir auch eine Form von Sicherheit gibt. Es kann irgendwann auch eine Art Elfenbeinturm sein. Ich dachte, jetzt habe ich genug Erfahrung und Handwerk, dass ich mir das zutrauen kann.
    "Hin und wieder muss man eine Erfahrung wie "The Cut" eben auch machen"
    Fischer: Sie hatten ja eine kreative Krise vor dem Film, da haben Sie ja auch häufiger schon drüber gesprochen. Sie waren ja absolut nur Jubelarien gewohnt, kann man sagen. Und dann kam "The Cut" vor zwei Jahren. Der Film über den Völkermord an den Armeniern, da war das anders. Kritik und Publikum waren da nicht so begeistert. Aber, an solchen Krisen wächst man auch. Und ich höre da gerade bei Ihnen heraus, vielleicht ist mit Tschick jetzt ein kleiner Hebel umgelegt, und Sie verorten sich da gerade nochmal neu.
    Akin: Also "The Cut" war in vielerlei Hinsicht ein sehr wichtiger Film für mich, bei dem ich wirklich heilfroh bin, dass ich das gemacht habe. Und ich bin auch mit vielem in diesem Film glücklich, aber als Ganzes ist es nicht aufgegangen. Man wächst dann doch mehr an den Fehlern, die man macht, an den Filmen, die eben nicht so gut aufgegangen sind, als an den Filmen, die aufgehen. Und wenn zu viele hintereinander aufgehen, dann ist man nicht mehr so sehr sensibilisiert für Fehler. Und hin und wieder muss man eine Erfahrung wie "The Cut" halt auch machen. Ohne das hätte ich "Tschick" nie, vor allem in der Form, nicht machen können.
    "Egal was ich gemacht habe, das Handwerkliche oder das Genre wurde oft nicht gesehen"
    Fischer: Ich habe den schönen Satz von Ihnen gehört, in einem der vielen Interviews, die Sie im Moment geben: "Ich kann auch Filme ohne Kanaken drehen!" Da habe ich gedacht, das klingt wie eine Befreiung von dem Gefühl, das Sie vielleicht haben, dass wir hier immer von Ihnen erwarten, oh, Fatih Akin dreht natürlich Filme mit Migrationshintergrund, der ist quasi unser deutsch-türkischer Kulturbotschafter. Hatten Sie ein bisschen dieses Gefühl?
    Akin: Ja, so ein bisschen, weil ich meine Filme natürlich nie unter dem Gesichtspunkt sehe. Also für mich ist "Gegen die Wand" immer ein Liebesfilm gewesen. Immer eine Amour fou gewesen, ein Film, für mich, in der Tradition von "Die Liebenden von Pont Neuf" oder "Betty Blue" oder solchen Sachen. Für mich war er auf der anderen Seite immer eine Art Hommage an Costa-Gavras-Filme, wie "Z" oder "Missing" oder sowas. "Soul Kitchen" sollte immer ein bisschen Eddie-Murphy-mäßig daher kommen, so Komödien aus den 80ern. Egal was ich gemacht habe, das Handwerkliche oder das Genre wurde oft nicht gesehen, sondern eben dieses Kanaken-Ding gesehen. Und weil es hier bei Tschick eben nun scheinbar gar nicht um Kanaken geht. Gut es gibt manchmal Leute, die sagen: Ja, der hat ja auch einen Migrationshintergrund und fühlt sich deswegen besonders! Ey, nix! Hat nix damit zu tun. Ich konnte jetzt beweisen, dass ich eine Geschichte erzählen kann, die nur das und das ist. Und ich weiß dann, wo ich die Kamera hinzupacken habe, ich weiß dann welche Musik, wie man das schneidet. Das heißt, man hofft, man weiß es. In diesem Fall ist es eben aufgegangen. Es hätte auch genauso gut nicht aufgehen können.
    Fischer: Ja, und vielleicht kommt das Angebot aus Hollywood. Ich weiß nicht, warum es immer Hollywood sein muss. Ich weiß nicht, ob Sie da glücklich werden würden unbedingt, Fatih Akin.
    Akin: Ich bin halt neugierig. Und man könnte bei so etwas doch nur wachsen, wenn man einen kleinen Trip nach Hollywood unternimmt.
    Fischer: Ja, gut. Warten wir darauf. Jetzt drehen Sie erst einmal einen Thriller mit Diane Kruger, danach den Heinz-Strunk-Roman "Der goldene Handschuh" und morgen kommt "Tschick" in die deutschen Kinos. Viel Erfolg damit, Fatih Akin, und vielen Dank!
    Akin: Danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.