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Federico Garcia Lorca in neuer Übersetzung

Die literarische Welt lag ihm zu Füßen. In Barcelona und Madrid, in New York und Buenos Aires hatte er gerade mit der "Bluthochzeit" und "Yerma" auf den Theaterbühnen triumphiert, als er 1936, knapp vier Wochen nach Beginn des Spanischen Bürgerkrieges von den Falangisten am 16. August festgenommen und nahe seinem Geburtsort Granada am 18. oder 19. August erschossen wurde. Lorcas heimliche Ermordung war zugleich der spektakulärste Tod eines Dichters im 20. Jahrhundert, dessen Motiv im Grunde nie eindeutig geklärt ist.

Von Hans-Jürgen Schmitt | 17.06.2007
    Ist es nicht doch auch der Hass auf den berühmten Dichter gewesen, der ein "Roter" war und ein Homosexueller? Der Hass einer spießigen, mit allen Vorurteilen besetzten machistischen Gesellschaft Spaniens, die im fanatisch franquistischen Granada die Stunde der Abrechnung gekommen sah?

    Lorcas plötzliches, irreales Ende erscheint hingegen in seiner ganzen Dimension als ein so fiktiver Tod wie derjenige der Schauspieler in Lorcas Dramen, die zum Schlussapplaus wieder auf die Bühne treten.

    Dass nun die 14 Stücke und Skizzen in neuer Übertragung von drei Übersetzern und einem Schriftsteller gemeistert wurden, nämlich von Thomas Brovot, Susanne Lange, Rudolf Wittkopf und Hans Magnus Enzensberger, der sich auf nur ein Drama "Bernarda Albas Haus" einließ, hat zwei Gründe: 1. Im Jahr 2006 sind die Urheberrechte 70 Jahre nach Lorcas Tod erloschen. So wollte der Suhrkamp Verlag zumindest mit seinen neuen Übersetzungen sich die ökonomischen Pfründe auf deutschen Bühnen, wo Lorca ständig gespielt wird, nicht entgehen lassen. 2. Erst 1998 gelang es durch einen richterlichen Beschluss die durch die Beckstiftung bislang abgesicherten Heinrich Beck Übersetzungen aus dem Verkehr zu ziehen. Die Übersetzungsschwächen Becks waren vor allem in Lorcas Lyrik und dort in den Stücken, wo lyrische Passagen eine tragende Bedeutung hatten, besonders eklatant: Weil er sich selbst als bedeutenden Dichter einschätzte, übertrieb er mit seinem blumigen, ausufernden Stil. Gewiss wäre es nicht korrekt, zu behaupten, Beck habe Lorcas Stücke gewissermaßen in den Sand gesetzt; sie wurden eben so gespielt und mit Erfolg, "Bernarda Albas Haus" sogar als grandiosen Oper durch den Komponisten Aribert Reimann. Aber was jetzt sofort auffällt gegenüber den Beck'schen Versionen ist die direkte, knappe Umsetzung der Lorca'schen so prägnanten Diktion: die Härte, die Knappheit, die Kargheit, in der so überraschend seine Dramen ja gerade erst ihre Poesie auch im Deutschen zurückgewinnen:
    Bei Beck redet die Magd in Bernarda Albas Haus gleich gravitätisch:


    " Das Geläut dieser Glocken ist mir schon in die Schläfen gedrungen". "

    Enzensberger hingegen nüchtern:

    "Mir schwirrt schon der Kopf von diesem ewigen Glockenläuten". "

    Bernarda Albas Charakterisierung bei Beck ist durch ein schief gewähltes Bild verschwommen und weniger hart als bei Enzensberger:

    " "Sie tyrannisiert ihre ganz Umgebung. Sie ist imstande, sich auf dein Herz(??) zu setzen und zu sehen, wie du ein Jahr lang stirbst, ohne dass sie dieses kalte Lächeln verliert, das sie auf ihrem verdammten Gesicht trägt."

    In Enzensbergers klarer Version:

    "Die tyrannisiert uns alle. Die ist imstande und setzt sich dir auf die Brust, und dann schaut sie ein Jahr lang zu , wie du allmählich stirbst, und dabei grinst sie noch mit diesem kalten Lächeln in ihrem verdammten Gesicht."

