Archiv


Fenster in die Stille

Technik. - Mancher, der in diesen Tagen die Fenster aufreißen möchte, um sich Luft zu verschaffen, besinnt sich eines Besseren, um den Straßenlärm draußen zu halten. Doch den geplagten Anwohnern von Autobahnen und Flughäfen winkt Abhilfe, denn Ingenieure rücken dem Krach zuleibe - mit Schall.

    Der Verkehr nimmt ständig zu, und mit ihm auch der Schallpegel. Rund 70 Prozent der Befragten einer Untersuchung des Umweltbundesamtes fühlen sich durch Straßenlärm belästigt. Eine Umkehr des Trends scheint indes nicht in Sicht, angesichts steigenden Flugaufkommens und dem Ausweichen von Mautflüchtlingen auf Landstraßen. Bleiben also nur Gegenmaßnahmen wie beispielsweise Schallschutzwände. Doch es geht auch wesentlich pfiffiger, meinen Ingenieure vom Institut für Technische Akustik (ITA) der Technischen Universität Berlin. Seit Jahren arbeiten sie an Fenstern, die den Krach aktiv bekämpfen.

    Eigentlich dämpft Glas den niederfrequenten Krawall von kräftigen Dieselmaschinen nur wenig ab. Ein Trick in die technische Wunderkiste wirkt hier allerdings Wunder. Das Zauberwort heißt Anti-Schall, erklärt Michael Wolf vom ITA:

    "Antischall funktioniert bei tiefen Frequenzen besonders gut. Andererseits sind die Fenster mit Doppelverglasung gerade bei tiefen Frequenzen besonders schlecht in der Schalldämmung. Deswegen bietet es sich geradezu an, dass man hier Antischall einsetzt."

    Ein Blick in das Physikschulbuch zeigt schnell, worum es bei Anti-Schall geht: Eine Schallwelle lässt sich völlig tilgen, wenn man ihr eine zweite, um 180 Grad verschobene und gleich starke Welle auflagert. Das Resultat ist friedvolle Stille. Ganz so einfach ist es in der Praxis natürlich nicht, denn Lärm setzt sich aus vielen verschiedenen Frequenzen zusammen. Und will man ein negatives Abbild des Straßenkrachs erzeugen, muss man ziemlich flink sein, denn zunächst muss der Lärm analysiert werden.

    Entsprechend beeindruckend präsentiert sich der Demonstrator im Labor der Berliner Wissenschaftler. In einem gewaltigen Rahmen aus ungeschliffenem Holz ruht eine normale Doppelglas-Schreibe und - mit einem Abstand von fünf Zentimetern - eine weitere, einfache Glasplatte. In dem breiten Zwischenraum sitzen insgesamt vier Mikrofone sowie etliche kleine Lautsprecher.

    "An dem Doppelglas-Fenster sieht das jetzt so aus, dass der Schall von der einen Seite ankommt, die Scheibe in Schwingung versetzt und sich dann ein Schallfeld in dem Zwischenraum zwischen den beiden Scheiben aufbaut."#

    Die Mikrofone nehmen die akustischen Signale auf und reichen sie an einen Computer weiter, der das klangliche Negativ dazu berechnet.

    "Das phasengedrehte Klangbild wird dann schließlich durch die eingebauten Lautsprecher dann abgestrahlt..."

    ...erklärt Michael Wolf. Der Effekt ist verblüffend: ein simulierter Brummi mutiert so quasi zum flüsternden Mini. Allerdings dürfte sich kaum ein Hauseigentümer mit der imposanten Fensterkonstruktion anfreunden, gleich, wie viel Lärm da auch sein mag. Außerdem geht der Wärmedämmeffekt mit zunehmender Breite des Fensterzwischenraumes verloren. Daher arbeiten Michael Wolf und seine Kollegen an einer Miniaturisierung der Lautsprecher. In einigen Jahren könnte dann das Fenster in die Stille Realität werden.

    [Quelle: Sönke Gäthke]