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Fehmarn und der Rock'n'Roll

Ein Gedenkstein mit Gitarre erinnert an Jimi Hendrix’ letzten Festival-Auftritt – auf der Ostseeinsel Fehmarn. Im September 1970 wollten ein paar Menschen dort eine Art deutsches Woodstock aufziehen. Mit dabei waren auch Ginger Baker, Canned Heat oder Sly & the family stone. Die Veranstaltung endete in einem großen Chaos.

Von Rainer Link |
    Jimi Hendrix war fest gebucht, Ten Years After waren angekündigt und auch Rod Steward und die Faces standen auf dem Programm. Klarer Fall, da mussten wir hin.

    Es dürften wohl 30.000 junge Leute gewesen sein , die sich auf den Weg an die Ostsee machten. Einer von ihnen, Uriz von Oertzen, damals 22 Jahre jung, reist aus Westberlin an. Recht unvorbereitet.

    "Wir haben auch kein Zelt mitgehabt. Wir haben irgendwie gedacht, das Wetter wird schon gut sein und wir wollen ja sowie so nicht so viel schlafen, so."

    Fehmarn, wie auch die meisten anderen Festivals zu Anfang der 70er-Jahre, waren zwar kommerziell geplant, aber die Fans wollten ganz im Geiste der Free Concerts in San Francisco doch lieber keinen Eintritt bezahlen. Sie rüttelten so lange an den Absperrungen, bis diese nachgaben.

    "Und ich erinnere nicht mehr, wie wir reingekommen sind, ich bin mir aber ziemlich sicher, dass wir keine Karte gekauft haben. Aber wie das genau gelaufen ist, weiß ich nicht mehr."

    Doch die Zeit war nicht reif für "umsonst und draußen". Deshalb heuerten die Veranstalter knapp 200 schlagkräftige Hamburger Rocker als Ordner an. Und die hauten ordentlich rein – hart aber unfair.

    "Also die Burschen können sich doch nicht hinstellen und einfach Karten kontrollieren. Ja, warum kommen die überhaupt zum Festival? Ja, weil sie eingeladen sind vom Veranstalter, um aufzupassen, damit keiner umsonst reinkommt. Die ganzen Absperrungen haben die besetzt, einfach. Es war keine Möglichkeit, umsonst reinzukommen. Was findet ihr denn besser: Polizei oder Rocker? Ich find beides beschissen. Haben beide nichts mit ´nem Rockfestival zu tun."

    Einer der Rocker von Fehmarn ist heute übrigens Beamter beim Finanzamt in Hamburg ... und sieht auch so aus. So ändern sich die Zeiten.

    Das Fehmarner Love & Peace Festival sollte ganze drei Tage dauern, aber niemand hatte sich ernsthaft Gedanken über die Versorgung mit Nahrungsmitteln gemacht. Imbiss-Stände? Fehlanzeige.

    "Es stimmt, ich erinnere mich auch, dass wir wahnsinnig Hunger hatten. Ich hab dann einfach ein bisschen mehr geraucht, dann war das irgendwie auch in Ordnung. Also, ich erinnere mich nicht, dass ich da verhungert bin, aber natürlich gab`s da nichts. Ich weiß von Leuten, die da in dem Edeka Laden da hinten waren, die andren hatten da aber längst alles leer gekauft, Also, alles, was danach kam, konnte eh nichts mehr kaufen. Da war ja niemand drauf vorbereitet. Ein bisschen wie in Woodstock."

    Ein geschäftstüchtiger Inselbewohner indes schaffte kurzfristig 100.000 rohe Hühnereier heran und gewann die Bundeswehr dazu, sich mit mehreren Feldküchen beim Abkochen der Eier nützlich zu machen. Für eine D-Mark gab´s dann ein kaltes, dunkelblau gefärbtes Ei zu kaufen. Schmeckte grässlich, aber immerhin: die Bundeswehr hatte bewiesen, dass sie zu echten Friedenseinsätzen fähig ist, wenn die Umstände es erfordern.

