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Feiges Wegschauen in der Hitler-Diktatur

"Ich sage Ja!", so lautet das bekannte Zitat Gerhart Hauptmanns zum Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund. Der Literatur- und Theaterwissenschaftler Peter Sprengel hat nun ein Buch über Hauptmann im Dritten Reich verfasst. Ein weiteres Werk also über die Haltung eines Intellektuellen in der Zeit der Diktatur, ein weiteres Buch über das Verhältnis von Politik und Kultur.

Von Klaus Kreimeier | 18.05.2009
    Im Kaiserreich der wichtigste Vertreter der naturalistischen Avantgarde, gefeiert vom fortschrittlichen Lager und angefeindet vom monarchischen Milieu. 1912 Nobelpreisträger; in der Weimarer Republik umjubelter Theaterautor und nationale Leitfigur. 1933 Mitglied der nationalsozialistischen Reichsschrifttumskammer, von Goebbels und anderen Parteispitzen mit Misstrauen bedacht, aber auch umworben und mit staatlichen Ehrungen überhäuft. In summa: eine zentrale Gestalt in einem schrecklichen Jahrhundert, ein Praeceptor Germaniae und schon zu Lebzeiten ein Monument seiner selbst.

    Verständlich, dass man sich in diesen hochdekorierten Leithammel verbeißen, sich an ihm die Zähne ausbeißen kann. Letzteres ist Peter Sprengel in seinem Buch über Hauptmann im "Dritten Reich" gelungen. Er hat ein seltsam betuliches, mit seinen zahllosen Details ermüdendes Werk verfasst, das man am Ende enttäuscht aus der Hand legt, weil es einer politischen Gewichtung und einer inspirierten oder gar riskanten These durchaus entbehrt. Dem Buch fehlt argumentative Schärfe - und jene analytische Gesamtsicht auf die Epoche, die der Untertitel "Gerhart Hauptmann im Ditten Reich" erwarten lässt. Vielleicht stand dem Autor einfach sein beeindruckender Zettelkasten im Weg.

    Deskriptive Langatmigkeit und die Liebe zur Anekdote lenken ihn immer wieder zu Belanglosigkeiten aus Hauptmanns Leben: So malt Sprengel etwa die Innenausstattung von Hauptmanns Villa Wiesenstein im schlesischen Agnetendorf bis ins Detail als eine hochherrschaftliche, aber auch irgendwie putzige "Arche Noah mit Haustieren und Gästen" aus. Der Leser schleppt sich durch etliche Kapitel, in denen er fast nichts über das politische und gesellschaftliche Umfeld, um so mehr über die familiären Prägungen, die platonischen Liebschaften, die Neigungen und Abneigungen einer alternden, sehr selbstverliebten und etwas skurrilen Kultfigur erfährt.

    Beinahe als Nebenprodukt dieser Blütenlese schält sich heraus, dass der Spät-Olympier Hauptmann, der sich so gern mit den Dioskuren der Weimarer Klassik verglich, ein kapitaler Mitläufer des NS-Regimes war. Nicht nur der Händedruck, den er 1933 mit dem "Führer" tauschen darf, senkt sich tief in sein Gemüt. Als "Sternenschicksalsträger des Deutschtums" feiert er Hitler noch 1942, nachdem ihm dieser zum 80. Geburtstag gratuliert hat.

    Überhaupt nimmt seine Überschwänglichkeit stets in dem Maße zu, wie ihn NSDAP-Größen wie Goebbels, Gauleiter Karl Hanke oder die Hofschranzen der Reichskulturkammer bei den Theaterpremieren beehren und seiner Eitelkeit schmeicheln. Auch ganz privat, als Tagebuchschreiber im nächtlichen Turmzimmer seiner Villa, geriert sich Hauptmann als glühender Nationalist. Den Sieg über Frankreich preist er als "allergrößten Augenblick der neueren Weltgeschichte", Hitler ist für ihn ein "Weltgenie".

