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FC St. Pauli in New York
Es lebe die internationale Solidarität

Als Inbegriff einer politisch geprägten Fußballkultur hat der FC St. Pauli eine neue Rolle entdeckt: Netzwerker im Überlebenskampf der kleinen gegen superreiche Clubs. In New York gab es so eine Protestaktion vor dem Trump-Tower. Der Verein sieht im US-Markt aber auch großes Vermarktungspotenzial.

Von Jürgen Kalwa | 25.05.2019
Gastspiel des FC St. Pauli bei Cosmos New York
Gastspiel des FC St. Pauli bei Cosmos New York (Kalwa/Dlf)
Selbst für eine so bunte Stadt wie New York fällt das, was regelmäßig in der East River Bar in Brooklyn passiert, ziemlich aus dem Rahmen Deshalb war irgendwann die New York Times da. Und das Fernsehen.
Auch deutsche Medien haben gelegentlich Notiz genommen. Aber mit allen Geschichten verbindet sich die immer selbe Frage: Wie wird man eigentlich als Amerikaner Fan und Supporter eines deutschen Zweitliga-Fußball-Clubs, der noch nie irgendeinen Titel von Bedeutung gewonnen hat?
Die Antwort liegt in dem verborgen, was St. Pauli in die weite Welt abstrahlt: Das Image einer aufsässigen politischen DNA mit einem Touch Underground. Im totalen Kontrast zum aalglatten, kommerziellen Sportgeschehen. Typisch die Geschichte von Shawn Roggenkamp, Sprecherin der East River Pirates, dem New Yorker Supporter-Club vom FC St. Pauli:
"Ich habe mich in der Saison in St. Pauli verliebt, als wir fast abgestiegen wären. Und als es im allerletzten Spiel um alles ging. Uns interessieren die Ergebnisse nicht so sehr. Aber da war die Spannung in der Bar enorm. Als ich gemerkt habe, wie sehr mich das in den Bann zieht, wusste ich: Das ist mein Club."
"Diese Energie"
So etwas lässt sich noch intensivieren: Am Millerntor, wo sich das Gemeinschaftserlebnis hautnah einatmen lässt. Roggenkamp war schon viermal da und sagt:
"Diese Energie. Jeder singt mit. Und alle sind so freundlich und großzügig. Sie wollen ihr Erlebnis mit anderen teilen und dafür sorgen, dass du das genauso genießt."
Umso besser für sie und ihre Mitstreiter, dass der Club in dieser Woche eine ordentliche Dosis St. Pauli nach New York mitgebracht hat. Die Mannschaft gastierte am Donnerstag nicht nur zu einem Spiel gegen Cosmos New York. Anschließend fuhr der Spielerbus zur East River Bar. Party Time.
Fans beim Gastspiel des FC St. Pauli in New York
Fans beim Gastspiel des FC St. Pauli in New York (Christina Horsten/dpa/picture alliance)
Der Ausflug war Teil eines dicht gesteckten Programms, zu dem auch eine Aktion am Tag davor gehörte: Man machte auf der obligatorischen Stadtrundfahrt einen Abstecher zum Trump Tower, vor dem die Spieler die mitgebrachten Regenbogenfahnen mit dem St.-Pauli-Logo ausrollten. Das Banner ein Symbol gegen Homophobie und für Vielfalt und Toleranz. Jan-Philipp Kalla, Verteidiger und so etwas wie St.-Pauli-Urgestein:
"Ja, ein kleines bisschen Demonstrieren gehört ja auch immer für die St. Paulianer mit dazu. Und so ein bisschen dagegen sein und die eigene Meinung äußern. Ich glaube, dass wir da ein ganz gutes Zeichen gesetzt haben, mit unserer kleinen Mini-Demo vor dem Trump Building."
Mehr Merchandising, als die Größen der Bundesliga
Alles nach dem Motto: Das eine tun, aber das andere nicht lassen. Also spielte das Geschäftliche im Rahmen dieser Reise auch eine Rolle. Eine Konstellation, die sich vordergründig schon daraus ergibt, dass St. Pauli gleich drei amerikanische Werbepartner hat – einen Whiskey-Hersteller, eine Jeans-Marke und einen Sportausrüster. Amerikanisches Geld spielt man allerdings auch noch über einen anderen Kanal ein, verriet Präsident Oke Göttlich:
"Wir haben hier in Amerika einen sehr hohen Merchandising-Umsatz. Und zwar höher als der der großen deutschen Erstligisten, zumindest einige von denen."
Der Ruf als selbstbewusster Club, der keine Angst hat, Haltung zu zeigen, und der sich in den Liga-Strukturen in Deutschland als fan-verankertes Projekt behauptet, hat sich nämlich auch bis Amerika herumgesprochen. Dorthin, wo eine Liga wie Major League Soccer und der Fußballverband gemeinschaftlich alles tun, um eine authentisch heranwachsende Kultur von unten nicht hochkommen zu lassen. Weshalb Clubs wie Cosmos oder Detroit FC, den die Hamburger vor einem Jahr besuchten, nicht vom Fleck kommen.
"Lust auf das etwas Buntere"
Für St. Pauli ein Fall, um internationale Solidarität zu zeigen. Und: um neue Ideen zu entwickeln. Warum sollte der Verein nicht als Katalysator für ein Kontrastprogramm zu den Mega-Gastspielen der berühmten Champions League-Teams in jedem Sommer dienen?
"Wenn sich dieses Monsterrad so weiterdreht, dass immer nur noch ein immer weiter, immer höher, immer schneller vor allen Dingen auf finanziellen Aspekten gedreht wird, dann muss es zumindest eine Gruppe von Vereinen geben, die sich miteinander vernetzen können und im Zweifelsfall sagen können, lass uns im Sommer oder im Winter ein Turnier spielen und auch mit einem Medienpartner sprechen, der Lust hat auf das etwas Buntere, die Fankultur, für solche Themen. Ein Cup des anderen Fußballs. Das sind einfach Dinge, die wir gerne mit anschieben wollen."
Netzwerker im Überlebenskampf der Kleinen gegen das Kartell der superreichen Clubs. Eine solche Rolle steht den Hamburgern nicht nur gut zu Gesicht. Es hilft auch bei der Vermarktung des Vereins rund um den Globus. Den passenden Slogan kann man sich leicht ausmalen. "St. Pauli: Piraten gegen den Rest der Welt".