    Das Wetter war von der ersten bis zur vorletzten Stunde eine echte Katastrophe: Dauerregen, arktische Temperaturen, die Bühne stand knöcheltief unter Wasser. Jimi Hendrix und seine Experience, auf die alle warteten, soffen im nahegelegen Hotel, statt einen Stromschlag auf der abgesoffenen Bühne zu riskieren. Die Fans ruhten derweil im Schlamm.

    Und dann erklomm Hendrix am Sonntagmorgen doch noch die Bühne. Der Superstar musste sich zunächst gegen ein extrem verärgertes Publikums zur Wehr setzen, das ihn wegen der lang anhaltenden Verzögerung ausgiebig beschimpfte: Und so klang der verkaterte Virtuose bei Windstärke 7 aus Nord, Nordwest, in Böen 9:

    Fehmarn war nicht nur einer der letzten Hendrix-Auftritte, sondern, da sind sich die Pophistoriker einig, war auch einer seiner schwächsten.

    Immerhin erinnert sich der Chronist noch dunkel, dass die Faces und Alexis Korner ziemlich gut waren. Dennoch verbindet man das Festival bis heute mit Hendrix. "Jimi und das Fehmarn Festival" heißt eine Film-Dokumentation, die 40 Jahre später erschien. Einer der Filmemacher, Paul Kulms, befragte Einheimische, wie sie sich damals fühlten und verhielten, unter anderem den Chef der Freiwilligen Feuerwehr:

    "Der hat dann da seine Akten rausgeholt und sein Protokoll verlesen, zu welchen Vorkommnissen es gekommen ist, mit welchen Einsatzkräften man gearbeitet hat. Die Bilanz war eigentlich, ja, an einem Wurststand hat es eine kleine Explosion … es waren Kleinigkeiten. Und dass die Bühne abgebrannt ist, das hat er gar nicht erwähnt. Aber das schönste, was er sagte war, dass die Witterungsbedingungen waren auf unserer Seite."

    Denn von der ersten bis zur vorletzten Festivalminute fiel der Regen ohne Pause, oder wie man in Norddeutschland sagt: es herrschte ein gottverdammtes Schweinewetter.

    Uriz von Oertzen ist heute Chef einer Agentur, die Festivals und andere Events organisiert. Trotz der widrigen Umstände vor nunmehr 43 Jahren hat er Frieden geschlossen mit den damaligen Veranstaltern:

    "So etwas hat doch damals noch nie jemand gemacht. Das kann man gar nicht vergleichen, denn mit was sollte man das vergleichen? Woodstock ist ja auch gescheitert, die haben nur das Glück gehabt, dass sie das vermarkten konnten, weil sie das gefilmt haben und dann später ihr Geld verdient haben, was sie vorher verloren hatten."

    Dabei wurde beim Love & Peace Festival in Fehmarn auch gedreht. Drei Filmemacher hatten sich extra einen Kameraturm vor der Bühne aufgebaut. Im Entwicklungsraum stellten sie später aber fest: sie hatten im wesentlichen ihre eigenen Füße gefilmt. Drogen? Sagen wir so: es war sehr viel Löschpapier im Umlauf.

    Bis in die 90er-Jahre gab es übrigens ein ambitioniertes "Umsonst und Draußen"- Nachfolgefestival, das allerdings ebenfalls tragisch endete, erinnert sich Rasmus Gerlach, Mitautor von "Jimi und das Fehmarn-Festival".

    "Das Ganze wurde finanziert durch Getränkeverkauf und ein bisschen Parkplatzgebühr, die Autos haben dort auf einem Stoppelfeld geparkt und dafür musste man ein bisschen bezahlen. Und dann war es leider oft so, dass der Patient schwächelte und man dort plötzlich eines Tages quakende Rottbauchunken auf dem Festivalgelände fand und dann war aus die Maus. Und das Festival musste einpacken. Dieses Argument ist nach Meinung von Biologen totaler Unsinn, weil am ersten Septemberwochenende, wo das Festival stattfindet, diese Rotbauchunken überhaupt nicht mehr aktiv sind."
    Fehmarn und Rock und Roll – eine komplizierte Beziehung. Aber schon schön, dass wir 1970 dabei waren. Wenn wir uns nur noch an die Musik erinnern könnten.