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Fehler bei Operationen verhindern

Es gibt Operationen, die selbst für erfahrene Chirurgen kompliziert sind. Etwa an Knochen, wo sie mit ihren Instrumenten kaum hinkommen. Auch Roboter führen solche Operationen nicht immer sicher aus. Erfolgversprechender ist es, modernste Technik mit dem Geschick und der Erfahrung des Chirurgen zu kombinieren. "Navigated Control" macht das möglich: Der Mensch operiert zwar, aber der Computer schützt den Patienten. Wenn Ärzte Fehler machen, schalten Sägen, Bohrer oder Fräsen einfach ab. Letzte Woche haben Wissenschaftler der Charité und des Fraunhofer-Instituts das System in Berlin vorgestellt.

Von William Vorsatz | 18.01.2005
    Eine Knochentransplantation kann lange dauern. Denn das Ersatzstück muss genau eingepasst werden, um mit dem alten Knochen gut zu verwachsen. Bei schwer zugänglichen Stellen, beispielsweise im Kiefer, müssen die Chirurgen zunächst eine grobe Schablone von der Knochen-lücke anfertigen. Danach fräsen sie den Ersatz aus einem anderen Knochen des Patienten, meist aus dem Hüftbereich. Professor Tim Lüth forscht am Fraunhofer-Institut für Produktanlagen und Konstruktionstechnik in Berlin und an der Charité:

    Bisher wird das so durchgeführt, dass man die Hüfte öffnet, nach Möglichkeit in der gleichen Operation, und dann grob anzeichnet, wie groß wohl das Knochenstück ist, das man aus der Hüfte entnehmen muss, dann entnimmt man aus der Hüfte ein Knochenstück, und fräßt es mühsam zurecht, bis es ungefähr wieder die Form hat, die der ursprüngliche Knochen einmal besaß. Mit Knochenzement werden dann die Flächen wieder gefüllt, die nicht so richtig gepasst haben, so dass der Chirurg, der diese Eingriffe durchführt, häufig mit der Zeit und dem Ergebnis nicht zufrieden ist.

    Der Patient muss lange in Narkose bleiben und ein ungenaues Einpassstück verlängert die Heilungszeit. Außerdem ist die reparierte Stelle später labil. Deshalb hat die vierzigköpfige Arbeitsgruppe um Prof. Lüth ihr Navigationssystem entwickelt: Zunächst wird der fehlende Knochen während der Operation genau vermessen. Und zwar optisch und mechanisch. Eine Stereo-Infrarotkamera liefert räumliche Bildinformationen. Wo sie nicht hinkommt, hilft ein Gerät, das aussieht wie ein Zahnbohrer. Die Spitze ist jedoch mit mechanischen Sensoren bestückt. Sie ertasten die Knochenlücke ganz genau .

    Man sieht jetzt im Bild sehr schön, wie sich das Instrument im Patienten oder am Patienten bewegt, und man kann jetzt eben auch durch das Bewegen der Bohrerspitze über die Knochenoberfläche dann ein Modell diesen Knochens aufnehmen.

    Aus den Bildinformationen der Kamera und den Daten der Tastsensoren konstruiert der Computer mit einer eigens entwickelten Software ein passgenaues Modell des Transplantats. Am Bildschirm ist ein räumlich wirkendes Knochenstück zu sehen. Es lässt sich nach allen Seiten drehen und wenden. Im zweiten Schritt hilft das Navigationssystem den Chirurgen dann auch beim Ausfräsen des Ersatzknochens. Die Chirurgen der Charité hatten früher bei solchen Operationen auch Roboter eingesetzt. Die waren aber sehr teuer und außerdem musste der Patient exakt fixiert werden. Heute bringen die Chirurgen lediglich einen kleinen Knopf mit einem Reflektor am Körper des Patienten an. Der registriert dann seine genaue Lage auf dem Operationstisch und berücksichtigt jede Bewegung des Patienten. Der Fräser vergleicht die Daten des Modells nun ständig mit dem realen Knochenstück, das gerade ausfräßt wird:

    Wir können uns die "Navigated Control" so vorstellen: Was man jetzt macht, man kann mit dem Teil fräsen, und das, was besonders dazu gekommen ist, ist, dass der Fräser eben aufhört, zu fräsen, wenn man sich nicht an der richtigen Stelle befindet und dass man dann bestimmte Konturen abfräsen kann.

    Das Instrument stoppt nicht ganz, um sich nicht fest zu fräsen. Aber die Umdrehungen verlangsamen sich so weit, dass kaum noch Knochenmaterial abgetragen wird.

    "Navigated Control" lässt sich auch bei anderen komplizierten Operationen anwenden, wo die Informationen vorher durch bildgebende Verfahren errechnet werden. Interessant vor allem für besonders riskante Eingriffe im Knochenbereich, denn jeder Fehlgriff kann hier zu bleibenden Schäden führen. So eignet sich das System besonders für Wirbelsäulen-OPs nahe am Rückenmark und Innenohr-Operationen. Professor Jürgen Bier ist Kiefer- und Gesichtschirurg an der Charite:

    Wir arbeiten im OP ja mit schnell laufenden Bohrern, Fräsen und Sägen, dann kann es immer mal wieder zu einer unvorhergesehen Situation kommen, z.B. eine plötzliche Blutung oder dass mal ein Operationshaken abrutscht, das kann dazu führen, dass der Operateur mit seinem Bohrer aus der richtigen Richtung heraus kommt, so etwas wird durch "Navigated Control" einfach verhindert. So dass für den Patienten und die Qualität der Operation auch kein Schaden entsteht.

    Das Team hat die einzelnen Komponenten immer wieder getestet und optimiert. Denn alles muss einfach in der Handhabung sein, um schon bald auch in vielen anderen Krankenhäusern eingesetzt zu werden, betont Professor Lüth:

    Wir erwarten eine einmalige Einarbeitungszeit von 15 Minuten bis vielleicht 60 Minuten, und danach müssen die Geräte intuitiv bedienbar sein. D. h. der Chirurg darf nicht darüber nachdenken müssen, was er hier tut.

    Bis jetzt hat sich das Sicherungssystem schon bei sieben Operationen bewährt. In einer Abteilung, wo Fehler kaum kaschiert werden können - in der Gesichts- und Kieferchirurgie. Die Wissenschaftler rechnen damit, dass ihr Verfahren in etwa fünf Wochen auch für andere Krankenhäuser zugelassen wird, zunächst im Kieferbereich, im Laufe des Jahres auch für andere Operationen.