    Lorcas Herz schlug links, aber er war kein politischer Dichter wie Pablo Neruda oder Bertolt Brecht; und nie hatte er die Fahne der Ideologie vor die der Poesie gestellt. Freilich wurde die französische Erstaufführung seines Dramas "Bernarda Albas Haus" in dem von den Deutschen besetzten Paris vom Publikum sofort auf die eigene Situation hin umgedeutet. Man empfand den Kampf der Mutter mit den Töchtern- den Antagonismus von zerstörender Ordnung und Lebenstrieb- als Gleichnis einer geistigen Résistance.

    García Lorca wollte eine Erneuerung Spaniens auch durch die Musen. Seine Idee war es, die Madrider Studenten zu begeistern, und mit einem Theaterkarren, der 'Barraca', durch die Provinzen zu reisen, um dem Volk seine großen Dichter wie Lope de Vega und Calderon wieder bekannt zu machen.

    Sein Theater reicht vom romantischen Freiheitsspiel "Mariana Pineda" bis zu den Tragödien "Yerma" und "Bernarda Albas Haus". Es ist immer ein neuer anderer Lorca. Die Paradoxie der Liebe, "die ging und nicht kam", wird in Lorcas Dramen tödliches Schicksal. Der Leser oder Zuschauer erlebt das archaische Andalusien, das zur bedrohlichen Metapher für Enthusiasmus und Schrecken, Schmerz, Tod und Verbrechen wird.

    Immer ist die Ehre, sowohl beim Mann, wie bei der Frau, Richtschnur für ein Leben, das keines ist, da das überkommene Verhalten eine freie Entscheidung ausschließt. Die Ehre ist wichtiger als das Leben, ja sie steht wie eine Drohung vor dem Leben. So sagt Yerma, die sich so sehr ein Kind wünscht, dass ihr Mann verweigert:

    "Ich liebe ihn nicht, ich liebe ihn nicht, und doch ist er meine einzige Hoffnung. Der Ehre und der Familie wegen. Meine einzige Hoffnung."

    In "Doña Rosita bleibt ledig oder die Sprache der Blumen" lebt Doña Rosita als Waise im Hause von Tante und Onkel und dessen botanischem Garten und schlägt alle möglichen Freier aus, weil sie 15 Jahre auf die Rückkehr des Verlobten aus Argentinien wartet, der längst mit einer anderen verheiratet ist. Er schickt ihr schließlich eine Vollmacht zur Eheschließung; aber wie bemerkt wird: mit einer Vollmacht, kann man keine Brautnacht begehen. Schließlich gehört Rosita wie ein Möbelstück zur Konkursmasse des Hauses, das die Familie verlassen muss.
    Lorca führt in einer bild- und anspielungsreichen Metaphorik vor, wie im Gegensatz zur wartenden Braut, für die die Zeit ja stillsteht, die Blumen des Gartens aufblühen und wieder vergehen. Oder auch: wenn der Onkel die Begeisterung eines Materialisten über die Geschwindigkeit eines Autorennens nicht teilen kann, den Geschwindigkeitsrausch der modernen Zeiten ad absurdum führt:

    " Wohin bringt sie all die Eile, sage ich. Sie haben ja gesehen, was bei dem Rennen Paris-Madrid passiert ist, es musste abgebrochen werden. Noch vor Bordeaux haben sich sämtliche Rennfahrer den Hals gebrochen."

    Doña Rosita lebt nicht nur außerhalb der Zeit und außerhalb jeglichen Fortschritts, ohne Zeitgefühl, sondern auch wie ihre Tante bemerkt, sie kann nicht aussprechen, was sie bewegt.

    "Das ist der große Fehler der ehrbaren Frauen hierzulande. Nicht den Mund aufzutun! Wir sagen nichts aber wir müssen sprechen!"

    Darauf entgegnet Rosita:

    "Ich habe mich so daran gewöhnt, all die Jahre außerhalb meiner selbst zu leben, habe an die Dinge gedacht, die in weiter Ferne lagen Jahr, dass ich jetzt, wo es diese Dinge nicht mehr gibt, immer weiter einen kalten Ort durchwandere, und nach einem Ausgang suche, den ich niemals finden kann... Jedes Jahr, das verging, war wie ein kaltes Wäschestück, das man mir vom Leibe riss..."

