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Fenster für Metastasen

Medizin.- Jeder vierte Krebspatient leidet an Metastasen im Gehirn. Und immer mehr Menschen sind davon betroffen. Während die Behandlung der eigentlichen Tumoren zusehends erfolgreicher wird, können die Ärzte gegen die Metastasen im Gehirn nicht allzu viel ausrichten.

Von Hellmuth Nordwig |
    Sie sind so groß wie Schuhkartons: die Plastikkäfige für die fingerlangen Labormäuse. Hier, im Labor der Forschergruppe Neuroonkologie der Uni München, hält Yvonne Kienast ganz besondere Tiere: Ihre Mäuse haben buchstäblich ein Fenster ins Gehirn.

    "Die Schädeldecke ist entfernt worden, und an Stelle der Schädeldecke wird ein kleines Fenster auf das Gehirn geklebt, durch das man Monate lang immer wieder dieselben Tumorzellen auffinden kann."

    Diese Tumorzellen spritzt die Biotechnologin den Mäusen ins Blut. Im Gehirn wachsen sie zu Tochtergeschwülsten, sogenannten Metastasen, heran. Mit einem Spezialmikroskop kann die Forscherin durch das Fenster direkt zusehen, wie diese sich aus einzelnen Krebszellen bilden.

    "Zum ersten Mal war ich sehr fasziniert davon, dass man wirklich im lebenden Tier sich Blutgefäße anschauen kann. Man sieht auch richtig den Blutfluss unter dem Mikroskop, also wie sich das Blut in den Blutgefäßen bewegt. Das war sehr faszinierend. Und natürlich ist es auch sehr spannend, eine einzelne Tumorzelle zu beobachten im Gehirn und zu schauen, welche Schritte sie absolvieren muss, um wirklich zu einer großen Metastase zu wachsen."

    Bisher war nämlich nicht klar, was alles zusammenkommen muss, damit sich eine Metastase bildet. Nun können Forscher erstmals über Wochen hinweg im lebenden Gewebe das Schicksal einzelner Tumorzellen verfolgen. Vier Schritte sind nötig auf dem Weg zu einer Metastase, haben Yvonne Kienast und der Neurologe Dr. Frank Winkler beobachtet: Als erstes bleibt eine Tumorzelle, die im Blut treibt, an einer Verzweigung von Blutgefäßen hängen.

    "Dann ist der zweite Schritt – und das war bisher noch nicht wirklich geklärt: Die Zellen müssen das Gefäß verlassen, können nicht im Gefäß anwachsen. Das kann zwar mal vorkommen, führt aber nie zum Erfolg. Sondern alle später erfolgreich zu Großmetastasen wachsenden Zellen haben das Gefäß dann sogar frühzeitig verlassen. Schon bis zum dritten Tag muss das passieren",

    berichtet Frank Winkler. Drittens muss sich die Tumorzelle von außen an das Blutgefäß anheften, um sich schließlich zu teilen und zur Metastase heranzuwachsen. Wie die Münchner Forscher weiter herausgefunden haben, ist in diesem Stadium die Blutversorgung unverzichtbar für die Geschwulst. Wobei unterschiedliche Krebsarten da verschiedene Strategien haben.

    "In dem Sinne, dass die Melanom-Zelllinien, die also von einem schwarzen Hautkrebs stammen, dann entlang bestehender Gefäße wachsen und fingerförmig in das Gehirn vorwachsen. Während Lungenkrebs-Zelllinien – Lungenkrebs ist die häufigste Ursache für Hirnmetastasen bei Menschen – ab einer bestimmten kritischen Größe eine Gefäßneubildung bewirken müssen. Wenn sie das nicht schaffen, gehen auch die wieder zugrunde."

    Das entspricht genau dem Bild, das Ärzte auch bei Menschen sehen: Patienten mit schwarzem Hautkrebs haben viele, jedoch langsam wachsende Hirnmetastasen. Es braucht eben seine Zeit, bis sie an den Blutgefäßen entlang heranwachsen. Dagegen bekommen Lungenkrebspatienten ziemlich rasch vereinzelte Tochtergeschwülste im Gehirn. Warum dagegen manchmal das Medikament Avastin hilft, ist dank der Experimente auch klar geworden: Es verhindert, dass sich neue Blutgefäße bilden – und die brauchen ja gerade die Lungenkrebs-Metastasen. Dass dieser Prozess nun so genau bekannt ist, könnte es auch erleichtern, weitere Medikamente gegen Hirnmetastasen zu entwickeln. Durch das "Fenster ins Gehirn" können die Forscher nun direkt beobachten, wie bestimmte Substanzen die Tumorzellen beeinflussen.