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Feministisches Punk-Buch
Streitschrift und Liebeserklärung

Auch Jahre nach der Riot-Grrrl-Bewegung müssen Frauen im Punk um Anerkennung kämpfen. In "Our Piece Of Punk" versammeln die Herausgeberinnen Barbara Lüdde und Judit Vetter Erfahrungsberichte aus der Szene. "Wir wollen die absolute Gleichberechtigung", sagte Barbara Lüdde im Dlf.

Barbara Lüdde im Corsogespräch mit Bernd Lechler | 09.03.2018
    Statement politisch und musikalisch: Frau mit Riot-Grrl-Aufschrift
    Statement politisch und musikalisch: Frau mit Riot-Grrl-Aufschrift (imago stock&people)
    Bernd Lechler: Punk! Gibt’s den noch? Und feministischer Punk! Braucht’s den noch? "Aber hallo!" wäre kurzgefasst die Antwort, die ein neues Buch quasi schon durch sein Erscheinen nächste Woche liefert: "Our Piece Of Punk". Auf 160 Seiten erzählen da viele Frauen (und ein Mann) aus ihrem Leben als Musikerin (oder Tontechnikerin, umgeben von Männern), es besprechen sich die Teilnehmerinnen eines Bandworkshops, das polnische Label Emanycpunks stellt sich vor, es gibt Zeichnungen und Comics, über Konsumzwang oder Queerness – reichlich Stoff also, und warum der immer noch wichtig ist und warum gerade jetzt, das fragen wir mal eine der beiden Herausgeberinnen. Barbara Lüdde, willkommen zum Corsogespräch!
    Barbara Lüdde: Vielen Dank.
    Lechler: Im Vorwort zu ihrem Buch heißt es, es sei eine Streitschrift, eine Momentaufnahme und eine Liebeserklärung zugleich. Fangen wir mit der Streitschrift an: wogegen geht's, worum muss gestritten werden?
    Lüdde: Es ist eher eine Streitschrift für etwas, nämlich eine höhere Frauen-, mit Sternchen allerdings, Beteiligung in der aktuellen Punkszene. In der Musik, auf vielen Ebenen, was Tontechnik, Lichttechnik, aber auch auf der Bühne stehen und Konzerte organisieren, all dies verlangt nach einer höheren Frauen*beteiligung. Weil es bei diesem Buch nicht nur ausschließlich um Frauen geht, queere Personen, genderfluide, Transpersonen, Interpersonen usw.
    Lechler: Wären Sie denn für eine Art Quote in dem Business?
    Lüdde: Ich persönlich bin gegen Quoten, bin aber für eine sehr bewusste Wahrnehmung, dass es einen zu hohen Anteil an Cis-Männern in der Szene gibt.
    Motivierende Lady-Feste
    Lechler: Da gehen wir noch genauer drauf ein - erst noch den zweiten Aspekt aus dem Vorwort, die Momentaufnahme. Vor 25 Jahren waren die Riot Grrrls, wenn nicht eine große Bewegung, so doch ein wirklich geläufiger Begriff, heute scheint so was zu fehlen. Also, wie sieht die Szene aus, wo findet die Szene statt, wer sind die Protagonisten?
    Lüdde: Da geb ich Ihnen in gewisser Weise recht, weil es definitiv an so einer gut festzumachenden Bewegung wie Riot Grrl halt gibt ... Allerdings ist - und das ist uns bei diesem Prozess des Buchmachens noch mal bewusst geworden - wie groß dieses Netzwerk eigentlich ist und an wie vielen Orten Menschen aktiv sind.
    Lechler: Aber diese Orte sind dann Clubs und Workshops ...?
    Lüdde: Genau. Das sind dann zum Beispiel auch Lady-Feste, das sind organisierte Veranstaltungen, die fußen auch auf die Riot-Grrl-Bewegung in den 90ern. Ich glaube, 2000 war in den USA das erste Lady-Fest, das sind Veranstaltungen, wo gezielt Frauen* dazu motiviert werden, aktiv zu sein.
    Lechler: Dritter Begriff, mit dem Sie ihr Vorwort beschreiben, ist Liebeserklärung. An wen, wofür?
    Lüdde: An die Community. An alle Menschen, die aktiv sind, die Konzerte machen, die auch streiten, die supporten, und so weiter.
    Lechler: Gehen wir noch mal gleich auf das ein, was Sie vorhin schon angeschnitten haben. Was schon der erste Text konstatiert, nämlich dass Frauen als Musikerinnen heute schwer unterrepräsentiert sind und wenn man als Frau Musik macht, dass man auch genau so wahrgenommen wird: als Frau, die Musik macht. Hat sich da wirklich zwei Jahrzehnte nach den Riot Grrrls gar nichts geändert?
    Nicht nur als Sängerin wahrgenommen
    Lüdde: Leider ja. Sobald es sich nicht in diesen exklusiven Räumen bewegt, ist es definitiv so. Ich selbst habe auch Erfahrung in einer Band sammeln können und habe es leider sehr häufig so wahrgenommen, dass ich nicht nur als Sängerin wahrgenommen werde, sondern als Frau.
    Lechler: Wo könnte man ansetzen, damit sich das ändert? Wenn nicht durch eine Quote?
    Lüdde: Ich denke eher durch dieses Bewusstsein dessen. Ein Ansatz sind ja die Lady-Feste, dass man sagt, ok, wir schaffen exklusive Räume, in denen man die Möglichkeit hat, etwas auszuprobieren, ohne die Hindernisse, die einem manchmal gestellt werden. Oder natürlich Unsicherheit, die mit einhergeht.