    Lorca wollte mit diesem Stück nach eigenen Aussagen auf einen tragischen Aspekt des gesellschaftlichen Lebens aufmerksam machen: auf die spanischen Frauen, die unverheiratet bleiben. Und er charakterisiert ihn so:

    "Es wäre besser Drama der albernen spanischen Verbortheit zu sagen, des Sehnens nach Genus, das die Frauen gewaltsam in die tiefsten Tiefen ihres fiebernden Inneren zurückdrängen müssen. Wie lange noch werden all die spanischen Doña Rositas dies erdulden müssen?"

    "Doña Rosita bleibt ledig ..." ist kein reines Lustspiel; man kann vordergründig dabei noch lachen; Lorca selbst meinte allerdings, es gäbe mehr Anlass für Tränen als in seinen Tragödien.

    Der Leser oder Zuschauer seiner späteren Dramen erlebt das archaische Andalusien, das zur bedrohlichen Metapher für Enthusiasmus und Schrecken, Schmerz, Tod und Verbrechen wird.

    Lorca schafft auch hier einen neuen poetischen, bilderreichen Stil, in dem sich die Ereignisse in atemberaubenden Dialogen entwickeln, oder dann und wann scheint das Drama zu retardieren, wird gleichsam aufgehalten in einem lyrischen Gesang oder Chor, der sich einem in den Neuübersetzungen erstaunlich frisch erschließt.

    In der "Bluthochzeit" wird das falsche Paar verheiratet, der frühere Verehrer flieht mit der Angetrauten und beide Brautwerber fallen im Messerkampf.

    Die Braut wiederum will von der Mutter ihres Bräutigams getötet werden, um zu sühnen, um gleichsam die Ehre der Familie wieder herzustellen. Und sie erklärt der Mutter des Sohnes ihr Tun als wahnsinniges, unentrinnbares Gefühl, dem sich keine Frau entziehen kann:

    "Auch du wärest fortgegangen. Ich war eine Frau, die in Flammen stand, voll schwärender Wunden, und dein Sohn war ein wenig Wasser, von dem ich Kinder, Land und Heilung hoffte; der andere aber war ein dunkler Strom unter Zweigen, der mich das Rauschen seiner Binsen hören ließ, seinen leisen heimlichen Gesang...Ich habe es nicht gewollt, hörst du? Ich habe es nicht gewollt, hörst du? Ich habe es nicht gewollt! Dein Sohn war der Sinn meines Lebens, und ich habe ihn nicht betrogen, doch der Arm des anderen riss mich fort wie der Schlag einer Welle, war wie ein Stoß eines Maultieres."

    Die poetische Sprache, der feine Lyrismus, mit dem der Mond im Höhepunkt der Dramatik die Aufgeregtheit steigert und bannt, täuschen nicht über die Unausweichlichkeit des Geschehens hinweg. In Lorcas Regieanweisung am Ende des vorletzten Bildes - es ist der Tod in Gestalt der Bettlerin - heißt es expressiv und bedrohlich:

    "Ganz langsam erscheint der Mond. Die Szene wird in ein starkes blaues Licht getaucht. Plötzlich zwei lange, herzzerreißende Schreie, das Violinspiel bricht jäh ab. Beim zweiten Schrei taucht die Bettlerin auf und bleibt mit dem Rücken zum Zuschauerraum stehen. Sie öffnet ihren Umhang und verharrt mitten auf der Bühne wie ein großer Vogel mit riesigen Flügeln. Der Mond verweilt an seinem Platz. Der Vorhang senkt sich in absoluter Stille."

    In den nachfolgenden Stücken Lorcas wird der Zuschauer mit einer immer grausameren, wenngleich immer poetisch überhöhten Realität konfrontiert.

    Im Drama "Yerma", zu deutsch, die Unfruchtbare, liebt die junge Frau Juan, ihren aufrechten Ehemann, nicht; hier zuerst die absolut verballhornte Übersetzung von Beck:

    "Ich wünschte, er wäre schlecht. Aber nein. Er zieht mit seinen Schafen des Weges und nachts zählt er das Geld. Wenn er mit mir schläft, erfüllt er seine Pflichten, aber ich fühle, Dass seine Lende kalt ist, als ob er ein Leichnam sei, und ich möchte in jedem Augenblick zu einem Feuerberg werden, obwohl die heißblütigen Frauen mir immer widerwärtig gewesen sind."

