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"FAZ"-Redakteur kritisiert Umgang mit verschüttetem Kölner Archivgut

Der Kulturkorrespondent der "FAZ", Andreas Rossmann, hält die Angaben zu geretteten Dokumenten aus dem eingestürzten Kölner Stadtarchiv für "Schönwetterzahlen". Man müsse davon ausgehen, dass ein großer Teil beschädigt sei, so Rossmann. Er fordert auch die Freigabe nutzbarer Dokumente.

Andreas Rossmann im Gespräch mit Dina Netz |
    Dina Netz: Et hät noch immer jot jejange – nach diesem dritten Artikel aus dem kölschen Grundgesetz wird im Moment der Einsturz des Kölner Stadtarchivs im März aufgearbeitet. 85 Prozent des verschütteten Archivguts seien gefunden, geborgen, haben die Stadt und die Direktorin des Archivs frohgemut verkündet. Der stellvertretende Direktor Ulrich Fischer hat diese Zahl nun etwas korrigiert, gefunden ja, aber in welchem Zustand? Ich erreiche am Telefon Andreas Rossmann, Kulturkorrespondent der "FAZ" in Nordrhein-Westfalen. Was ist von diesen Jubelmeldungen über 85 Prozent geretteter Archivalien zu halten?

    Andreas Rossmann: Ja, gerettet heißt ja grundsätzlich nicht: auch wieder zugänglich oder gar schon wieder zugänglich, denn man muss davon ausgehen, dass von den geborgenen – und um diese 85 Prozent kann es allenfalls gehen –, dass von den geborgenen Beständen ja die meisten und der größte Teil beschädigt ist, zum Teil auch stark beschädigt ist und ungeheurer Restaurierungsbemühungen bedarf, um ihn überhaupt wieder zugänglich und lesbar und nutzbar zu machen. Der andere Punkt, der diese Zahl sehr stark relativiert, ist der, dass diese 85 Prozent ja alles mit einbeziehen, was gar nicht in den Krater gefallen ist, also nicht von dem Unglück betroffen war, und das waren ja doch einige Kilometer, sowohl die ausgelagerten im Friedrich-Wilhelm-Gymnasium gegenüber, als auch in den Gebäudeteilen auf der Rückseite des Grundstückes im Keller, die gar nicht zerstört wurden. Es wurde ja auch in der Zwischenzeit noch ein Keller gefunden, der nicht betroffen war. Insofern relativiert sich diese Zahl sehr stark und die Frage ist, warum man so eine Schönwettermeldung in die Welt setzt, die noch lange nicht heißt, dass das Archiv zu 85 Prozent wieder nutzbar wäre.

    Netz: Haben Sie denn, Herr Rossmann, nach Ihren Recherchen eine Ahnung, von welcher Prozentzahl man eher ausgehen sollte, also wie viel Material tatsächlich als gerettet betrachtet werden kann, also als tatsächlich identifizierbar und noch benutzbar?

    Rossmann: Ja, das ist, glaube ich, schwierig. Das muss man schon den Archivaren überlassen, aber ich finde, das ist auch gar nicht so eine entscheidende Frage. Die entscheidende Frage, die eigentlich auch vor sich hergeschoben wird, ist doch: Warum ist das Archiv nicht wieder in den Teilen, in denen es tatsächlich gerettet ist und zur Verfügung steht, auch wieder nutzbar? Warum hat die Stadt bis heute kein provisorisches Archiv eingerichtet, wo die Teile, die eben – darunter auch die Findbücher –, die eben benutzt werden können, auch benutzt werden und wo Lesegeräte sind für die Mikrofilme, wo man ins Internet gehen kann und die digitalisierten Bestände, die das Projekt des Kunsthistorischen Instituts der Universität Köln zusammengetragen hat und als Aufruf zum Zusammentragen gegeben hat, wo man da nicht weiter arbeiten kann? Warum legt man keinen Wert darauf, dass das Archiv wieder eine Adresse hat, auch wenn es nur eine vorübergehende ist, an die man sich wenden kann?

    Netz: Ja, die Frage gebe ich gleich mal an Sie zurück, Herr Rossmann. Warum eigentlich? Die Stadt Köln geht ja insgesamt etwas hemdsärmlig mit dem Einsturz dieses wichtigen Archivs um. Hat das nun gerade mit dem laufenden Kommunalwahlkampf zu tun oder was haben Sie für eine Erklärung?

    Rossmann: Ja, es könnte ja ein schönes Thema sein und der Oberbürgermeister hätte das Thema, wenn er etwas politisches Gespür hätte, toll nutzen können. Er hätte sich hinstellen können und sagen können: Wir setzen jetzt alles daran, das Archiv zu retten und wieder in den Zustand zu bringen, in dem es einmal war, es zu einem solchen Archiv zu machen, wie es einmal eines war, nämlich eines der herausragenden Archive, auch in dem Niveau, in dem man hier arbeiten kann, wie Sachen gesichert sind, wie Bestände geordnet sind. Das hat er versäumt, und man kann gar nicht sagen, dass es ein Wahlkampfthema wäre. Das ist ja ganz paradox. Ab dem Moment, wo der Oberbürgermeister gesagt hat: Ich kandidiere nicht mehr als Oberbürgermeister, um dieses Thema Archiv nicht in den Wahlkampf zu zerren, ab diesem Moment ist das Thema Archiv in Köln eigentlich eher ein marginales, das gar nicht die Rolle spielt, die es eigentlich – im Wahlkampf oder nicht – für diese Stadt und über diese Stadt hinaus spielen sollte und müsste.

    Netz: Warum, Herr Rossmann? Wie erklären Sie sich das, dass die Stadt Köln sich so wenig dieses so wichtigen Themas annimmt, wie kann das denn sein?

    Rossmann: Ich fürchte, dass die Direktorin des Archivs zu sehr auf die Frage "Bürgerarchiv, neues Gebäude" setzt und die Frage "Restaurierung, Wiederherstellung der Bestände, Reinstitutionalisierung des Archivs dahingehend, dass es wieder arbeitet", vielleicht zu kurz kommt, und ich sehe einfach auch, dass in der Stadt die politischen Kräfte dieses Thema am Rande liegen lassen und sich eigentlich niemand darum kümmert und auch niemand einen Stolz dafür entwickelt, dass dieses Archiv einmal das bedeutendste nördlich der Alpen war und auch wieder werden könnte.

    Netz: Deutliche Worte von Andreas Rossmann über den Umgang der Stadt Köln mit ihrem eingestürzten Historischen Archiv.