Dienstag, 07. Mai 2024

Archiv


Fela Kuti am Broadway

Berühmt wurde Fela Kuti durch einen Musikstil, den er quasi erfunden hatte: Den Afro-Beat, eine Mischung aus amerikanischem Funk und afrikanischer Percussion. Musik, die jetzt die Grundlage für ein Musical bildet, das am New Yorker Broadway Erfolg feiert.

Von Andreas Robertz | 05.01.2010
    Warum sollte ein Stück über eine Marihuana rauchende und in offener Polygamie lebende Musiklegende aus Afrika, die zeit ihres Lebens auch noch gegen die Korruption durch die großen, vor allem amerikanischen, multinationalen Ölfirmen gekämpft hat, ausgerechnet am Broadway Erfolg haben? Und warum sollte der normale Broadwaybesucher, dessen Begriff von afrikanischer Musik ausschließlich mit dem "König der Löwen" verbunden ist und der den Namen Fela Kuti noch nie in seinem Leben gehört hat, in ein Musical gehen, das keinen einzigen berühmten Darsteller aufzuweisen hat und dessen Musik zwischen Jazz, Funk, James Brown und wilder Trommelmusik eher gewöhnungsbedürftig ist? Und doch ist es schwierig, an Eintrittskarten zu kommen und die New York Times schrieb enthusiastisch, dass es "so etwas wie "Fela!" noch nie am Broadway gegeben habe". Vielleicht liegt es am zunehmenden Interesse an Afrika als die noch unverbrauchte Ressource großer Geschichten. Immerhin gewann Lynn Nottages afrikanisches Mutter-Courage-Stück "Ruined" letztes Jahr den Pulitzerpreis und "Invictus", Nelson Mandelas gerade herausgekommene filmische Biografie mit Morgan Freeman in der Hauptrolle, ist bereits mehrfach für den Golden Globe nominiert. Oder der Broadway ist der vielen Revivals und Filmadaptionen müde geworden und will endlich mal wieder ein neues originales Musical sehen.

    Bei "Fela!", nach der Originalmusik von Fela Kuti, ist es den Machern, vor allem Regisseur Bill T. Jones und dem energetischen Ensemble, jedenfalls gelungen, das zu schaffen, was die Amerikaner gerne eine "experience" nennen: ein Gesamterlebnis, etwas, das man nicht vergisst und das aus mehr als der Summe seiner Einzelteile besteht.
    Die Zauberworte sind in diesem Fall Authentizität und Originalität. Das beginnt bereits mit dem Eintritt in das sonst so ehrwürdige Simon O'Neill Theater. Bis unter die Decke sind die Wände mit Fahnen, afrikanischen Malereien, Masken, Fotos berühmter schwarzer Freiheitskämpfer, Spruchbändern, Leinwänden mit Zeitungsausschnitten und bunten Lichterketten geschmückt. Im Zuschauerraum gibt es Bars, die auch während der Vorstellung Cocktails mit den Namen "The Black President" und "The Zombie" verkaufen und auf der Bühne spielt sich die Band ein. Hin und wieder tritt ein Tänzer auf, begrüßt die Musiker, macht sich warm und beobachtet unbeeindruckt das Publikum. Wir befinden uns in "The Shrine", Fela Kutis berühmtem Nachtklub im Lagos der 70er-Jahre. Hier trat jede Nacht der Mann auf, der der erste "richtige" schwarze Präsident Afrikas werden wollte. "The Shrine" ist aber viel mehr als ein Nachtklub, wie auch Felas Musik viel mehr als Tanzmusik ist. Es ist das Heiligtum einer ganzen Bewegung, die Musik und Tanz als politisches Instrument begriff, um zu einer afrikanischen Identität jenseits von Öl, Korruption, Christentum und Islam zurückzufinden.
    Der Zuschauer wird Zeuge der spirituellen Reise Felas in die Welt der Ahnen und Götter der afrikanischen Yoruba Religion auf der Suche nach dem Erbe seiner von Soldaten getöteten Mutter. Regisseur und Choreograph Bill T. Jones, der vor zwei Jahren bereits mit Wedekinds "Spring Awakening" von sich reden machte, gelingt es in "Fela!" nicht nur ein mitreißendes Porträt des charismatischen Komponisten und seiner Musik zu zeichnen, sondern auch von der Sehnsucht und Leidenschaft einer ganzen Generation junger Afrikaner nach kultureller Unabhängigkeit und politischer Freiheit zu erzählen. Und diese Geschichte klingt 2010 so aktuell wie vor 40 Jahren. Der Erfolg von "Fela!" könnte einen neuen und notwendigen Trend am Broadway einläuten, sich musikalisch wie thematisch weniger mit Shrek und Spiderman und mehr mit der Welt da draußen zu beschäftigen.