Nächsten Samstag beginnt in München wieder das Oktoberfest, - das größte Volksfest der Welt. Italiener, Amerikaner, aber auch viele Menschen aus Deutschland reisen extra nach München, geben viel Geld aus, um mit tausenden anderer Menschen gemeinsam zu feiern. Brigitte Veiz, die in München Psychologie studiert hat, wollte wissen, was treibt Menschen eigentlich in überfüllte, verrauchte, nach Alkohol und Bratfett riechende Zelte? Was ist mit der Suche nach der vielbesungenen Gemütlichkeit? Herausgekommen ist eine Diplomarbeit.
Man darf auf der Wies´n Dinge tun, die man sonst nicht tun darf. Man darf laut sein, man kann mal seinen Trieben freien Lauf lassen, man darf rumbrüllen, tanzen, singen, toben auf den Bänken. Man kann Menschen küssen, die man nicht kennt. Das heißt, man kann Dinge tun, die sonst im Alltag nicht möglich sind. Es ist ein Ausnahmezustand, der eine emotionale Lösung der Psyche erzeugt, dass die Menschen endlich mal mehr ihren Gefühlen folgen können, was sonst im Alltag ja nicht möglich ist.
Noch drei Tage, bis der Ausnahmezustand in München wieder beginnt. Brigitte Veiz schmunzelt und beobachtet das Treiben auf dem Oktoberfestgelände, wo noch ganz geschäftig gehämmert, gebohrt und gesägt wird: Schaulustige schlendern in der warmen Herbstsonne zwischen halbaufgebauten Buden und grellbunten Plastik-Attrappen umher und inspizieren schon Mal neugierig Achterbahn, Autoscooter und andere Fahrgeschäfte. Brigitte Veiz schlürft an einer Apfelsaftschorle und hieft dann ihre knapp 400-Seiten-starke Diplomarbeit auf den Biertisch der Wies´n-Kantine, dem Ort, wo man schon jetzt Bier, Schweinsbraten und Kartoffelsalat bekommt. Der Titel der Arbeit lautet: Das Oktoberfest. Rausch und Ritual. Um dem Phänomen nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch per Feldstudie auf die Spur zu kommen, hat Brigitte Veiz eine ganze Saison mehr oder weniger jeden Tag im Bierzelt verbracht:
Was mich interessiert hat, war das Faszinosum Oktoberfest. Warum zieht es jedes Jahr 6,5 Millionen Besucher und warum die Münchner teilweise auch behaupten, die Wies´n ist eine Sucht. Das hört man ja oft und das hat mich interessiert, ob das stimmt. Ob das wirklich suchtartige Zustände sind. Was denn der Kick ist, den die Leute hier kriegen und warum die so oft kommen, manche Münchner kommen ja auch jeden Tag.
Brigitte Veiz hat seit Beginn ihres Psychologie-Studiums an der Münchner Uni Mitte der 90er Jahre praktisch keinen Wies´n-Tag ausgelassen. Für sie lag es irgendwann auf der Hand, sich den Gründen - nicht nur ihrer eigenen Begeisterung - auch wissenschaftlich zu nähern. - Auf die Idee, das Oktoberfest psychologisch unter die Lupe zu nehmen, ist sie übrigens als erste gekommen. Es gibt Abhandlungen über Konsumverhalten und Wirtschaftskraft der Wies´n, nicht aber darüber, was Menschen eigentlich antreibt, sich in überfüllte Festzelte zu drängen, um dort mit tausenden anderen für einen Abend gemeinsam auf Bierbänken zu schunkeln. Auf der Suche nach Antworten hat die Psychologin 20 Männer und Frauen unterschiedlichen Alters und Herkunft interviewt. Für viele der Befragten ist vor allem wichtig, dass sie wissen, was sie erwartet:
Das Rituelle ist vor allem diese Strukturierung durch Musik und Rhythmen und Tanz und Gesang. Das kollektive Heben der Maßkrüge. Diese ganzen Trink-Sprüche, eins, zwei, ... Das sind Ritualgesänge, die die Masse, diese heterogene, zerstreute Masse dann zu einer homogenen Masse vereinigt, das erzeugt eine Art Kommunion, fast was Sakrales hat die Wies´n an dem Punkt. Auch die Tatsache, dass man Maßkrüge am Tisch rumgehen lässt, dass man Brezeln rumgehen lässt und die mit Leuten teilt, die man gar nicht kennt. Das ist eine Art von Kommunion, die an was Kirchliches erinnert.
