Donnerstag, 25. April 2024

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Wiederzulassung von Russland und Belarus
"Herumlavieren" des Fechter-Bundes sorgt für Unverständnis

Russland und Belarus dürfen wieder an internationalen Fecht-Wettbewerben teilnehmen. Der deutsche Verband hat offenbar dafür gestimmt. Fechter und Politik fordern eine klare Positionierung. Es droht auch der Verlust von Fördergeldern.

Von Jessica Sturmberg und Maximilian Rieger | 18.03.2023
Fechterin Rebecca Langrehr bei den Olympischen Spielen in Tokio
Warten auf eine klare Ansage vom Verband: Deutschlands Fechterinnen und Fechter (AFP)
Helge Ulrich ist seit 45 Jahren Fechter, inzwischen kämpft er für die Nationalmannschaft der Veteranen. Seit einem Jahr organisiert er auch Hilfe für ukrainische Geflüchtete. Umso enttäuschter ist er von der Entscheidung des Weltverbandes, russische und belarussische Fechterinnen und Fechter wieder zu zulassen. Und er ist nicht allein: "Die gesamte Stimmung, die ich wahrnehme, ist absolutes Unverständnis. Auch Wut."

Verbandspräsidentin Bokel schweigt

Was Ulrich besonders erzürnt: Das Verhalten des deutschen Fechter-Bundes und der Präsidentin Claudia Bokel. "Dass unsere DFB-Präsidentin keine Stellung dazu nimmt, sich auf die geheime Wahl beruft. Aber das ist ja unsere Stimme, die sie vertritt. Und sie sollte zumindest mal artikulieren, wie wir abgestimmt haben."
Das macht Claudia Bokel allerdings seit einer Woche nicht. Der Fechter-Bund teilt auf Anfrage mit, dass Bokel grundsätzlich keine Auskunft über geheime Abstimmungen erteilt. Laut Sportschau hat Bokel aber dafür gestimmt, zumindest Einzelsportlerinnen und Sportler wiederzuzulassen.

DOSB-Beirat Altenkamp: "Trauerspiel"

Die unklare Positionerung des Fecht-Verbands bezeichnete Norbert Altenkamp, Mitglied im Menschenrechtsausschuss des Bundestages, im Deutschlandfunk als "Trauerspiel". Altenkamp beklagte das "Herumlavieren" des Fechter-Bundes: "Entweder klar dafür oder klar dagegen, aber irgendwie zwischen Baum und Borke, das lässt zurecht die Sportler auch sehr umtriebig zurück."
Auch Verbandschefin Claudia Bokel hätte ihr Abstimmungsverhalten im Weltverband öffentlich machen müsssen, forderte Altenkamp. Bei der politischen Dimension der Abstimmung sei dies nicht zu verheimlichen, es müsste mit voller Transparenz geben. "Ansonsten bleibt immer ein Geschmäckle und auch letztendlich ein Schaden zurück."

Weltcup in Tauberbischofsheim abgesagt

Die Folgen der Entscheidung sind für das deutsche Fechten bereits jetzt spürbar. Im Mai sollte in Tauberbischofsheim eigentlich ein Weltcup stattfinden. Diesen Weltcup hat der DFB unter der Woche zurückgegeben. Man wolle ein klares Signal geben, dass man sich ein anderes Abstimmungsergebnis gewünscht hätte und viele Fragen zur Umsetzung noch offen seien, wird Bokel in einer Pressemitteilung zitiert.
"Diese Aussage von ihr macht es für mich umso mehr schizophrener", meint Fecht-Veteran Helge Ulrich. "Wie können wir eine Stellung, die von der Bundesregierung aufgenommen wird und die wir jetzt seit einem Jahr auch verfolgen, durchbrechen - und die hat sie durchbrochen bei der Wahl bei der FEI - und dann positioniert sie sich bei einem Weltcup, wenn es dann ernst wird, wieder anders?"
Erzwungen wurde dieser Sinneswandel offenbar vom Landessportverband Baden-Württemberg. Der besitzt in der Fecht-Halle in Tauberbischofsheim Hausrecht und hätte die Halle für einen Wettkampf mit Russen verschlossen.

Wird dem Fechter-Bund Steuergeld entzogen?

Unklar ist, ob das Innenministerium deutsche Fechterinnen und Fechter finanziell unterstützt, wenn sie an Wettkämpfen mit russischer und belarussischer Beteiligung antreten. Das Ministerium teilt auf Anfrage mit, dass derartige Wettbewerbe seit einem Jahr nicht förderfähig seien. Gleichzeitig wolle man Nachteile für deutsche Sportlerinnen und Sportler vermeiden. Über Ausnahmen entscheide das Ministerium nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls.
Altenkamp spricht sich aber dagegen aus, dass die Politik den Druck auf den Fecht-Verband erhöht, etwa durch ein Kappen von Fördergeldern für Wettbewerbe, bei denen künftig wieder Athleten aus Russland und Belarus zugelassen werden sollen.
"Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass auf internationaler Ebene entschieden wurde. Und dass andere Sportverbände nicht so ticken, wie wir es uns gerne immer wünschen", sagte Altenkamp. "Selbst wenn Deutschland dagegen gestimmt hätte, wäre die Entscheidung trotzdem so gefallen. Dieses Anerkennen von Realitäten kann nicht zum Nachteil deutscher Sportler werden."

"Großer runder Tisch im DOSB" für Entscheidung zu Olympia 2024

Im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2024 forderte Altenkamp, der auch im DOSB-Menschenrechtsrechtsbeirat sitzt, einen großen runden Tisch der deutschen Sportverbände. "Damit man sich als Einzelverband nicht immer wieder auseinanderdividieren lässt und sich in die Nesseln setzt."
Die Verbände müssten dabei eine klare Haltung einnehmen und sich nicht hinter Geheimabstimmungen verschanzen. "Wir müssen uns ganz, ganz klar positionieren und sagen: wir halten die Entscheidung des Weltverbandes für falsch. Aber nichtsdestotrotz müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir bei einer demokratischen Abstimmung unterlegen sind."