Archiv

Ein Jahr Ukraine-Krieg
"Es ist unmöglich, dass Russen an Wettkämpfen teilnehmen"

Seit einem Jahr führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. "Das ukrainische Volk wird weiterkämpfen, die Soldaten und die Sportler", sagt die ukrainische Hochspringerin Jaroslawa Mahutschich im DLF. Wütend sei sie auf IOC-Präsident Thomas Bach.

Jaroslawa Mahutschich im Gespräch mit Matthias Friebe |
Die ukrainische Hochspringerin Jaroslawa Mahutschich feiert ihren Titelgewinn bei den Europameisterschaften in München.
Die ukrainische Hochspringerin Jaroslawa Mahutschich feiert ihren Titelgewinn bei den Europameisterschaften in München. (IMAGO / Eibner / IMAGO / Eibner / Memmler)
Am 24. Februar jährt sich der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine. Wenige Tage nach Kriegsbeginn gewann die ukrainische Hochspringerin Jaroslawa Mahutschich bei den Hallen-Weltmeisterschaften in Belgrad die Goldmedaille. Matthias Friebe hat mit der 21-Jährigen über den Krieg, die Diskussion um die Teilnahme russischer Sportlerinnen und Sportler an den Olympischen Spielen 2024 und einen möglichen Boykott der Ukraine gesprochen.
Matthias Friebe:Vor einem Jahr hat der Krieg begonnen. Ist das, so schlimm das klingt, schon Alltag geworden?

