Freitag, 29. März 2024

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Fazit des Pop-Kultur Festivals Berlin
Viele Premieren und ein Boykott

In der Berliner Kulturbrauerei trafen sich bis gestern Musiker und Fans zum 3. Pop-Kultur Festival. Neben exklusiven Auftragswerken, Newcomern und Gender-Debatten sorgte eine Boykott-Kampagne für Aufsehen. "Sie hat ihre beabsichtigte, fatale Wirkung erreicht", sagte Dlf-Redakteur Adalbert Siniawski.

Adalbert Siniawski im Gespräch mit Fabian Elsäßer | 26.08.2017
    Fishbach bei einem Konzert in Paris im Juli 2017 (Bild: imago stock&people / Alexandre Fumeron)
    Sängerin Fishbach war eines der Highlights auf dem diesjährigen Pop-Kultur Festival in Berlin (imago stock&people / Alexandre Fumeron)
    Fabian Elsäßer: In der Berliner Kulturbrauerei trafen sich bis gestern Nacht Musiker, Filmemacher, Fans und Vertreter der Musikindustrie zum 3. Pop-Kultur Festival. Das will ein Spiegelbild der aktuellen Popkultur in Deutschland und international sein wollen, mit zahlreichen Konzerten, DJ-Auftritten, Lesungen, Filmen und Gesprächen. Mein Kollege Adalbert Siniawski hat das Festival für uns beobachtet - schönen guten Tag nach Berlin.
    Adalbert Siniawski: Hallo.
    Elsäßer: Neu bei dieser Ausgabe waren die so genannten "Commissioned Works", 17 Eigenkompositionen hat das Festival bei Künstlern in Auftrag gegeben, die dort ihre Uraufführung hatten. Mit dieser Reihe will man sich noch stärker von anderen Festivals unterscheiden. Ist das Konzept aufgegangen?
    Siniawski: Teils, teils, finde ich - es waren aber auch sehr unterschiedliche Performances dabei: von Tanz, der Verbindung von Mode und Musik, bis hin zu schlicht und einfach neuen Songs. Andreas Dorau zum Beispiel zum Beispiel hat wirklich ein Refrain nach dem anderen in 40 Minuten abgefeuert! Andreas Dorau hat mir gesagt, was ihn daran gereizt hat:
    "Also die Wechselwirkung. Kann ich, bin ich in der Lage, Refrains zu komponieren, die unabhängig von einem dynamischen Aufbau, Strophen oder so etwas, sowohl textlich als auch musikalisch für sich alleine stehen? Kann man damit von 0 auf 100 fahren? Plus eben: Lässt sich das an ein Publikum vermitteln? Es sind jetzt keine 20 Refrains geworden, wir haben 18 aufgeführt und davon bin ich mit 15 sehr glücklich."
    Das Publikum hat auch heftig gejubelt und gelacht! Aber die Frage ist schon: Sind diese Commissioned Works, diese Auftragsarbeiten, wirklich innovativ? Und auch: Sind sie nachhaltig? Schließlich flossen 1,2 Mio. Euro Förderung in diese Projekte! Kann sich das Festival damit wirklich von anderen Events wie c/o pop in Köln oder dem Reeperbahn Festival abheben? Die Idee der Auftragswerke hat wirklich Potential, finde ich, aber da habe ich doch Zweifel. Zum Beispiel hat der Berliner Rapper Roman Geike alias Romano ohne Frage ein mitreißendes Konzert gegeben - er versteht es wirklich super, aus Alltagsbeobachtungen, mit schlichten Texten, druckvollen Beats und viel Elan auf der Bühne ein großes Pop-Erlebnis zu kreieren. Aber einige der Songs, wie etwa das herrlich absurde "Mutti", waren schon vor dem Pop-Kultur draußen. Wo bleibt da der exklusive Ansatz? Und was die Nachhaltigkeit der Werke angeht, ganz kurz: Einige Stücke werden wohl in eine neuen Platten dann zu finden sein, von Romano oder dem Klavier-Elektro-Duo Grandbrothers – die haben es dann angekündigt. Aber sonst waren es, abgesehen vom Dark-Synth-Pop Duo Evvol, das seine Performance drei Mal aufgeführt hat, waren doch einmalige Auftritte auf dem Festival. Sozusagen: Eintagsfliegen.
    Fishbach und Sophia Kennedy waren Highlights
    Elsäßer: Gab es denn musikalische Höhepunkte, die Sie abseits der Commissioned Works, die Sie jetzt gut fanden, entdeckt haben?