    Doch deprimierender als solche Fanfarentöne ist die verdruckste Ignoranz, sind die kleinen infamen Würdelosigkeiten, mit denen sich Hauptmann an der Wahrnehmung des offiziellen Antisemitismus, auch der Verfolgung zahlloser jüdischer Kollegen vorbeischwindelt. Der Dichter ist keineswegs ein verbohrter Rassist. Um so bestürzender die teils perfiden, teils verschämten Retuschen, die Hauptmann am Bild jüdischer Emigranten vornimmt. Fasst er die erzwungene Emigration nach 1933 als einen Makel auf? So fragt sich Peter Sprengel mit Verweis auf Hauptmanns private Korrespondenz.

    Dafür spricht die Kommunikationsstrategie, die er im Umgang mit emigrierten jüdischen Bekannten verfolgt. Sie läuft darauf hinaus, den politischen Zwang, der jene ins Ausland trieb, zu ignorieren und den Betroffenen eine Freiwilligkeit der Ortswahl zu unterstellen, die keineswegs gegeben war.
    Hauptmann verdrängt, was offen zutage liegt. 1938, nach dem sogenannten Anschluss Österreichs, notiert er in seinem Tagebuch:

    Ich muss endlich diese sentimentale "Judenfrage" für mich ganz und gar abtun: Es stehen wichtigere, höhere deutsche Dinge auf dem Spiel - und man spürt Größe und Kraft der Organisation.
    Hauptmann scheut nicht einmal Eingriffe ins eigene Werk, wenn es um Anpassung an den offiziellen Antisemitismus geht - so bei einer Aufführung seines Stücks "Der rote Hahn", wenn er in vorauseilendem Gehorsam dem Intendanten empfiehlt, die Kennzeichnung einer positiven Figur als "Jude" zu streichen - und auch, "was sonst auf die Rasse Bezug hat", tunlichst "zu eliminieren". Und er lässt über sich ergehen, dass 1937 beim Essen zum 70. Geburtstag des national gesinnten Schriftstellerkollegen Rudolf G. Binding seine eigene Frau ausgeladen wird.

    Margarete Hauptmann durfte nicht mitspeisen, weil auch Elisabeth Jungmann, die Lebensgefährtin Bindings, nicht am Tisch sitzen sollte, und deren Ausschluss auf der offiziösen Ebene war aufgrund ihrer jüdischen Herkunft dringend geboten.
    Die Herren, komplett arisch, bleiben unter sich. Im feigen Wegschauen und täglichen Verdrängen erschöpften sich offenbar die moralischen Möglichkeiten in der Hitler-Diktatur: Auch und gerade dann, wenn man sich selbst als Dichter "auf hoher Küste" wähnte, von den Herrschenden umgirrt wurde und das persönliche Risiko gering war.

    Jenseits der pompösen Formen staatstragender Anbiederei sind es vor allem diese Einblicke in die banalen Betriebsunfälle der intellektuellen Moral, die das Bild Hauptmanns in den Jahren der Diktatur in bedrückender Weise vervollständigen. Indes - Sprengels Biographie fehlt die Tiefenschärfe, um an Hauptmanns Beispiel die Ära der nationalsozialistischen Diktatur und ihre Zerstörungen im Inneren der Kultur auszuleuchten. Sein Held agiert in einem seltsamen Vakuum. Das breite Feld jener Literaten, die bald nach dem Krieg das Markenzeichen der "inneren Emigration" für sich in Anspruch nehmen, bleibt unerörtert.

    Das betrifft auch die heroisch-elitären Verhaltensmodelle, für die prominente Namen wie Gottfried Benn oder Ernst Jünger stehen. Ebenso unterlässt es der Autor, die neoromantischen und mystizistischen Neigungen, die Hauptmanns Spätwerk dominieren, kritisch zu sichten oder sie gar auf die politischen Verhältnisse zu beziehen. Fazit: Nicht nur der Zeithistoriker, auch der ausgewiesene Literaturwissenschaftler Peter Sprengel ist uns mit diesem Buch die Antwort auf etliche Fragen schuldig geblieben.

    Klaus Kreimeier war das über Peter Sprengel: Der Dichter stand auf hoher Küste - Gerhart Hauptmann im Dritten Reich. Erschienen bei Propyläen, 382 Seiten kosten 24 Euro 90.