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Federico Garcìa Lorcas "Bluthochzeit"

Eine "lyrische Tragödie" hatte Federico Garcia Lorca "die Bluthochzeit" genannt. Eine Braut flieht unmittelbar nach der Hochzeit mit dem schon lange geliebten und längst auch verheirateten Leonardo. Man ahnt es so gut wie die Mutter des Bräutigams, die bereits ihren Mann und den ersten Sohn verloren hat: Alles läuft auf einen blutigen Kampf hinaus. Garcia Lorca, am 5. Juni 1898 bei Granada geboren und 1936 von den Franchisten ermordet, gilt in der spanischsprechenden Welt als der Autor der Moderne, der auch heute noch breite Popularität genießt. Vielleicht auch weil er sich immer für die Opfer der Gesellschaft interessierte - für die Tagelöhner, die Frauen, die Zigeuner, für Homosexuelle und seit seinem langen Aufenthalt in New York auch die Schwarzen und ihre Kultur. Die Bluthochzeit, erster Teil der Bauerntrilogie wurde 1933 in Madrid uraufgeführt. Jürgen Kruse, der nun das Stück in Bochum inszenierte hatte mit dem Autor schon seine Erfahrungen gemacht. Für die Gestaltung des Stücks: "Die wundersame Schustersfrau" war er einst mit dem Lorca -Preis ausgezeichnet worden.

Von Hildegard Wenner | 06.03.2004
    Federico Garcia Lorca trägt – was sonst – einen weißen Anzug, Strohhut, Sonnenbrille trotz Kerzenlicht und schreibt – was sonst - ein Stück. Das heißt, eigentlich schreibt er dem Stück hinterher, denn alles, was er in die Tasten haut, ereignet sich bereits unter seinem hoch gelegenen Arbeitsplatz. Die "Bluthochzeit", auf der maurisch-christliche Moral und Sinnesrausch sich zum Totentanz treffen, zwei Leichen und viele versteinerte Herzen hinterlassen, basiert auf einer wahren Geschichte aus dem Spanien der neunzehnhundertzwanziger Jahre. Nun also klappert oben die Maschine ununterbrochen, während unten die Messer gewetzt, die Äxte geschwungen, erst in Holz und Brot, dann in Fleisch gehauen werden. Eine wüste, weniger archaische als trashige Party, personal- und soundintensiv. Keine andalusische Heißluftorgie mit Zikaden an lichtflirrenden Mauern, unterdrückten Begierden hinter geschlossenen Fenstern. Vielmehr ein Gewusel wie in einer Gastarbeiter-Sozialwohnung. Auf dem Kühlschrank läuft der Fernseher, auf der Wäscheleine hängen die Windeln, vom Band plärrt pausenlos ein Baby – nur das Pferd, das immer mal wieder aus den Kulissen wiehert und einmal kurz sein Publikum sehen darf, lässt auf eine ländliche Gegend schließen. Volker Hintermeiers Bühne paart rote Erde mit verschlissenen Dielen, Brechtgardine und Kruzifixe, die sich an der Rampe türmen, Stierschädel hängen vor schwül-roten Spanntüren, die hinten in ein Etablissement führen, aus dem regelmäßig ein paar Gitarrieros die Stimmung heben. Der große Tisch mit dem Graffito "Global a go go" ist nicht nur zum Essen da, zwei Treppen führen auf eine Galerie, in den schaurigen Wald, wo der Tod von Anfang an grunzt und schnalzt: eine Sensenfrau, die – es nimmt kein Ende – auch noch eine Sense schwingt. Der Mann im Mond ist hier ein Mond im Mann, nämlich im Auge eines Totenkopfes. Uns trennt vom Devotionalienrausch eine Gazewand, in der sich im Lauf des langen Abends allerhand Melonenstückchen und Holzsplitter verfangen – Dank sei den umsichtigen Theaterleuten!

    Nun kann man es tief im Westen des Reviers keinem verdenken, dass er sich von "Schicksalsmacht und Leidenschaft" den Appetit auf Currywurst nicht verderben lässt und dabei trotzdem einen spanischen Hut tragen möchte, aber dann sollte die "Bluthochzeit" vielleicht in "Ketchup-Hochzeit" umbenannt werden, den entsprechend lockeren Kodex liefert Regisseur Jürgen Kruse jedenfalls umstandslos. Johann von Bülows Brautentführer Leonardo kleidet sich zwar wie ein Caballero, hat aber wenig Bock aufs Ver- und Entführen, schleicht fast phlegmatisch durch die Gegend, seine Dulzinea, die Braut des anderen, kann minutenlang zittern und beben, hin- und her gerissen zwischen Sitte und Selbstbehauptung, aber dass sie nach dem Tod der beiden Rivalen bis ans Lebensende hinter dicken Wänden altern und weinen wird, "nicht lebendig, nicht tot", das ist wohl ein Märchen aus uralten Zeiten.

    Julie Bräuning sitzt bereits auf dem Motorroller, gleich sähen wir nur noch die Rücklichter Richtung Granada, wäre das Stück nicht hier zu Ende. In Bochum spielen sie Lorca noch nach der Fassung des einstigen Monopolübersetzers Enrique Beck, natürlich in der eigenen Bearbeitung, wie es sich gehört. Kruse lässt die Sätze gern falsch betonen, erklärt jeden Artikel zum Substantiv und geizt mit Verben. Dialoge werden da schon mal zu Duellen, allerdings trägt so ein Kunstgriff nicht über vier Stunden, so wenig wie die Kuh-sine oder Kack-tee. Bis zur Pause kann der Regisseur an sich halten, setzt sogar seine rollende Plattensammlung dosiert ein, doch wenn Holzfäller und Sensenfrau den Wald erobern, will kein Witzchen, kein Liedchen, kein Tänzchen mehr links liegen gelassen werden. Für den Zweikampf der Liebeskonkurrenten bemüht Kruse Ernst Busch, die Internationalen Brigaden und Äxte, die wie Wunderkerzen brennen. Olé! Garcia Lorca wünschte diese Art der Konfliktlösung sozusagen aus dem Off. Der Rest ist Symbol. Apropos: Der Dichter reihte sich nicht zum Schlussapplaus ein – entweder ist er immer noch nicht fertig oder es hat ihm nicht gefallen.