    Siniawski: Auf jeden Fall. Da ist zum einen Fishbach zu nennen - so nennt sich die junge Sängerin Flora Fishbach aus Frankreich, 25 Jahre ist sie alt und klingt doch wie die ganz großen der Popgeschichte: Kate Bush ist da so ein Vergleich. Oder wer etwa den Song "Voyage, Voyage" von Desireless aus den 80ern kennt, wird seinen Gefallen an ihr finden. Doch Fishbach wird sicher kein One-Hit-Wonder sein, wie Desireless. Ihr Markenzeichen: etwas düsterer Synth-Pop, aber doch sehr eingängig ist das alles, es geht um Liebe und Tod, tragische Texte und tanzbare Beats, Schwarz-weiß-Kontraste sind ihr Ding. In Frankreich wird sie für ihr Debüt-Album "À ta merci" gefeiert - bei uns in Deutschland will sie gerade entdeckt werden.
    Interessant auch: die Wahl-Hamburgerin und US-Amerikanerin Sophia Kennedy - so heißt auch ihr Debüt-Album, das bei uns im Frühjahr herausgekommen ist. Auch sehr selbstbewusster Dance-Pop ist das, nicht zu gefällig, immer etwas abgründig. Da treffen Gesangsharmonien auf Dubstep-Versatzstücke, Streicher und Halleffekte aufeinander - finde ich großartig.
    Gefeiert wurde auch die Berliner Künstlerin und Kritikerliebling Balbina, oder Lady Leshurr - Grime-Musikerin aus Großbritannien - und die R’n’B-Hoffnung Abra aus Atlata. Überhaupt war das Festival sehr stark von Frauen geprägt.
    Rein weibliche Acts sind die Ausnahme
    Elsäßer: Ein wichtiges Thema im Pop ist die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit – vielleicht aktueller denn je. Es wurde auch beim Pop-Kultur Festival in verschiedenen Gesprächsrunden und den so genannten Panels auf der Bühne diskutiert. Welche Botschaft ging davon aus?
    Siniawski: Die Botschaft war: Seht her, wir fördern hier gezielt Musikerinnen aus Deutschland und aller Welt und geben ihnen eine Bühne. Damit ist das Pop-Kultur Festival aber wohl eine Ausnahme, denn die Initiative Female Pressure hat gestern aktuelle Zahlen präsentiert, wie stark Frauen auf internationalen Festivals für elektronische Musik präsent sind. Und die Zahlen sind wirklich überraschend – oder eben nicht. Demnach stehen 79 Prozent rein männlichen Acts nur 14 Prozent rein weiblichen Acts gegenüber - der Rest sind also gemischt-geschlechtliche Band. Was tun?, ist die Frage und war die Frage auf dem Festival. Und auf einem anderen Panel wurde dann intensiv über eine Quote als Lösung diskutiert - ähnlich wie ProQuote-Initativen wie in der Filmbranche oder dem Journalismus.
    Bettina Wackernagel, sie leitet das Berliner Festival "Heroines of Sound", das eine Plattform für weibliche Elektro-Musikerinnen bietet, und sie argumentiert so:
    "Wir brauchen die Quote. Ohne die Quote geht hier nichts voran. Es ist ein politisches Instrument, um Chancengleichheit in einem breiteren Spektrum zu eröffnen. Ich bin nicht der Meinung, dass mehr Frauen im Programm, oder wenn man mehr künstlerische Programmpunkte von Frauen zulässt, dass sich die Qualität in irgendeiner Form verschlechtern wird. Es geht hier nicht um Frauenkunst. Es ist nicht so, dass die Frauen in einem geschlossenen Kreis untereinander kommunizieren, sondern sie kommunizieren immer auf der Höhe der Kunstwelt."
    Dies natürlich als Antwort auf den üblichen Einwand gegen die Quote, dass doch das künstlerische Werk entscheiden sollte, wer auf einem Festival spielt und nicht bloß das Geschlecht. Und da hieß es eben: Es gibt sehr, sehr viele, sehr gute weibliche Musikerinnen, sie werden aber nicht so gut gesehen, gebucht und gefördert.