    In der weitaus knapperen Version von Susanne Lange:

    "Gut ist er! Gut! Na und? Wäre er doch schlecht. Aber nein, er zieht mit den Schafen seiner Wege und zählt nachts sein Geld. Er besteigt mich um seine Pflicht zu tun, aber seine Lenden sind so kalt wie die eines Toten. Mir sind die hitzigen Weiber stets zuwider gewesen, aber in diesem Moment würde ich am Liebsten zu einem glühenden Vulkan."

    Yerma bekommt keine Kinder, da sie mit Frigidität auf ihre Liebesunfähigkeit reagiert. Autodestruktiv ist schließlich ihre Tat: sie drückt Juan die Kehle zu, dabei fühlend , Dass sie, wie sie selbst sagt, damit ihr Kind umgebracht hat. Allen Verführungen der Ehre wegen hat sie widerstanden, sogar der Hexenzauberei. Und sie hätte Victor, den Schäfer, haben können, den Mann, der sie liebte. Zuerst die Version Becks, die umständlich wirkt:

    "Die glauben, mir könnte ein anderer Mann gefallen und nicht sehen, Dass Menschen meines Schlages die Ehre über alles geht - selbst wenn er mir gefiele. Sie sind Steine auf meinem Weg. Aber sie wissen nicht, Dass ich, wenn ich will, Stromschnelle sein kann, die sie hinwegspült."

    Die Version Langes, die wieder Lorcas Knappheit ohne Umschweife direkt wiedergibt:

    " Die haben sich etwas in den Kopf gesetzt. Wie alle, die kein ruhiges Gewissen haben. Sie glauben, ein anderer könnte mir gefallen, dabei wissen sie nicht, dass in meiner Familie, selbst wenn mir einer gefallen sollte, die Ehre über allem steht. Wie Felsen hocken sie vor mir. Aber sie wissen nicht, wenn ich nur will, kann ich das Wasser im Bach sein, das sie fortspült."

    Das Stück erntete wütende Proteste von Seiten der Rechten; die katholischen Kirche nannte es unmoralisch und schamlos.

    Lorcas letztes Drama:" Bernarda Albas Haus", dessen Inszenierung er nicht mehr erlebte, wurde erstmals 1964 in Spanien gespielt. Bernarda mit ihren fünf ledigen Töchtern nutzt die angeordnete Trauer für den Tod ihres Mannes, die acht Jahre dauern soll, für ein verschärftes Regiment gegen ihrer Töchter, die zudem auch untereinander bis zur Feindschaft konkurrieren. Bernarda behauptet:

    "Keine hat je einen Freier gehabt. Das haben meine Töchter nicht nötig. Darauf können sie verzichten."

    Beim Streit um den Mann und erhofften Geliebten geraten die Schwestern Adela und Martirio aneinander. Martirio will nicht hören, Dass Adela behauptet, geliebt zu werden:

    "Stoß mir ein Messer in die Brust, wenn du willst, aber sag mir das nicht noch einmal... Du brauchst mich nicht zu umarmen! Ich will nicht, dass du mir schön tust. Mit dir hab ich nichts mehr zu schaffen. Du bist nicht mehr meine Schwester, du bist eine Frau wie alle anderen."

    Bernarda ist eine hochmütige, hartherzige und brutale Mutter; sie hat die Töchter kaserniert, die "wie in Wandschränke gestopft leben". Sie demütigt und schlägt sie, verweigert ihnen jedes Recht; am Selbstmord der zwanzigjährigen Adela trägt sie unmittelbar Schuld: sie schießt auf deren heimlichen Geliebten. Normal in diesem Stück sind nur ihre Mägde und ihre verrückte 80-jährige Mutter, die die Wahrheit über die eigentliche Wahnsinnswelt aussprechen.

    Die Außenwelt soll wissen, Dass die Ehre des Hauses unangetastet bleibt. Bernarda Albas Haus erscheint wie eine geschlossene Gesellschaft, in der die Mutter als eine furchtbare andalusische Kommandeuse herrscht. Die Töchter sagen darum mit Recht:

    "Als Frau auf die Welt zu kommen ist die größte Strafe. Uns gehören ja nicht mal unsere eigenen Augen."

