Dienstag, 19. März 2024

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Feministin Susan Winnett
"Es ist sinnlos, Männer als den Feind anzusprechen"

2017 war auch ein Jahr voller Debatten über Sexismus und Machtverhältnisse: Dennoch sieht Literaturwissenschaftlerin Susan Winnett besonders in Deutschland eine Bequemlichkeit, was den Feminismus angeht. Bestehende Verhältnisse würden eher akzeptiert. Und: Männer müssten am feministischen Diskurs teilnehmen.

Susan Winnett im Gespräch mit Anja Reinhardt | 14.01.2018
    Eine Demonstration gegen sexualisierte Gewalt und sexistische Übergriffe am 28. Oktober 2017 in Berlin.
    Eine Demonstration gegen sexualisierte Gewalt und sexistische Übergriffe am 28. Oktober 2017 in Berlin. (imago/Bildgehege)
    Das Jahr 2017 begann mit dem Women’s March in den USA, wo Frauen gegen einen Präsidenten protestierten, der dazu aufruft, Frauen zu begrapschen - und es endete mit einer weltweiten Debatte über Sex und Macht, bekannt geworden unter dem Hashtag #metoo. Mittlerweile gibt es diese Debatte auch in Deutschland, der Regisseur Dieter Wedel wird von mindestens drei Frauen beschuldigt, sie sexuell belästigt zu haben.
    Ob es nun um Harvey Weinstein, den Dirigenten James Levine oder den Chef des New York City Ballett, Peter Martins geht - wir reden von Machtverhältnissen und Hierarchien, patriarchalischen Strukturen. Aber: Das öffentlich Machen dieser Vorfälle habe dem Feminismus in den USA Antrieb gegeben. Selbst Frauen, die sich bislang als unpolitisch gesehen hätten, merkten plötzlich, dass ihre Rechte nicht nur verteidigt werden müssten, sondern dass sie Tatkraft verlangten, so Susan Winnett.
    Besondere Rolle schwarzer Frauen
    Die Initiative TimesUp, gegründet in den USA auch als Folge von #metoo, soll das ändern, auch, indem andere Geschichten erzählt werden, so wie Oprah Winfrey sie bei den Golden Globes erzählt hat. Wenn man diese Geschichten gleichwertig neben die stellte, die als Standard verstanden werden, dann wäre etwas erreicht. Überhaupt: "Gerade bei #metoo spielen schwarze Frauen eine besondere Rolle", so Susan Winnett. "Diese zweite Welle des Feminismus ist als zweite Welle der Bürgerrechtsbewegung zustande gekommen. Neben dem Vietnamkrieg ist auch für Frauenrechte gekämpft worden."
    Für den offenen Brief, den unter anderem die Schriftstellerin Catherine Millet und die Schauspielerin Catherine Deneuve vor wenigen Tagen in "Le Monde" veröffentlichten, und der Männern das Rechte einräumen soll, weiterhin "zu belästigen", hat sie wenig Verständnis. "Das, was sie sagen, hängt mit bestimmten Privilegien zusammen. Das sind mehrheitlich weiße Frauen, Frauen aus der oberen, gebildeten Mittelschicht, die eben auch eine bestimmte Macht besitzen. Und wenn sie flirten wollen, flirten sie aus einem Standpunkt der Macht."
    Auch deren Texte und deren Wahrheiten
    Gilt das auch für die Verkäuferin? Für die Reinigungskraft? Für alle Frauen, die eben in der Hierarchie nicht ganz oben stehen? "Diese Frauen sind als Menschen unsichtbar, aber als Körper verfügbar." Verträge allerdings, so wie sie in Schweden geplant sind, "halte ich für völlig unrealistisch."
    Stattdessen fordert Susan Winnett einen gleichberechtigten Dialog zwischen Männern und Frauen. An amerikanischen Universitäten gibt es mittlerweile eine andere Kultur. Nicht nur, dass es Frauen in wichtigen Positionen gibt, sondern es gibt auch deren Texte und deren Wahrheiten. Allerdings: "Der kulturelle Standard ist immer noch patriarchalisch." In Deutschland sieht sie zudem eine Bequemlichkeit, was den Feminismus angeht, die sie aus den USA nicht kennt. Man akzeptiere viel eher die bestehenden Verhältnisse. "Ich habe hier einen Satz kennengelernt: "Es ist, wie es ist"."
    Deswegen müssen die Männer am feministischen Diskurs genauso teilnehmen, wie die Frauen. "Es ist sinnlos, Männer als den Feind anzusprechen und dann zu erwarten, dass sich etwas ändert."