Jaroslawa Mahutschich: Ja, schon ein Jahr und ich kann es wirklich nicht glauben, dass es jetzt ein Jahr wird. Jetzt lebe ich wie alle ukrainischen Menschen mit den Nachrichten aus der Ukraine und jeder Gedanke dreht sich um die Ukraine und wie die Menschen dort leben. Ich halte den Kontakt zu meinen Freunden und meinen Verwandten per Telefon, weil ich mich jetzt in Belgien befinde. Hier gibt es gute Möglichkeiten zum Trainieren. Aber natürlich möchte ich nach Hause gehen und in der Ukraine ein gutes Leben ohne Russen führen.
Wie realistisch klingt das für Sie?
Mahutschich: Natürlich möchte ich nach dem Krieg irgendwann wieder nach Hause kommen. Ich war Ende Dezember für zwei Wochen zu Hause, und ich habe sogar in Lwiw an einem Wettbewerb teilgenommen. Es war so schön, weil es eine so schwierige Zeit war und ich dadurch so motiviert war. Ich gebe nie auf und trainiere weiter, zeige weiterhin meine Ergebnisse auf internationaler Ebene. Natürlich wollen alle Ukrainer, dass der Krieg so schnell wie möglich zu Ende geht. Und wir alle wollen die Ukraine wiederaufbauen und dort leben.
Vor einem Jahr, kurz nach Beginn des Krieges, fanden in Belgrad die Hallenweltmeisterschaften statt, und wenn ich es richtig verstanden habe, dann sind Sie über mehrere Tage mit dem Auto geflohen, um Belgrad zu erreichen, und haben dann die Goldmedaille gewonnen. Wie sehr hat sich dieser Moment, haben sich diese Tage in Ihr Gedächtnis eingebrannt?
Mahutschich: Es waren die ersten Tage des Krieges, wir wussten nicht, wie das Leben weitergeht. Aber wir beschlossen, zur Weltmeisterschaft nach Belgrad zu fahren, denn vor dem 24. Februar bereitete ich mich darauf vor. Die WM war der wichtigste Start der Hallensaison ist. Und meine Familie sagte dann: ja, ich solle fahren. Aber für mich war es wirklich kompliziert, denn als ich mit meiner Familie sprach, wusste ich nicht, wann ich zurückkommen würde. Als ich im Auto saß und losgefahren bin, dachte ich darüber nach, ob es die richtige Entscheidung ist, zur WM zu fahren oder ob ich hätte vielleicht zu Hause zu bleiben sollen, um freiwillig etwas zu tun. Aber dann ich habe verstanden, dass ich fahren sollte. Ich war zu 2000 Prozent motiviert. In den ersten Wochen des Krieges waren die Nachrichten schrecklich, und ich wollte etwas Gutes für das ukrainische Volk tun. Ich wollte, dass sie die Nachricht lesen können, dass ein ukrainisches Mädchen eine Weltmeisterschaft gewonnen hat und sie so etwas lächeln können.
Ich habe in einigen Medien gelesen, dass Sie mit dieser Goldmedaille so etwas wie ein Symbol für Ihr Land geworden sind, für die Durchhalte-Kraft, nach Belgrad zu fahren. Was bedeutet es für Sie, ein solches Symbol für ein ganzes Land zu sein?
Mahutschich: Es ist vielleicht ein Symbol für die Freiheit. Was die Russen jetzt tun, das ist schrecklich. Aber das ukrainische Volk wird auf allen Gebieten weiterkämpfen: die Soldaten, aber auch die Sportler auf der Bahn. Sie haben wirklich ihre Ergebnisse gezeigt, damit unsere Flagge hochgezogen werden kann und wir unsere Hymne hören. Ich habe eine Goldmedaille bei der Hallenweltmeisterschaft gewonnen, und dann hatte ich die Gelegenheit, mit Journalisten über den Krieg zu sprechen, über das, was jetzt in der Ukraine passiert.
"Ein Symbol für die Freiheit": Jaroslawa Mahutschich präsentiert ihre Goldmedaille von der Hallen-WM in Belgrad.
"Ein Symbol für die Freiheit": Jaroslawa Mahutschich präsentiert ihre Goldmedaille von der Hallen-WM in Belgrad. (IMAGO / Chai v.d. Laage / IMAGO / Gladys Chai von der Laage)
Im internationalen Sport gibt es eine Debatte darüber, ob das IOC russische Sportler wieder auf internationaler Ebene zulassen sollte. Sie sind dagegen - können Sie erklären, warum?
Mahutschich: Wie viele russische Sportler haben sich über den Krieg und die Tötung von Menschen in der Ukraine geäußert? In der Leichtathletik niemand. Aber sie nehmen an den russischen Meisterschaften teil, an russischen Wettkämpfen und tragen dabei das Emblem der russischen Armee. Ich denke, das heißt, sie unterstützen die russische Armee. Denn wenn sie sie nicht unterstützen würden, dann würden sie nicht mit diesem Emblem auftreten. Sie sollten verstehen, was los ist, nämlich dass Menschen getötet werden. Einige Athleten werden nicht die Möglichkeit haben, an den Olympischen Spielen teilzunehmen, weil sie in diesem Krieg getötet wurden. Ich denke, dass es unmöglich ist, dass Russen an Wettkämpfen teilnehmen, bis der Krieg beendet ist und die Ukraine ihr gesamtes Gebiet zurückerhält.
Aber was ist mit Sportlern aus Russland, die nicht zum Militär gehören, die vielleicht den Krieg nicht unterstützen?
Mahutschich: Dann frage ich: Wer ist es? Wer unterstützt ihn nicht? Wer schreibt dazu auf Instagram? Wer? Wer?
Vielleicht weil sie Angst um ihr persönliches Leben haben?
Mahutschich: Wissen Sie, die Sportler haben diese Möglichkeit wirklich, etwas zu tun. Ich verstehe nicht, wie das Olympia-Komitee sagen kann, dass die Bedingung für eine Zulassung zum Wettbewerb sein soll, dass sie aufschreiben, ihre Armee nicht zu unterstützen. Aber wie geht das, wenn sie mit Emblemen der russischen Armee, dieses terroristischen Staates antreten?
Wir haben mit einigen Rechtsexperten gesprochen und sie sagten uns: Einerseits haben wir die Aggression des schrecklichen Krieges und andererseits wäre es dennoch eine Diskriminierung durch das IOC. Und jede Diskriminierung ist schlecht, egal ob es die Guten oder die Bösen trifft. Ist das nicht auch wahr?
Mahutschich: Wissen Sie, manche Leute denken, Diskriminierung ist... Das ist wirklich eine schwierige Frage, aber es heißt jetzt immer, dass Sport eine weltweite Gemeinschaft ist. Ein fantastischer Gedanke. Und Thomas Bach beruft sich jetzt auf die Menschenrechte. Aber was ist mit den Menschen, die in der Ukraine leben und die keine Chance haben, zu Hause zu bleiben? Die keine Möglichkeit haben, bei ihren Eltern zu leben? Die kleinen Kinder haben keine Kindheit mehr, sie leben in Kellern, in U-Bahn-Stationen, sie können nicht nach draußen gehen, nicht ihre Kindheit leben. Sie wissen stattdessen eine Menge über Raketen. Ich glaube nicht, dass es der Wille von Kindern ist, viel über Raketen und Krieg zu wissen.
In Ihrer Stimme sind viele Emotionen zu hören. Sind Sie wütend auf das IOC, auf Thomas Bach?
Mahutschich: Ja! Aber das sind jetzt nur Diskussionen des Internationalen Olympischen Komitees, des Welt-Leichtathletik-Verband, es sind Diskussionen von Sportlern. Sie sagen, was sie darüber denken, und wir sind noch im Gespräch.
Das Ukrainische Olympische Komitee diskutiert auch immer noch über einen Boykott. Es hält sich diese Option für den Fall offen, dass die Russen wirklich zugelassen werden. Ist das in Ihren Augen richtig?
Mahutschich: Ja, jetzt haben wir diese Position, aber ich denke, es ist das Letzte, was wir tun werden. Wir sollten alles uns Mögliche tun, damit das nicht passiert.
Sie haben einmal gesagt, Sie wollen 2024 in Paris den Weltrekord angreifen und die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen gewinnen. Wenn es einen ukrainischen Boykott gibt, wäre das nicht möglich.
Ja, ich habe das Ziel in meiner Sportkarriere, den Weltrekord zu springen und die Olympischen Spiele zu gewinnen, aber ich weiß nicht, wo das sein wird. Natürlich wäre es sehr schön, die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Paris zu gewinnen. Aber jetzt kann ich sagen, dass es so sein wird.
Also ist das, was Sie jetzt erleben müssen, viel wichtiger als die Olympischen Spiele?
Mahutschich: Ja.
Haben Sie irgendwelche Hoffnungen in Bezug auf Paris 2024. Glauben Sie, dass es möglich ist, dort zu starten?
Mahutschich: Das kann ich jetzt nicht sagen. Ich möchte wirklich in Paris antreten. Ich möchte gute Ergebnisse zeigen und eine Medaille bei den Olympischen Spielen gewinnen.
Aber?
Mahutschich: Aber ich weiß nicht, was nächstes Jahr, was in sechs Monaten sein wird. Ich denke, Olympia ist noch ein Jahr entfernt. Ich hoffe, dass der Krieg dann zu Ende ist. Mein großer Traum ist, dass der Krieg vorbei ist und ich nach Hause zurückkehren und zu Hause trainieren kann.