    Der Satz erhält heute eine Aktualität anderer Art: In Spanien werden jährlich über 100 Frauen von ihren Ehemännern oder Partnern ermordet, weil diese Frauen die Gemeinschaft aus Verzweiflung aufkündigten. Die Männer werden zu Mördern, nicht nur weil sie ihre Vorstellung von "Ehre" vor der Gesellschaft gekränkt sehen, sondern weil die heutige spanische Frau mehr Handelnde ist als jene andalusische aus Lorcas Stücken, die geprägt war durch absolute Herrschaft im Haus.

    Die Mütter in Lorcas Stücken sind starke Frauen, die unreflektiert das Verhalten einer Männergesellschaft demonstrieren. Die Mutter in der "Bluthochzeit" gibt dem Sohn Anweisungen, wie er als Mann mit der Frau umzugehen hat: sanft als Verführer und hart, wenn sie sich nicht fügt, damit sie weiß, wer der Herr ist. Bernarda Alba übernimmt die traditionell männliche Geschlechterteilung nach dem funktionalistischen Prinzip:

    "Nadel und Faden für die Weiber. Peitsche und Maultier für die Männer. So hält man Hab und Gut zusammen, wenn man was geerbt hat."

    Die Frauen sind ins Haus gebannt und schauen sehnsüchtig hinaus auf das Treiben der Männer auf den Feldern. Juan erklärt Yerma:

    "Mein Leben ist auf den Feldern, aber meine Ehre ist hier."

    Die exaltierten Frauen wie die Braut aus der "Bluthochzeit", "Doña Rosita", "Yerma" oder die in ihre Fantasie verstiegene Adela sind selbstzerstörerisch in ihrem Tun; sie haben auf die große Liebe gewartet, aber sie haben sie nicht gelebt, nicht leben können. Die Braut in der Bluthochzeit bewahrt am Ende, absurd genug, den Mythos der Jungfräulichkeit, Rosita die Erinnerung, Yerma die absolute Leere.

    So hat García Lorca außer in seinem Jugenddrama "Marina Pineda" kein Theater für romantische Heldinnen geschaffen; romantisch sind nur die scheiternden Liebhaber, die alle aus armen Verhältnissen kommen.

    Seine Stücke sind samt und sonders von finsterer spanischer Unerbittlichkeit und einer schicksalhaften Endgültigkeit. Aber sie sind archetypisch in ihren Zwangssituationen, die zurückführen in die Gesellschaft von heute, nur mit veränderten Vorzeichen.
    García Lorca wollte mit seinem Theater der Grausamkeit aber noch weiter gehen:

    "Eines der Ziele, die ich mit dem Theater verfolge, ist eben dies, ein wenig zu quälen und zu erschrecken. Ich weiß genau, und es freut mich, Dass ich schockiere. Ich will Gegenreaktionen provozieren, um zu sehen, ob nicht ein für allemal die ganzen Übel des aktuellen Theaters ausgekotzt werden können."

    Das war Lorcas V- Effekt. Lorca wollte erschüttern durch Schockieren. Brecht durch "Verfremdung" erziehen.

    "Nur soziale Probleme und Sex" hätten heute auf dem Theater eine Chance, erklärte Lorca einmal. Er entscheide sich zukünftig für das Thema Sex. Dies in einer Gesellschaft, die durch Kirche und die Diktatur Primo de Riveras jegliche Freizügigkeit immer noch als Teufelswerk ansah. Lorca wollte z. B. ein Stück über den Inzest schreiben. Ferner gibt es mehrere Entwürfe zur homosexuellen Thematik. Fertiggestellt ist nur noch das Stück "Das Publikum", das die Problematik der Liebe mit der Reflexion über die Kunst zusammenführt.

    Trotz der Verdienste, Lorca ins Deutsche früh übersetzt zu haben, hatte Heinrich Beck allzu gravitätisch und vieles mit falschem, poetisch-altertümelndem Zungenschlag übertragen. Jetzt liegt ein ungemein frisch wirkender Lorca vor uns: Stücke, die vor 70 Jahren geschrieben wurden, aber nichts von ihrer zauberhaften Schönheit und Modernität eingebüßt haben, dank der hier zu Werke gegangenen Übersetzer. Für den deutschen Leser und Theaterbesucher ein unschätzbarer Gewinn.