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Fehlende Fragezeichen

Als das Buch 1987 im angeschlossenen Verlag einer Mainburger Druckerei erschien, wurde es weder wahr- noch ernstgenommen. "Vincent van Gogh - unbekannte frühe Werke" hatte der Mediziner Georg Klusmann sein Elaborat genannt, in dem er eine vermeintlich spannende Kunstgeschichte erzählte: Ihm selbst sei es gelungen, jene Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen wiederzufinden, die Vincent van Gogh 1885 bei der Abreise nach Antwerpen bei seiner Familie hinterließ. Auf dem Dachboden eines Altenheims in der holländischen Provinzstadt Breda wollte Klusmann das Konvolut gefunden haben: "Als ich sie näher untersuchte", schrieb er im Vorwort, "fiel mir bei einigen Leinwänden auf, dass sie mit 'Vincent' signiert waren. Für einen geringen Betrag konnte ich die ganze Kiste nebst Inhalt erwerben." Inzwischen gibt es Zweifel an dieser Darstellung. Tatsächlich ist die "Entdeckung" der Sammlung eher einem holländischen Steuerbeamten namens Adrianus Marijnissen zuzuschreiben. Er hatte wohl 1939 eine Kiste mit 237 Zeichnungen, Aquarellen und Ölgemälden für ganze fünf Gulden erworben. Klusmann meldete sich bei Marijnissen erst in den 70er-Jahren und kaufte zahlreiche Werke.

Von Stefan Koldehoff |
    So falsch wie die Herkunftsgeschichte sind nach Meinung aller führenden Van Gogh-Experten auch die Werke selbst. Dass sie nun trotzdem am Kunstmarkt angeboten werden, ist um so erstaunlicher. Kein führender Wissenschaftler hat die so genannte "Marijnissen-Sammlung" bislang in den Kanon authentischer Werke aufgenommen; lediglich der französische Amateurforscher Benoît Landais, der in den vergangenen Jahren immer wieder so abstruse wie unbelegte Van Gogh-Thesen veröffentlichte, sprach sich für die Eigenhändigkeit aus.

    Landais begann Anfang der 90er-Jahre, seiner Leidenschaft für Vincent van Gogh in regelmäßigen Publikationen Ausdruck zu verleihen, in denen der heute 56-Jährige eine Räuberpistole nach der nächsten abfeuerte. Landais behauptete, die 1987 vom japanischen Versicherungsunternehmen "Yasuda" für damals umgerechnet 72,5 Millionen Mark erworbene Fassung der "Sonnenblumen" sei eine Fälschung; das Van Gogh-Museum in Amsterdam decke den angeblichen Betrug aber, weil Yasuda ihm einen Anbau bezahlt habe. Er beschuldigte van Goghs Arzt, den dilettierenden Hobbymaler Paul-Ferdinand Gachet, der Fälschung einer ganzen Gruppe von Gemälden und schrieb weitere Werke gleich im Dutzend ab. Belege für seine Thesen blieb Landais allerdings regelmäßig schuldig. Wissenschaftliche Untersuchungen der von ihm abgeschriebenen Werke dagegen ergaben jeweils deren Echtheit. Trotzdem fand der selbsternannte Van Gogh-Experte immer wieder Medien, die seine Thesen gern nachdruckten.

    Hinter der internationalen Ablehnung der nun angebotenen Marijnissen-Sammlung vermutet Landais eine Verschwörung. Mit Hilfe von Indizien wie ähnlichen Nasenrücken oder vergleichbaren Babyhauben glaubt er selbst in einem soeben auch auf deutsch erschienenen Buch, die Echtheit der Werke belegen zu können. Seine Urteile sind allerdings mit Vorsicht zu genießen: Erst im vergangenen Jahr musste die französische Auktionatorenkammer die Versteigerung eines von Landais expertisierten Bildes in letzter Sekunde untersagen.

    Um so überraschter war die Fachwelt, als das Museum in Breda Ende vergangenen Jahres eine Ausstellung zeigte, die Teile der Marijnissen-Sammlung angeblich zur Diskussion stellen wollte, tatsächlich aber die Authentizität der Werke nahelegte. Schon dem Ausstellungstitel "Van Gogh - verloren, gefunden" fehlte das dringend notwendige Fragezeichen. Entsprechend laut waren die Warnungen, die sich das Bredaer Museum von seriösen Kollegen anhören mussten. Wenn mit der Authentizitätsfrage derart nachlässig umgegangen wird, so lautete der Hauptvorwurf, dann sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis erste Werke aus dem fragwürdigen Konvolut am Kunstmarkt auftauchen. Das Van Gogh-Museum in Amsterdam, weltweit anerkanntes Zentrum der wissenschaftlichen Forschung über den Künstler, lehnte daraufhin jede Zusammenarbeit mit dem Projekt ab.

    Eine Galerie im niederrheinischen Krefeld bietet nun tatsächlich drei Gemälde aus dem Marijnissen-Konvolut schriftlich zum Kauf an. Die Adressaten - darunter neben Privatsammlern in Deutschland und in der Schweiz - erhielten Farbkopien des kleinformatigen Stillebens "Apfel mit Nuss", des "Porträts eines Fischers" und von "Häusern bei Den Haag". Alle Werke werden als Originale beschrieben. Die Galerie verweist als Beleg auf das Katalogbuch des Museums von Breda und behauptet zum Häuserbild sogar, eine Röntgenaufnahme habe ein darunterliegendes Frauenporträt enthüllt: "Die andere Hälfte dieses Bildes wurde erst kürzlich im Archiv des Amsterdamer van Gogh Museums entdeckt." Diese Angabe ist nach Auskunft des Museums schlicht erfunden. "Wir haben nichts dergleichen entdeckt", sagt Hauptkurator Sjraar van Heugten, "und wir haben uns zu diesem Bild auch nie geäußert."

    Gleichzeitig startete in einem angemieteten Raum der polnischen Nationalbibliothek in Warschau eine Ausstellung die der Eventmanager Jakub Lep organisiert und von Warschau aus noch durch verschiedene weiter Städte des Landes geschickt hatte. Die polnische Presse feierte die Bilderschau unkritisch als erste Van Gogh-Ausstellung, die im Land jemals stattgefunden habe. Tatsächlich handelte es sich auch bei diesen ausgestellten vier Gemälden, elf Zeichnungen und zwei Aquarellen um Teile jener Sammlung, die seit über einem Vierteljahrhundert am Markt etabliert werden soll und im Museum von Breda nun gesundgebetet wurde. Natürlich könne man über den Verkauf einzelner Arbeiten reden, ließ folgerichtig Jakub Lep das ARD-Studio Warschau wissen und verwies auf seinen Partner, Björn Klusmann. Wer nach der Echtheit der gezeigten Werke fragte, erhielt von ihm nur den Hinweis auf Expertisen von Benoît Landais und die hanebüchene Behauptung: "Er ist der wichtigste internationale Van Gogh-Experte."