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Feineinstellungen. Gedichte

Der 1957 in Freiburg geborene und heute in London lebende Lyriker, Essayist und Übersetzer Michael Hofmann versucht in seinen Gedichten, Notwendigkeit und Unmöglichkeit eines fremden Blicks in Balance zu halten. Bei einer Veranstaltung im vergangenen Jahr in Deutschland nutzte Hofmann die Suche nach diesem labilen Gleichgewicht der Schreibexistenz für die Form seines Vortrags. Kurzfristig entstandene, auf Englisch verfaßte Notizen über die Biographie seines fremden Blicks hatte Hofmann teilweise übersetzt, um sie vorzulesen, um dann bei Unübersetztem und Unübersetzbarem einzuhaken, zu reflektieren, zu improvisieren, scheinbar immer wieder in Schleifen schlingernd und sich verlierend, doch tatsächlich in einer Stunde höchster Konzentration, die vorführte, wie der öffentlichen Drift der Wörter Schwerkraft verliehen werden kann, vor allem aber, wie sie eine Doppelsicht gewinnen:

Guido Graf |
    Ich schreibe englisch, ich habe nur in einer ganz kurzen Phase meines Lebens, also nur vor meinem richtigen Schreiben, bevor ich neunzehn war, habe ich es ganz kurz mal auf deutsch versucht, aber das dann hinter mir gelassen. Ich bin ganz in England und Amerika aufgewachsen, keine Gründe für nur noch ein angelesenes Kinderdeutsch.

    Die meisten der nun versammelten, von Marcel Beyer übertragenen Gedichte sind Portraits einer überaus schwierigen Beziehung zwischen Vater und Sohn. Der Vater, Schriftsteller von Rang, als Germanist die meiste Zeit des gemeinsamen Lebens im Ausland tätig, vor allem in England, nimmt die Rolle der Zentralsonne ein und Sohn Michael kämpft, immer zwischen Bitternis und liebevoller Hinwendung, gleichmütig darum, als kleiner Trabant nicht von der Bahn abzukommen, die doch seine eigene sein soll. Und sie ist es ganz und gar geworden, durchaus schon zu Lebzeiten Gert Hofmanns, der 1993 gestorben ist. In Gert Hofmanns Romanen und Erzählungen gibt es immer wieder Konstellationen zwischen Vater und Sohn, die in den oft wie in Zeitlupe gemurmelten Du-Anreden der Gedichte Michael Hofmanns ihre Echos finden. Die Romanfiguren des Vaters können nicht miteinander reden, ob am Telephon oder in der Küche. Die Söhne fragen, die Väter flüchten vor Antworten, fühlen sich bedrängt und verteidigen sich mit bitterem Haß. In seinen Gedichten hat Michael Hofmann diese reflexhaften Grausamkeiten genau registriert - und verwandelt in Bilder von entwaffnendem Mitgefühl. Sie zeigen eine lebenslange Häutung:

    Das typischste Gedicht, das ich je geschrieben habe - the quintessential Hofmann poem - man sollte das vielleicht niht wissen, aber ich habe es eigentlich sofort gewußt, heißt "A Brief Occupation" und das beschreibt eine Nacht in Paris.

    In diesem frühen Gedicht, das Marcel Beyer mit "Eine kurze Belegung" übersetzt, skizziert Hofmann ein Memento Mori aus dem Schatten eines kurzen Aufenthalts in einer kleinen Pariser Dachkammer. Furchtsam und doch seltsam beruhigt zugleich streifen die Blicke die kleine unmittelbare Umgebung, durchleuchten behutsam, was hinter den Wänden für Phantasien lauern könnten. Und das alles so mit pathetischer Lakonie, als würde Wallace Stevens ein poetisches Remake einiger typischer Sujets Franz Kafkas versuchen. Das Leben scheint anderswo, doch der Blick dann auf die Bruchstelle des eigenen Selbst verliert eben das: die Identität. "Ich war nur irgendwer." Hofmann führt unmerkliche, dafür aber umso wirkungsvollere Unterscheidungen ein, um das Gegenwärtige wie das Verzweifelte seiner Existenz in den Blick, besser: in Worte zu bekommen, um wie hier auseinanderhalten zu können, was ein Zimmer ist und was eine Höhle. Dafür lehrt uns Hofmann einen milden, weichen Blick der sich ans Nebensächliche klammert und Menschliches vom Unmenschlichen sondern kann.

    Als Übersetzer ist der Lyriker und Romanautor Marcel Beyer bislang mit kleineren Stücken von Gertrude Stein und William S. Burroughs in Erscheinung getreten. Er hat unter anderem Anglistik studiert und hat nun hier einen Band mit einer ebenso persönlichen wie symptomatischen Affinität zum Deutschen übersetzt, allerdings ohne Michael Hofmanns Originalen allzu nahe zu treten. Zuvor hat es von Hofmann nur verstreut in einigen Literaturzeitschriften Übersetzungen gegeben. Beyers umfangreiche Auswahl stellt einen stillen großen Dichter vor, doch Stille, so schreibt Hofmann einmal, kann eine Einladung sein, sie zu stören. Das hat Beyer leider nicht oder nur selten wahrgenommen oder eben in einer sehr deutschen Weise, indem er der leisen untergründigen Anarchie von Hofmanns Zeilen eine Ordnung einzieht, die dem Satzbau des Deutschen sehr vertraut und ohne Not den ebenmäßigen Stil Hofmanns in Aufzählungen zergliedert. In dem Titelgedicht des Bandes "Feineinstellungen" schreibt Hofmann von der Unruhe, die in der Ruhe liegt, die er zum Schreiben und zum Übersetzen braucht, und von einem Zittern, das nur dann hochkommt, "where I blurt in German, dissatisfied and unproficient", was Beyer übersetzt mit "wo ich auf Deutsch radebreche, ein unzufriedener Stümper." Von dem Druck, den das Deutsche auf Hofmann - als Übersetzer, aber eben auch als Sohn des deutsch schreibenden Vaters Gert Hofmann - ausübt, ist hier nicht mehr viel zu spüren, von dem Druck, der ihn die Worte nur wie zusammenhanglos hervorstoßen läßt -eben das bedeutet "blurt".