    BDS-Kampagne erreicht deutsches Popfestival
    Die Fassade der Berliner Kulturbrauerei, mit einem Pop-Kultur Schriftzug beschriftet (Bild: Deutschlandradio / Adalbert Siniawski)
    Die Mauern der Berliner Kulturbrauerei: Das Pop-Kultur Festival wollte israelische und arabische Künstler auf der Bühne präsentieren – doch letztere haben sich verschanzt (Deutschlandradio / Adalbert Siniawski)
    Elsäßer: Die ganzen 3 Tage hing ja diese Diskussion um die BDS-Kampagne also "Boycott, Divestment and Sanctions" wie eine Gewitterwolke über dem Festival. Muss man kurz erklären: "Boycott, Divestment and Sanctions", das geht aus von palästinensischen NGOs als Boykott gegen Israel. In dem Fall jetzt in Berlin war der Anlass, dass eine israelische Musikerin einen Reisekostenzuschuss von der israelischen Botschaft bekommen hat, um in Berlin aufzutreten. Und einige arabischstämmigen Künstler vor allem haben die Auftritte abgesagt. Wie stark hat diese Kampagne dem Festival letzten Endes geschadet?
    Siniawski: Leider sehr, man muss sagen: Die Boykott-Kampagne hat ihre beabsichtigte, fatale Wirkung erreicht, die sie erreichen wollte. Zum einen, weil das bei Thema allen Gesprächen und Panels wirklich präsent war und damit weiter transportiert wurde. Und zum andern, weil nicht nur die arabischstämmigen Musiker abgesagt haben, sondern: Die Kampagnen-Befürworter haben es mit Aufrufen bei Facebook geschafft, dass zum Beispiel die britische Hip-Hop-Band Young Fathers, die gestern Abend eigentlich ein Ausrufezeichen am Ende des Festivals setzen sollte, kurz vor Beginn des Events abgesagt hat. Begründung: Man setze sich für eine friedliche Lösung des Nahost-Konfliktes ein und für einen sicheren Palästinenserstaat, man sei gegen Rassismus und Antisemitismus. Und ich finde, da hinkt die Argumentation, weil die BDS-Kampagne doch auch von vielen Teilnehmern des Festivals als antisemitisch eingestuft wurde. Und außerdem ist so ein Festival die perfekte Bühne für kulturellen und auch gern konfrontativen Austausch.
    Andere wiederum konnten die Entscheidung der arabischstämmigen Musiker zum Rückzug verstehen, weil diese in ihren Heimatländern eben dann unter Druck stünden und befürchten müssten, nicht mehr gebucht zu werden, wenn sie sich diesem Boykott widersetzen.
    Dennoch sprach die Festivalleiterin Katja Lucker davon, dass die Festivalmacher sich rechtliche Schritte vorbehalten würden, denn es gebe einen Vertrag mit den Künstlern, und die seinen einfach nicht gekommen. Und auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters fand wirklich sehr scharfe und drastische Worte:
    "Ich meine: Was ist das denn für eine destruktive Art der Politik? Die ist destruktiv. Ich finde, diese Form der Auseinandersetzung vollkommen inakzeptabel. Es kommt noch hinzu, dass gerade die Kultur immer die Stimme war, die dann noch zu hören war, wenn Politik und Diplomatie an ihre Grenzen stießen – und Musik ist das allemal. Sie haben sich hier das falsche Ziel ausgesucht und sie haben eine fatale Wirkung, gegen die ich nur in jeder Form argumentieren kann."
    Und ich finde: Da jetzt der Nahostkonflikt auch auf den deutschen Festivals angekommen ist – der Auftritt der Band Radiohead in Tel Aviv stand kürzlich ja auch schon unter verbalem Beschuss der BDS-Kampagne. Jetzt muss man sich fragen: Werden Festivals zum Spielball der politischen Interessen? Und wie leicht lassen sie sich, ohne es zu wollen, instrumentalisieren? Und da finde ich, dass Pop-Kultur angemessen reagiert hat, mit seiner nüchternen und wirklich ruhigen Informationspolitik.
    Elsäßer: Adalbert Siniawski zog aus Berlin ein Fazit vom 3. Pop-Kultur-Festivals, das gestern zu Ende gegangen ist - vielen Dank.
    Siniawski: Bitte schön.
    Elsäßer: Und wir hören jetzt von der erwähnten jungen, französischen Musikerin Fishbach, die in Berlin zu sehen war den Song: "Un autre que toi" von ihrer im Mai erschienen EP. Das Album "À ta merci" wartet noch darauf, in Deutschland zu erscheinen. Am 23.9. ist Fishbach noch einmal auf dem, Reeperbahn Festival in Hamburg zu sehen und zu hören.