Brigitte Veiz ist sicher, dass das Oktoberfest für manche Besucher einen geradezu therapeutischen Charakter hat, dass viele hier ein Gemeinschaftsgefühl finden, das sie sonst vermissen. Und dafür sind sie auch bereit, überteuerte Preise zu zahlen, sowie Schmutz und Lärm in Kauf zu nehmen. Die Gefahr einer Sucht hält sich nach Meinung von Brigitte Veiz dabei durchaus in Grenzen, denn der Ausnahmezustand dauert ja nur zwei Wochen.
(Autorin: Claudia Müller)
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Oktoberfest 2002
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Noch drei Tage, bis der Ausnahmezustand in München wieder beginnt. Brigitte Veiz schmunzelt und beobachtet das Treiben auf dem Oktoberfestgelände, wo noch ganz geschäftig gehämmert, gebohrt und gesägt wird: Schaulustige schlendern in der warmen Herbstsonne zwischen halbaufgebauten Buden und grellbunten Plastik-Attrappen umher und inspizieren schon Mal neugierig Achterbahn, Autoscooter und andere Fahrgeschäfte. Brigitte Veiz schlürft an einer Apfelsaftschorle und hieft dann ihre knapp 400-Seiten-starke Diplomarbeit auf den Biertisch der Wies´n-Kantine, dem Ort, wo man schon jetzt Bier, Schweinsbraten und Kartoffelsalat bekommt. Der Titel der Arbeit lautet: Das Oktoberfest. Rausch und Ritual. Um dem Phänomen nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch per Feldstudie auf die Spur zu kommen, hat Brigitte Veiz eine ganze Saison mehr oder weniger jeden Tag im Bierzelt verbracht:
Was mich interessiert hat, war das Faszinosum Oktoberfest. Warum zieht es jedes Jahr 6,5 Millionen Besucher und warum die Münchner teilweise auch behaupten, die Wies´n ist eine Sucht. Das hört man ja oft und das hat mich interessiert, ob das stimmt. Ob das wirklich suchtartige Zustände sind. Was denn der Kick ist, den die Leute hier kriegen und warum die so oft kommen, manche Münchner kommen ja auch jeden Tag.
Brigitte Veiz hat seit Beginn ihres Psychologie-Studiums an der Münchner Uni Mitte der 90er Jahre praktisch keinen Wies´n-Tag ausgelassen. Für sie lag es irgendwann auf der Hand, sich den Gründen - nicht nur ihrer eigenen Begeisterung - auch wissenschaftlich zu nähern. - Auf die Idee, das Oktoberfest psychologisch unter die Lupe zu nehmen, ist sie übrigens als erste gekommen. Es gibt Abhandlungen über Konsumverhalten und Wirtschaftskraft der Wies´n, nicht aber darüber, was Menschen eigentlich antreibt, sich in überfüllte Festzelte zu drängen, um dort mit tausenden anderen für einen Abend gemeinsam auf Bierbänken zu schunkeln. Auf der Suche nach Antworten hat die Psychologin 20 Männer und Frauen unterschiedlichen Alters und Herkunft interviewt. Für viele der Befragten ist vor allem wichtig, dass sie wissen, was sie erwartet:
Das Rituelle ist vor allem diese Strukturierung durch Musik und Rhythmen und Tanz und Gesang. Das kollektive Heben der Maßkrüge. Diese ganzen Trink-Sprüche, eins, zwei, ... Das sind Ritualgesänge, die die Masse, diese heterogene, zerstreute Masse dann zu einer homogenen Masse vereinigt, das erzeugt eine Art Kommunion, fast was Sakrales hat die Wies´n an dem Punkt. Auch die Tatsache, dass man Maßkrüge am Tisch rumgehen lässt, dass man Brezeln rumgehen lässt und die mit Leuten teilt, die man gar nicht kennt. Das ist eine Art von Kommunion, die an was Kirchliches erinnert.
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