    Lechler: Und das mit den Schutzräumen? Die sind ja umstritten, weil sie gleichzeitig auch so Laborsituationen sind und nicht der Realität entsprechen oder vielleicht den Blick auf die Realität verstellen.
    Lüdde: Ja, kommt drauf an ... Da sind viele Beteiligte unseres Buches auch natürlich anderer Meinung. Manche sagen, ja, diese Räume sind nur Schutzraum und entsprechen nicht der Realität, andre sind da aber andrer Meinung.
    Lechler: Mir fällt da gerade ein, kürzlich hat CEP, die Musikerin, alias Caroline Polachek, die war früher bei Chairlift, bei der Band, ihre Teilnahme am Moogk-Fest zurückgezogen, weil die sich ungefragt in einem Line-Up ausschließlich weiblicher und transgender Künstler wiederfand. Und sie schrieb dazu: Gender ist kein Genre. Und ich brauche kein Mitleidspodest, schon gar nicht von einem männlichen Kurator. Also sehr kontra Schutzräume. Hätte sie spielen sollen?
    Lüdde: Nee, also das ist ja gar nicht an mir. Ich finde ihre Entscheidung absolut nachvollziehbar. Weil es ja gerade darauf fußt, dass man sagt, wir machen ein explizites Frauenprogramm oder Gender/Queer-Programm und das sollte eigentlich nicht das sein, worauf wir hinauswollen. Sondern wir wollen, dass es eine absolute Gleichberechtigung gibt.
    Lechler: Und reicht es für diese Gleichberechtigung nicht, einfach gut zu sein? Wir haben vorher Haiyti gehört, die kann ich mir nicht in einem rein weiblichen Workshop vorstellen. Die hat ihr Ding gemacht, ohne um Erlaubnis zu fragen und war halt so gut, dass ihr die Jungs nichts erzählen konnten. Ist nicht das der Weg?
    Lüdde: Sie wird aber dennoch als Frau in einer ... Cloudrap ist definitiv eine absolut Männer-dominierte Szene.
    "Es hat viel mit Unsicherheit zu tun"
    Lechler: Es verbietet aber auch keinem, da reinzugehen ... Und wenn es erst mal noch wenige Frauen sind, ist es ja erst mal nicht schlimm, oder? Wenn es auffällt.
    Lüdde: Jein. Das ist das, was ich vorhin meinte und das finde ich auch unglaublich toll an dem Buch, dass viele unserer Beteiligten sehr, sehr offen mit ihren Gefühlen umgegangen sind und offen gesagt haben, dass es viel eben auch mit Unsicherheit zu tun hat. Und das hat was damit zu tun, dass diese Szene Männer-dominiert ist. Und für Frauen einfach mehr Hindernisse quasi im Weg liegen, sich da hineinzubegeben.
    Lechler: Ich bin als Mann, als Cis-Mann, über eine Stelle gestolpert: Das war in diesem autobiographischen Text "It is never too late to be loud", in dem die Protagonistin beschreibt, wie sie immer Angst hatte vor Auftritten. Und sich gefragt hat: Sind wir gut genug? Hoffentlich verspielen wir uns nicht. Und diese Ängste schreibt sie ihrer weiblichen Sozialisation zu und der Dominanz der Männer in der Szene. Und da dachte ich, man, diese Ängste kenne ich genauso. Alle männlichen Musiker kennen das. Und da finde ich dieses Opfer-Gefühl oder Unterdrückungsvorwurf unfair und gar nicht hilfreich, vor allem für die Frauen.
    Lüdde: Ja, ich glaube auch nicht, dass sie sich als Opfer sieht. Das würde ich ihr zusprechen, dass sie das nicht tut. Natürlich haben alle Cis-Männer auch Ängste und Unsicherheiten, natürlich. Die Sozialisierung ist allerdings eher so, dass Cis-Männer lernen, stärker damit umzugehen.
    Lechler: Vielleicht sollten wir zwischendurch erklären, was Cis-Männer sind, weil wir das so selbstverständlich verwenden. Das sind einfach hetero Männer.
    Lüdde: Jein.
    Lechler: Sondern?
    Lüdde: Also Cis-Männer sind Männer, die sich ihres biologischen Geschlechtes entsprechend fühlen und verhalten.
    Lechler: Es gab schon 1982, steht in Ihrem Buch, Texte über Sexismus in der Punkszene. Da scheinen sich die Punks und ihre alten Feinde, die Hippies, nicht unterschieden zu haben. Damals schon. Wie ist denn das heute? Schlägt die #metoo-Debatte auch in der Punkszene ein?
    Lüdde: Klar, Feminismus ist aktuell sehr relevant. Es passiert auf vielen Ebenen etwas. Zum Beispiel durch die Metoo-Kampagne, aber auch auf ganz anderen Ebenen. Ich glaube, in der Punkszene merkt man davon nichts, also nicht direkt. Das hat einfach zu wenig Bezug, dann auf persönlichen Gesprächen wahrscheinlich, da unterhält man sich darüber, und so weiter. Aber die Punkszene ist natürlich auch nicht frei von Seximus, auch heute noch nicht.
    Lechler: "Our Piece of Punk" ein queerfeministischer Blick auf den Kuchen, herausgegeben von Barbara Lüdde und Judit Vetter, erscheint nächste Woche im Ventil-Verlag. Frau Lüdde, vielen Dank für das Corsogespräch.
    Lüdde: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Barbara Lüdde/ Judit Vetter (Hg.): Our Piece of Punk. Ein queer_feministischer Blick auf den Kuchen.
    Mainz: Ventil Verlag, 160 Seiten, 20,00 Euro.